Wolfsburg setzt sich oben fest:Aschenputtel geliftet

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Der VfL Wolfsburg scheint seine Launenhaftigkeit abgelegt zu haben und steht erstmals in seiner Geschichte an der Tabellenspitze der Bundesliga. Damit rücken die Wölfe aus der Anonymität ins Zentrum der Fußball-Öffentlichkeit.

Ronny Blaschke

Es war einmal in Wolfsburg, da hörte man über den VfL nur, dass es wenig zu hören gibt. Selten schwappte Spektakuläres über die Grenzen Niedersachsens hinaus. Fremde hatten von diesem Fußballverein gehört, doch sie wussten nichts über ihn. Der VfL, dem es so schwer fällt, eine Tradition zu behaupten, war gefangen am Rande der Wahrnehmung, er wartete dort wie ein Aschenputtel.

Am Samstag rückte jener VfL Wolfsburg ins Zentrum der Fußball-Öffentlichkeit, das Aschenputtel wurde plötzlich umschwärmt. Ein 2:1 bei Hansa Rostock genügte, um erstmals in der Geschichte die Tabellenführung in der Bundesliga zu übernehmen, zumindest für einen Tag. "Mehr war nicht drin", sagte Trainer Erik Gerets. Und so freute sich die Belegschaft auf einen gemütlichen Fernsehabend vor dem Videotext. Gerets führte an: "Auch in dieser Region gibt es Druck, doch das ist ein herrlicher Druck."

Viel deutet darauf hin, dass die Wolfsburger einen Quantensprung gemacht haben in ihrer auf Jahre angelegten Flucht aus der Anonymität. Die Mannschaft hat nach drei Siegen hintereinander die Launenhaftigkeit abgelegt, in Rostock reagierte sie auf Schwächephasen mit kühler Effektivität, auch ohne Leitfiguren wie Andres D'Alessandro und Marian Hristov. "Viele Vereine haben jetzt mehr Respekt", sagte Kevin Hofland. Nicht erst nach den Toren von Diego Klimowicz (17.) und Pablo Thiam (78.) gegen abermals schwache Rostocker, für die lediglich Kim Madsen (33.) einen Treffer zustande brachte.

Sportlich scheint der VfL durch eine ausgewogene Mischung im Team die Pubertät hinter sich gelassen zu haben. "Ich habe die richtigen Spieler", sagt Gerets, "ohne die würde mir die beste Philosophie nicht helfen." Auch im Umfeld hat der blasse Klub an Farbe gewonnen. Über Jahre fahndete man mit ausgetüftelten Marketingsstrategien nach einem Profil, eine Million Euro steckte man jährlich in die Öffentlichkeitsarbeit. "Ohne den Erfolg dauert Markenaufbau 20 Jahre", sagte Geschäftsführer Klaus Fuchs. Ob Hauptsponsor Volkswagen diese Geduld aufbringen würde?

"Besser als in München"

So hat sich der Klub für die Abkürzung über den Erfolgsweg entschieden. Das Etikett der "grauen Maus", das lange wie eine Zwangsjacke passte, schwindet. In der vergangenen Saison erschienen 25Prozent aller Artikel über den VfL in überregionalen Publikationen, inzwischen sind es 40 Prozent. Am Samstag gastierte Pablo Thiam im ZDF-Sportstudio - als erster Wolfsburger Spieler. Er sagte: "Die Bedingungen bei uns sind besser als in München." Er hat eine Zeitlang beim FC Bayern gespielt.

Selbst die Trennung vom früheren Manager Peter Pander hat kaum Spuren hinterlassen. Trainer Gerets hat sich mit ihm ausgesprochen. "Er ist wieder gut drauf. Wir halten Kontakt", sagte er. Der Belgier hat die Schönheitskur nicht nur durch seinen integrativen Führungsstil beschleunigt. Seine Sätze, die er oft aus dem Bauch heraus wählt, haben eine größere Nachhaltigkeit als die diplomatischen Analysen von Vorgänger Jürgen Röber. Ob der geliftete VfL sich schon zu europäischen Exkursionen befähigt fühlt, wollte dann niemand bestätigen. Dieser Ausblick wäre wohl des Guten zu viel gewesen.

© Süddeutsche Zeitung vom 20.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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