Zlatan Ibrahimovic:Genialer Krawallbruder

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Das Gegenteil von Mittelmaß: Kein anderer Schwede polarisiert wie Fußballstürmer Zlatan Ibrahimovic. Aber egal, ob man ihn mag oder nicht: Für die Schweden und ihrem Traum vom EM-Titel geht kein Weg an ihm vorbei.

Von Gerhard Fischer

Das 1:1 gegen Italien hätte Zlatan Ibrahimovic besser nicht geschossen. In der 85. Minute war Ibrahimovic mit dem Rücken zum italienischen Tor in die Höhe gehüpft, hatte wie ein Pferd nach hinten ausgetreten und den Ball mit der Hacke ins Tor befördert. Am nächsten Tag machten es ihm alle nach: Auf den Fußballplätzen, Hinter- und Schulhöfen sprangen junge Schweden, Mädchen wie Jungen, in die Luft und traten nach hinten aus, um den Ball zu treffen. Die Zeitungen bildeten es auf ihren Titelseiten ab. Aber bestimmt haben sich ein paar Nachahmer die Hüfte dabei ausgerenkt.

Zlatan Ibrahimovic ist bei dieser EM der Held der jungen Schweden. Die über 30-Jährigen hingegen lieben Henrik Larsson, den alle nur "Henke" rufen. Larsson, Sohn eines Einwanderers von den Kapverdischen Inseln, ist ein sympathischer, humorvoller, verantwortungsbewusster Familienmensch. Er war vor zwei Jahren aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, weil er mehr Zeit haben wollte für seine Frau und seinen Sohn, und erst kürzlich war er zurückgekehrt.

Die 115000 Unterschriften, die eine schwedische Zeitung gesammelt hatte, um ihn umzustimmen, mögen Larsson, 32, geschmeichelt haben. Entscheidend war aber, dass sein kleiner Sohn gesagt hatte: "Die anderen spielen, warum spielst du nicht mehr?"

Einschüchtern und zuschlagen

Zlatan Ibrahimovic, 22, ist ganz anders. Es gibt kaum einen Schweden, nicht mal einen Politiker, der so polarisiert wie der in Malmö geborene Sohn von Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Stürmer galt lange Zeit als genial, aber link; als Fußballer, der unfair die Ellbogen einsetzt und in Kauf nimmt, andere zu verletzen. "Er ist der schmutzigste Spieler, gegen den ich je gespielt habe", sagte einmal Erik Hoftun, Verteidiger bei Rosenborg Trondheim. Darüber hinaus war er ein Maulheld. Über den norwegischen Stürmer John Carew soll er gesagt haben: "Was der mit dem Ball macht, mache ich mit einer Apfelsine."

Eigentlich hat er auf dem Fußballfeld nur das getan, was er früher zuhause gemacht hat, im sozialen Brennpunkt Rosengard in Malmö: brüllen, damit die anderen eingeschüchtert werden, und zuschlagen, bevor man selber eine fängt. Seine Eltern Jurka und Sefik, eine Putzfrau und ein Hausmeister, hatten sich getrennt, als Zlatan noch sehr klein war. Er wuchs beim Vater auf, und die Erziehung war nicht leicht. Seine Schulleiterin Agneta Cederman hat über Zlatan Ibrahimovic gesagt: "Er war der Prototyp eines Jungen, mit dem es böse endet. Während meiner 33 Jahre in der Schule war er einer der fünf unruhigsten Schüler, die ich hatte - ein Krawallbruder."

Fußball spielte der Junge zunächst beim FBK Balkan Malmö. Vater Sefik sagt heute, er habe das Talent des Sohnes schon früh erkannt: "Als er vier war, sah ich, dass er ein ganz Großer werden würde." Der Junge wuchs zum 1,92-Meter-Mannsbild heran, wechselte erst zu Malmö FF und dann, als 19-Jähriger, für die für schwedische Verhältnisse sagenhafte Ablösesumme von neun Millionen Euro zu Ajax Amsterdam. Vater Sefik fährt seither fast zu jedem Heimspiel von Malmö nach Amsterdam, mit dem Auto.

"Er ist mein Held", sagt der Sohn. Ibrahimovic schoss bei Ajax fast in jedem zweiten Pflichtspiel ein Tor, seine Technik reifte und sein Spielverständnis auch, aber die Entscheidungsträger in Schweden blieben reserviert. Die Trainer Lars Lagerbäck und Tommy Söderberg ließen ihn selten von Beginn an spielen, vielleicht auch deshalb, weil er bei den Kameraden nicht wohl gelitten war wegen seiner Egozentrik.

Das ist besser geworden, aber noch nicht wirklich gut. Da gab es zum Beispiel die Sache mit dem Elfer im EM-Qualifikations-Spiel gegen San Marino. Es stand 4:0, und Kim Kallström, eines der hoffnungsvollsten Talente des schwedischen Fußballs, war als Elfmeterschütze vorgesehen. Doch Ibrahimovic schnappte sich den Ball, gab ihn auch auf Bitten nicht mehr her, verwandelte zum 5:0 - und wartete vergeblich auf die Glückwünsche der Kollegen.

Langweiliges Mittelmaß

In Schweden mag man nicht, wenn einer aus der Menge herausragen will. In dem kleinen Land der großen Solidargemeinschaft will man, dass Reiche ärmer werden und Arme reicher, Großmäuler kleinlauter und Kleinlaute selbstbewusster. Sie nennen das "lagom", man kann es als "Mittelmaß" übersetzen, je nach Gusto mit dem Zusatz "langweiliges" oder "gesundes".

Aber irgendwie mögen ihn die meisten, wie die meisten Bayern Franz Josef Strauß gemocht haben: Er sei ein Schlawiner, ein "Hund", wie man in Bayern sagt; einer, der nicht immer redlich ist, aber bei allem, was er tut, auch für andere etwas herausholt: Strauß für die Wirtschaft, Ibrahmovic für den Fußball in Schweden. Die Jungen mögen ihn sowieso, weil er so kuriose Dinge macht, die man gerne auch können würde.

© Süddeutsche Zeitung vom 26.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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