Zuschauerdebatte im Handball:Die Hilferufe werden lauter

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Feldversuch: Domagoj Duvnjak vom THW Kiel bei einem Testspiel vorige Woche in Graz. (Foto: Hans Oberlaender/imago)

Die Handball-Bundesliga wollte im Oktober vor Zuschauern starten - nun glauben manche, dass es unter den Klubs bald die ersten Insolvenzen geben könnte.

Von Carsten Scheele, Hannover

Wie lange dauert es noch, bis der erste Handball-Bundesligist seine Zahlungsunfähigkeit verkünden muss? Nicht mehr lange, so ist das Geraune aus der Branche nach der jüngsten Erklärung der Bundesregierung zu deuten. Diese sieht vor, dass wegen der weiter grassierenden Pandemie bis Jahresende in Deutschland Großveranstaltungen, bei denen Kontaktverfolgung und Einhaltung von Hygieneregeln unmöglich sind, nicht vor Zuschauern stattfinden dürfen. Die Handballer planten, im Oktober den Spielbetrieb neu zu starten und zu den Partien einen Teil des Publikums einzulassen. Ob sie daran festhalten können, ist nun fraglicher denn je.

Die Hilferufe werden lauter, auch von Frank Bohmann, seit 2003 Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL). Er kämpft für den Fortbestand der Liga - und damit für den Fortbestand der Vereine. "Man spielt hier schon mit der Geschäftsgrundlage eines jeden Klubs", warnt Bohmann. Von Flensburg im Norden bis nach Balingen im Süden sind die Vereine auf Zuschauereinnahmen angewiesen. Mancherorts macht dies im Saisonetat 70 bis 80 Prozent aus, anders als im Fußball, wo Fernsehgelder eine weit größere Rolle spielen. "Seit Anfang März können wir unsere Geschäftsmodelle nicht mehr durchführen", sagt Bohmann. Die Vereine hätten "nur noch Ausgaben und keine Einnahmen".

Zur Erinnerung: Die Handball-Bundesligaklubs hatten sich im Frühjahr zähneknirschend auf den Saisonabbruch verständigt, weil es für die Vereine finanziell sinnvoller schien, keine Spiele durchzuführen statt Spiele ohne Zuschauer, insbesondere für die kleineren. Viele Klubs schickten ihre Profis in die Kurzarbeit, baten bei Sponsoren um Aufschub und Verständnis, immer in der Hoffnung, dass es im Oktober wieder losgehen könne. In diesem Szenario sollte keiner der bald 19 Erstliga-Klubs finanziell auf der Strecke bleiben.

Diese Pläne sind nun gefährdet, auch weil die konkreten Formulierungen der Bundesregierung viel Interpretationsspielraum lassen. Welche Ausnahmeregelungen sind möglich? Sind in einigen Bundesländern Spiele vor Zuschauern wahrscheinlicher als in anderen? Die Liga muss sich zunächst auf den schlimmsten Fall einstellen: auf den Start Anfang Oktober in leeren Hallen. "Wenn es tatsächlich so kommen sollte, ist das maximal für eine ganz kurze Übergangszeit möglich", sagt Bohmann: "Ein oder zwei Spiele. Danach wird den ersten Klubs die Luft ausgehen."

Da stimmt er ganz mit Jennifer Kettemann, der Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen, überein, die bereits unheilvoll verkündet hat: "Sollten bis Jahresende keine Zuschauer erlaubt sein, könnte die Existenz unserer Sportart gefährdet sein."

Insgesamt fühlen sich die Handballer von der Politik im Stich gelassen - da geht es ihnen nicht anders als den Basketballern, Eishockeyspielern oder Volleyballern, den kleineren Sportarten also. "Es wird in dem Vorschlag mit keinem Wort erwähnt, was unter Großveranstaltungen zu verstehen ist", sagt etwa Jörg Föste, Geschäftsführer des Bergischen HC, der Westdeutschen Zeitung. Auch Bohmann fordert verlässliche Informationen: "Wenn wir ständig neue Rahmenbedingungen bekommen, dann arbeiten wir ins Leere hinein. Da würde ich mir eine andere Kommunikation wünschen, und dass wir auch eine größere Verlässlichkeit bekommen."

Am Freitag vor dem Testspiel zwischen SC DHfK Leipzig und EHV Aue präsentierten die Spieler ein Banner, auf dem zahlreiche Berufsgruppen aufgelistet wurden, die von der unklaren Situation betroffen sind: Caterer, Reinigungskräfte, Lieferanten. Leipzigs Geschäftsführer Karsten Günther erklärte, die Spieler wollten mit der Aktion zeigen, "dass solche Veranstaltungen unter strenger Einhaltung der Hygienekonzepte nichts Gefährliches sind, sondern sinnvoll, wichtig und schützenswert". Das Spiel fand vor 250 Zuschauern statt.

Anfang der Woche wollen sich die HBL-Klubs zusammenschalten und das weitere Vorgehen beraten. Bis dahin halten manche Vereine vorerst an ihren Plänen für erste Testspiele vor Zuschauern fest, darunter der THW Kiel, der zu einer Partie gegen die HSG Nordhorn-Lingen sogar 999 Zuschauer einlassen möchte. Die Arena soll dazu in sieben Sektoren mit sieben Eingängen unterteilt werden; die Zuschauer würden mit viel Abstand auf der Tribüne sitzen, jede zweite Sitzreihe bliebe frei. Für jeden Zuschauer gebe es sogenannte FFP2-Masken, Tickets würden nur Online und personalisiert verkauft.

Ob es dazu kommt? Weiß niemand. Das Gesundheitsamt in Kiel prüft, ob es die Sondergenehmigung trotz der neuen Vorgaben erteilen kann.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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