Zweite Liga:Schwaben ehrenhalber

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Sonntagsschuss am Freitagabend: Dem Stuttgarter Josip Brekalo (links) gelang ein bildschönes Fernschusstor - das auch noch den Sieg der Schwaben in Heidenheim sicherte. (Foto: DeFodi/imago)

Beim 2:1 in Heidenheim wird klar, wie sich der VfB Stuttgart den Wiederaufstieg vorstellt: mit einer neuen Generation junger Wilder; beim Trainer angefangen.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Josip Brekalo, 18, ist vermutlich kein gutes Vorbild für all die anderen Talente im Land. Brekalo hat etwas getan, was man als Talent auf gar keinen Fall tun sollte: Er hat seinem Trainer nicht zugehört - oder: Vielleicht hat er ihm sogar zugehört und die Anweisungen dann mit großem Genuss ignoriert. Was ist das für ein Signal hinein in die Nachwuchsleistungszentren und überhaupt hinein in die Republik, wenn sich Jugendliche über Befehle ihrer Vorgesetzten hinweg setzen und am Ende auch noch gelobt werden dafür?

"Zum Glück" könne Josip Brekalo "noch nicht so gut deutsch", hat Hannes Wolf, der Trainer des VfB Stuttgart, später gesagt, und sein Schmunzeln ließ erkennen, dass er mit der Kompetenzüberschreitung in diesem Fall einverstanden war. Ja, er hatte seinem Flügelstürmer in der Trainingswoche eigentlich gesagt, dass er "eher nicht aus der Distanz schießen", sondern "die Szenen ausspielen" solle. Aber soll man jetzt böse sein, wenn ein 18-Jähriger aus 25 Metern einen Drehschuss loslässt, der erst die Latte des gegnerischen Tores streift und dann mitten hinein in den Torwinkel fliegt? Soll man einen jungen Mann für seinen Überschwang tadeln, wenn er einem mit dem Siegtreffer zum 2:1 gerade erst das Spiel entschieden hat?

Hannes Wolf, 35, ist ja selbst noch eine Art Brekalo der Trainerszene, er wird als Spitzentalent unter den Coaches gehandelt. Was für Brekalo auf dem Rasen gilt, gilt für Wolf auf der Bank: Beide lernen gerade im laufenden Spielbetrieb, beide üben für die erste Liga. Und wenn sie so weitermachen, könnte es gut sein, dass sie ab Sommer in der ersten Liga weiterüben.

Im Baden-Württemberg-Derby beim 1. FC Heidenheim hat der VfB Stuttgart seine Tabellenführung mit einem Sieg befestigt, der in den Stuttgarter Saisonrückblicken eine zentrale Rolle einnehmen dürfte. Dieses 2:1 war einer jener Siege, die identitätsstiftend wirken könnten - das begriff jeder, der nach dem Schlusspfiff den Stürmer Simon Terodde wie irr auf den eigenen Torwart Mitch Langerak zurasen sah. Langerak hatte in der 84. Minute mit einem von der Natur nicht vorgesehenen Reflex einen Kopfball des Heidenheimers Wittek an die Latte gelenkt - nur eine von 1001 wilden Szenen aus der Schlussphase, die eine einzige Rudelbildung war.

Der VfB Stuttgart hat auf der rauen Ostalb zwei Spiele in einem abgeliefert, und er hat beide für sich entschieden. In der ersten Hälfte wirkte der VfB wie ein Team, das sich in der Liga geirrt hat, mit erstaunlicher Ruhe hinderten die Stuttgarter die Heidenheimer daran, ihr wuchtiges Heidenheim-Spiel zu entfalten. Der 1:1-Pausenstand wirkte wie ein Versehen, nur erklärbar durch einen der üblichen Geistesblitze des Heidenheim-Kapitäns Marc Schnatterer, der seit Jahren wie ein Erstligaprofi spielt, ohne je in der ersten Liga gespielt zu haben. Schnatterer, Schütze des 1:1 (42.), hat in seiner Statistik 321 Erstligaspiele weniger stehen als Stuttgarts Kapitän Christian Gentner, der Schütze der Stuttgarter Führung. Bei Gentner stehen: 321.

Gentner, 31, hat alles erlebt beim VfB, er ist Meister und Absteiger, und so dürfte er am meisten zu schätzen wissen, was in der zweiten Halbzeit geschah: Er war Teil einer Elf, die sich in der spektakulären Schlussphase in einen Verteidigungs-Enthusiasmus hineinsteigerte. In einem tadellosen Ostalb-Regen kam ein Heidenheimer Eckball nach dem anderen angeflogen, die Stuttgarter stürzten sich in jeden Schuss, sogar der sehr schmale Befehlsverweigerer Brekalo klärte auf der Linie. Er sei stolz auf "die Kultur der Mannschaft", sagte Trainer Wolf - ein Satz, den man beim VfB seit Jahren nicht mehr gehört hat.

Es ist, so gesehen, auch eine Art Kulturprojekt, an dem sich der Trainer Wolf und der Sportchef Jan Schindelmeiser da gerade versuchen. Wenn der Verein schon in der zweiten Liga spielen muss, dann wollen sie da unten wenigstens eine neue Elf bauen und eine neue Hauskultur installieren - mit einer Achse um Langerak, Gentner und Terodde, auf die sich hochkarätige Talente wie Carlos Mané, Takuma Asano, Julian Green, Anto Grgic oder eben Josip Brekalo im Zweifel verlassen können. Sie alle befriedigen die klassische Stuttgarter Sehnsucht nach jungen Wilden, wenn auch nicht die Sehnsucht nach jungen Wilden, die aus Nürtingen, oder Bad Cannstatt stammen. Dennoch haben es Wolf und Schindelmeiser einstweilen geschafft, dass die Stadt die jungen Burschen als Schwaben ehrenhalber eingemeindet hat.

Der Plan sei es, "Talente wie Brekalo in der zweiten Liga an die Intensität des Profifußballs zu gewöhnen", sagt Hannes Wolf. Beim VfB Stuttgart hat man schon schlechtere Pläne gehört, und zur Ausbildung von erstligatauglichen Widerstandskräften gibt es definitiv auch schlechtere Orte als das kleine Stadion in Heidenheim, in dem es Eckbälle regnet.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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