Zum Tod von Jules Bianchi:"Einer der Besten"

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Neun Monate nach dem Unfall beim Formel-1-Rennen in Japan erliegt Bianchi seinen Verletzungen.

Von René Hofmann, München

Es gibt einen offiziellen Bericht zu dem Unfall, den der französische Rennfahrer Jules Bianchi am 5. Oktober 2014 beim Großen Preis von Japan auf der Strecke in Suzuka erlitt. Der Bericht umfasst 396 Seiten. Die Kernbotschaft aber passt in einen einzigen Satz: Ein 700 Kilogramm schweres Rennauto, das mit 126 km/h auf einen 6500 Kilogramm schweren Kran trifft - "es gibt schlicht zu wenig Knautschzonen, um die Kraft abzufangen, die bei einem Zusammenstoß mit solcher Wucht frei wird, ohne dass dabei die Überlebenszelle für den Fahrer zerstört wird oder Verzögerungen auftreten, die nicht zu überleben sind".

In anderen Worten: Jules Bianchi hatte gar keine Chance, als er in der 43. Runde bei hereinbrechender Dunkelheit und trotz Warnflaggen auf der regennassen Piste in Kurve sieben die Kontrolle über seinen Marussia verlor, zwei Sekunden lang über die Auslaufzone rutschte und gegen das Ballastgewicht eines Radladers knallte, der den Sauber des Deutschen Adrian Sutil barg, der eine Runde zuvor an gleicher Stelle von der Piste abgekommen war.

Am frühen Samstagmorgen wurde aus der Prophezeiung Gewissheit: Bianchis Familie teilte mit, dass der 25-Jährige verstorben sei. "Jules hat bis zum Ende gekämpft, wie er es immer gemacht hat, aber gestern ist sein Kampf zu Ende gegangen." Sie dankte den Ärzten und Pflegern des Mie General Hospital von Yokkaichi, in das Jules Bianchi nach dem Unfall gebracht worden war, und des Universitätsklinikums von Nizza, in das er Ende November 2014 verlegt worden war, komatös, aber selbständig atmend.

Nizza war Bianchis Heimatstadt. In ihr soll er an diesem Dienstag beigesetzt werden. Die Trauerfeier soll in der Cathédrale Sainte-Réparate stattfinden, die in der Altstadt liegt. Es steht zu erwarten, dass es eine große Trauerfeier wird.

Frankreichs Staatspräsident François Hollande kondolierte umgehend: "Der französische Sport verliert eine seiner großen Hoffnungen." Jean Todt, der Präsident des Automobilweltverbandes FIA, rief Bianchi nach, er habe über "die besten menschlichen und sportlichen Qualitäten" verfügt. Todts Sohn Nicolas, der Bianchis Karriere in den vergangenen zehn Jahren als Manager begleitet hatte, richtete aus: "Du warst wie der kleine Bruder, den ich mir immer gewünscht habe."

Die französischen Formel-1-Größen Alain Prost ("Wir werden immer an Jules denken), Romain Grosjean ("Wir haben einen der besten Menschen und Fahrer verloren, die ich je getroffen habe") und Jean-Eric Vergne ("Mir fehlen die Worte") äußerten sich. Max Chilton, Bianchis einstiger Marussia-Kollege, widmete die Pole-Position, die er an diesem Wochenende in seiner neuen Tätigkeit auf dem Iowa Speedway errang, dem einstigen Mitstreiter. Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton sprach von einem "sehr, sehr traurigen Tag", der einstige Formel-1-Weltmeister Jenson Button von einem "wirklich großartigen Menschen und echten Kämpfer". Es gab so gut wie keinen Weggefährten, der sich nicht betroffen zu Wort meldete. Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene sagte: "Wenn man jemanden wie Jules verliert, sprengen Trauer und Betroffenheit die Bedeutung des Sports."

Jules Bianchi hatte 2013 den Sprung in die Formel 1 geschafft. Er bestritt 34 Rennen für das Marussia-Team, das ihn meist nur mit hoffnungslos unterlegenem Material losschicken konnte. Einmal aber glänzte Bianchi mit diesem über die Maßen: Beim Rennen 2014 in Monaco wurde er Neunter und holte zwei WM-Punkte; die einzigen Punkte, die Marussia je gewann. Für den zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso war die Fahrt "ein Wunder".

Bianchi gehörte zur Nachwuchs- Scuderia von Ferrari. Einmal im berühmten Rot an den Start zu gehen - er träumte den Traum, den die meisten jungen Rennfahrer träumen, nicht nur. Jules Bianchi träumte ihn mit Anlass. Seine Familie war dem Motorsport verbunden. Großvater Mauro war Sportwagen-Fahrer; beim 24-Stunden-Rennen 1968 in Le Mans verunglückte er lebensgefährlich. Den Klassiker gewann in jenem Jahr sein älterer Bruder Lucien. Dieser ließ 1969 in Le Mans sein Leben, als er im Training am Ende der Mulsanne-Geraden gegen einen Telegrafenmast prallte.

Jules Bianchis Tod kommt nicht völlig überraschend. Anfang der vergangenen Woche hatte sein Vater Philippe France Info gesagt: "Eigentlich muss ein Fortschritt in den ersten sechs Monaten zu verzeichnen sein. Jetzt sind es neun Monate, und Jules ist nicht aufgewacht und macht keine signifikanten Fortschritte." Mittlerweile sei er "weniger optimistisch als zwei oder drei Monate nach dem Unfall": "Damals konnte man auf ein besseres Ergebnis hoffen."

Jules Bianchi hatte bei dem Aufprall diffus axonale Verletzungen erlitten, ein Schädelhirntrauma, dessen Ausmaß nicht genau ersichtlich ist. Äußerlich, so hat es sein Vater einmal geschildert, war er hingegen unverletzt geblieben.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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