Zeitfahren:Ulles letzte Chance

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Jan Ullrich will noch aufs Podium. Dabei hilft ihm nur ein Sieg im Zeitfahren.

Andreas Burkert

Mickael Rasmussen schert sich seit Tagen nicht mehr um die tägliche Kinnrasur, aber die dünnen Stoppeln sind ja ohnehin das Markenzeichen neben seinen dürren Beinchen, weshalb sie ihn inzwischen auch in Frankreich "chicken" rufen. Seit einem Jahrzehnt hört der Blondschopf auf diesen Spitznamen, "und er gefällt mir gut", sagt Rasmussen. In diesen Sekunden lächelt er sogar, und das ist eine Rarität. In Dänemark herrscht trotzdem Freude über den Rabobank-Profi, er ist die Neuerscheinung schlechthin bei der 92. Tour. Erstmals hat ein Däne das Bergtrikot gewonnen. Zudem muss sich die Szenegröße Jan Ullrich am Samstag mächtig anstrengen, um Rasmussen im schweren Einzelzeitfahren von St. Etienne noch vom dritten Platz zu verdrängen. Rasmussen sagt: "Auf einer flachen Strecke hätte ich keine Chance, aber diese liegt mir vielleicht sogar."

Eine kleine Chance, das ist weit mehr, als er sich erträumt hatte. Als Mountainbike-Weltmeister von 1999 ist er Experten ein Begriff gewesen, die ständigen Steilfahrten liegen ihm. Doch Rasmussen besitzt auch einen Ruf als Geschäftsmann, vor allem deshalb wandte er sich nach Sydney 2000 vom Crossport ab, "denn wenn du da die wenigen Rennen nicht gewinnst, verhungerst du". Er begann also bei einem kleinen Rennstall aus Österreich, ehe ihn Landsmann Bjarne Riss für CSC anstellte. Mit dem Toursieger von 1996 verbindet ihn jedoch kein herzliches Verhältnis mehr, da Rasmussen nach seinem Sieg bei der Königsetappe in Burgos 2002 für den neuen Vertrag angeblich unverschämte Zahlen aufrief. Riis überließ Rasmussen gerne Rabobank. Dort etablierte er sich als Spezialist für Bergprüfungen, dem siebten Platz bei der Vuelta 2003 folgten 2004 ein Tagessieg bei der Dauphiné Libéré und Rang 14 beim Tourdebüt.

Als Podiumskandidaten hatte ihn jedoch niemand auf dem Zettel, als Rasmussen beim Abschnitt nach Mulhouse einen Start-Ziel-Sieg durchbrachte und von seinem Höhentraining in Mexiko (der Heimat seiner Frau) schwärmte. "Heute würden wir ihn nicht mehr weglassen", sagt Ullrichs Sportchef Mario Kummer über Rasmussen, der den Favoriten am Donnerstag erstmals nicht mehr folgen konnte und 37 Sekunden einbüßte. Doch in Mulhouse hatte Rasmussen seine Hartnäckigkeit angedeutet, als er auf der 40 km langen Abfahrt den Vorsprung auf das Verfolgerduo mit Jens Voigt und Christophe Moreau sogar vergrößerte. "Der Weg nach Mulhouse, das war mein erstes ernsthaftes Zeitfahren überhaupt", sagt Rasmussen und ergänzt: "Normal fahre ich Zeitfahren, ohne mir etwas auszurechnen, und eigentlich wäre für mich die Tour doch schon vorbei. Deshalb werde ich das Zeitfahren meines Lebens fahren."

Favoriten schieben sich die Bürde zu

Das fürchtet auch Ullrich, der dem Dänen zwar auf Noirmoutier gut zwei Minuten abnahm, auf nur 19 km und trotz eines Brummschädels nach seinem ersten Sturz. "Rasmussen wird wie ich um jede Sekunde kämpfen", ahnt Ullrich. Nur der Tagessieg scheint vergeben, an Armstrong, schließlich ist der noch nie ohne Tageserfolg als Champion abgereist. Der Texaner indes hat Ullrich zum Favoriten gekürt, "denn er wird hier immer stärker, daher rechne ich mit ihm auf dem Podium".

Rasmussen will das verhindern mit seiner Akribie, mit der er jetzt seinen Aufstieg erklärt. Er gilt ja als Detailfanatiker, vor allem achtet er auf jedes überflüssige Gramm. Hält immerzu Diät und duldet keine Accessoires an seinem Velo. Einmal hat er es allerdings zu weit getrieben, als er so etwas wie 25 Gramm sparen wollte, indem er den Rennschuhe eine halbe Größe kleiner wählte. Mit der Folge, dass er schlimme Fersenschmerzen bekam. 58 Kilo bringt das Hühnchen aus Holbaeck noch auf die Waage, vielleicht lacht er deshalb so selten. Seine Landsleute teilt er bereits mit seiner bisweilen zynischen Art. Am Donnerstagabend sagte er dem Heimatfernsehen auf die Frage, ob er als Däne nicht stolz sei: "Ist mir eigentlich egal." Dass er selten Lust verspürt, an Rennen in Dänemark teilzunehmen, hat sein Image als Spaßbremse ebenfalls gefördert. Soll er doch Ullrich vorlassen. Der würde lächeln.

© SZ vom 23.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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