X-Games:Neues Material für die Endlosschleife

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Die X Games sind zum Allgemeingut geworden - selbst für die Actionsportszene wird das Retorten-Spektakel langsam zur Routine.

Tobias Moorstedt

In der Mediengesellschaft wird auch das Spektakel zur Routine. "Die 'X Games' stehen mal wieder vor der Türe", schreibt das Magazin Transworld Skateboarding, das Leitmedium der Szene, "alles ist wie jedes Jahr. Auch die Beschwerden über die Korrumpierung des Sports durch die Industrie." Im elften Jahr ihres Bestehens ist bei den X Games alles ein wenig zur Routine geworden: die Rekordsprünge der Funsportler ebenso wie die Erregung der Puristen über deren Kommerzialisierung, den Sell-Out, wie es in Amerika heißt - Ausverkauf.

Am heutigen Donnerstag beginnen am Staples Center in Los Angeles die X Games 11, die selbst ernannten Olympischen Spiele für Actionsportarten wie Skateboarden, BMX oder Freestyle-Motocross. Vier Tage lang werden sie wieder springen und fliegen: Dave Mirra, der Seriensieger mit insgesamt 18 Medaillen oder Danny Way, der jüngst mit einem Skateboard über die Chinesische Mauer sprang. Die Tricks und Sprünge mögen wieder ein wenig radikaler und höher geworden sein, die Namen und Gesichter aber sind die gleichen wie in jedem Jahr. Wer den Unterschied erkennen will, muss schon ganz genau hinschauen. "Ich habe gerade die X Games im Fernsehen gesehen", schrieb ein Fan Anfang der Woche in einem Internet-Forum: "Oder war das nur die Wiederholung?"

Filmset statt Wettkampfstätte

Die mit Musik untermalten Sprung-Staffetten von Way oder Mirra laufen in Amerika das ganze Jahr auf den TV-Kanälen der Disney-Gruppe in Endlosschleife. Die X Games sind also weniger als Sportwettkampf denn als Filmset zu verstehen, an dem neues Material für die mediale Verwertung produziert wird. Das wäre nur konsequent, wurde die Veranstaltung doch 1995 von dem Sportsender ESPN ins Leben gerufen, um sich den Interessen und Sehgewohnheiten der jungen Zielgruppe anzunähern. Dabei folgte die Retortenveranstaltung einem rigiden Businessplan. Mit Erfolg: Die X Games sind laut ESPN in manchen Bevölkerungsschichten bekannter als Original-Olympia, 2004 kamen 170000 Zuschauer nach Los Angeles.

Der wichtigste Bestandteil eines Businessplans aber ist die "Unique Selling Proposition", das Alleinstellungsmerkmal eines Unternehmens, das dieses auf einem Markt konkurrenzlos werden lässt. Zehn Jahre lang hatte ESPN beinahe exklusiven Zugang zu den tollkühnen Männern auf Rollbrettern und Rädern. Skateboard und Halfpipe sind mittlerweile zur Lieblings-Kulisse der Werbeindustrie und damit zum Allgemeingut geworden. Die Sportgiganten Nike und Reebook haben eigene Skateboard-Produkte in ihr Programm aufgenommen. Und selbst die mächtige US-Sportwetten-Industrie nähert sich den Funsportarten an. So kann man bei den X Games in diesem Jahr erstmals Wetten abschließen. "Die Athleten sind doch in jedem Haushalt bekannt", meint Alex Czajkowski, Marketing-Direktor von Sportsbook.com, "schön langsam können unsere Kunden etwas mit diesen Sportarten anfangen."

Dem Sell-Out folgt gewöhnlich der Over-Kill, also die Marktübersättigung. Der Sender NBC veranstaltet in diesem Jahr erstmals eine professionelle Action-Sports-Tour, welche mit Millionenpreisgeldern wirbt. Und auch X-Games-Veteranen wie die Skateboard-Größe Tony Hawk, die 1995 noch für lau fuhren, machen ihren medialen Vätern bei ESPN mittlerweile Konkurrenz. Tony Hawk tourt mit der "Boom-Boom-HuckJam"-Tour - Top-Athleten, 12 Lastwägen und 65 Roadies - durch 30 Städte in Nordamerika und plant wie Real Madrid die Eroberung der asiatischen Märkte.

Auch auf der olympischen Bühne sind die X-Games-Disziplinen zunehmend vertreten. Snowboarden ist bereits seit 1998 Bestandteil der Olympischen Spiele, BMX wird 2008 als Demonstrationssportart im Reich der Ringe dabei sein und - wie das IOC vor einigen Wochen entschied - von 2012 an fester Bestandteil des Programms. Vor den X Games rätselt man in der BMX-Szene bereits darüber, wie wohl die Qualifikation für Peking ablaufen werde. Doug Martins, eine amerikanische BMX-Größe, schreibt in einer offenen E-Mail: "Verlasst euch nicht auf Gerüchte und lest auch das Kleingedruckte. Lasst euch diese einmalige Erfahrung nicht entgehen."

Bei ESPN kann man in der zunehmenden Präsenz der X-Sportarten keine Gefahr erkennen und freut sich offiziell über die gestiegene Akzeptanz. "Ich vergleiche das immer mit den Ursprüngen des Rock'n'Roll", sagte der X-Games-Erfinder Ron Semiao kürzlich in einem Interview, "in den fünfziger Jahren haben die Leute auch gesagt, das sei keine richtige Musik, aber die jungen Leute sind dabei geblieben, und genau das gleiche ist bei uns auch passiert. Die Leute haben gesagt dass sei kein richtiger Sport. Aber die Zeiten ändern sich."

Raum für den Techno-Sport

Die Veranstalter sind auch nur bedingt auf die nunmehr bereits klassischen Disziplinen wie BMX angewiesen, da man neue Sportarten in das Programm integriert hat. Und wie der Rock'n'Roll, als er sich tot gelaufen hatte, durch Techno-Musik ersetzt wurde, so spielen auch bei den X Games zunehmend Maschinen eine größere Rolle. Freestyle-Motocross und Querfeldein-Rennen liefern eben noch spektakulärere Bilder als die Skateboarder und Radler. Auf einem Motorrad sitzt auch Jürgen Künzel, der einzige deutsche X-Games-Teilnehmer. "Das ist schon eine ganz große Geschichte", sagt der Motocross-Profi, "endlich mal gegen die ganzen amerikanischen Topstars anzutreten. Und endlich mal im Fernsehen." In der Funsport-Szene fühlt Künzel sich manchmal aber noch fremd: "Wir haben eigentlich keinen Bezug zu den Skateboardern. Das ist eine künstliche Vereinigung."

Aber Künstlichkeit ist in Los Angeles ja nichts Schlimmes, wo jede Wand aus Pappmaschee bestehen könnte, das zu Staub zerfällt, wenn man es berührt. Wie ein Vergnügungspark sieht auch der riesige Parkplatz vor dem Staples Center zur Zeit aus. Sponsoren und Partner haben einen bunten Jahrmarkt mit verschiedenen Attraktionen aufgebaut. Selbst das US-Militär hat das PR-Potenzial dieser Sportarten erkannt. Bei den diesjährigen X Games wirbt die Navy mit einem Hau-den-Lukas-artigen Krafttest und verspricht den Jugendlichen eine "Beschleunigung für ihr Leben". Das passt eigentlich ganz gut: Der Kampfjet F-18 katapultiert einen höher als jede noch so große Rampe.

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