Wolfsburg mit neuem Trainer:Wehen im Wind

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Beim 1:1 gegen Bremen deutet Wolfsburg an, wie sich Trainer-Neuzugang Martin Schmidt das Spiel vorstellt - eine Halbzeit lang überzeugt der VfL mit Dynamik und Leidenschaft.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Denkt man sich den VfL Wolfsburg als ein bürokratisches Gebilde, und das fällt nicht immer schwer, so hat die fußballspielende Filiale der Volkswagen AG in Martin Schmidt, 50, womöglich den passenden Trainer gefunden. Denn der Schweizer vermochte es, bei seinem ersten Auftritt all jene zu beglücken, die ihm hierarchisch übergeordnet sind: Er lebte seine neue, wie man neudeutsch sagt, Corporate identity so plakativ aus, dass man meinen konnte, es habe sich mit dem Amtsantritt in Wolfsburg wirklich ein Kindheitstraum des einstigen KfZ-Mechanikers erfüllt.

"Dass ich zum ersten Mal für den VfL Wolfsburg reden darf, das ist eine große Ehre für mich", hob der Nachfolger des am Montag entlassenen Andries Jonker an, als ihm am Dienstagabend nach dem 1:1 (1:0) gegen den SV Werder Bremen das Wort im Pressesaal erteilt wurde. Dann führte er aus, dass man in der ersten Halbzeit der Partie gegen die Hanseaten gesehen habe, "was die Ideen der Verantwortlichen waren in Wolfsburg mit dem Wechsel zu mir", nämlich: "neue Energien schaffen, Energien umsetzen und auf den Platz bringen".

"Energien umsetzen": Wolfsburgs Daniel Didavi befolgt die Maxime des neuen Trainers im Duell mit drei Bremer Gegenspielern. (Foto: Christian Schroedter/imago)

Und für den Fall, dass es den Verantwortlichen des VfL Wolfsburg, die Schmidt mit einem Vertrag bis 2019 beglückten, nicht so schon warm genug ums Herz geworden war, schaffte es Schmidt noch, in freier Rede den aktuellen Wolfsburger Marken-Claim - "Arbeit, Fußball, Leidenschaft" - in einen Satz zu kleiden: "Es war Arbeit drin in dem Spiel, es war Fußball drin, und es war, vor allem, Leidenschaft drin. Und das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, diesen Leitsatz von Wolfsburg hochzuhalten, im Wind fliegen und wehen zu lassen ", sagte Schmidt, der einigermaßen heiser wirkte nach den ersten 90 Minuten als Cheftrainer des VfL.

Sein Lob der ersten Halbzeit war überaus nachvollziehbar, vor allem weil Spieler wie die Mittelfeldakteure Yunus Malli oder Daniel Didavi erkennbar bemüht waren, gute Figuren abzugeben. Allerdings wird nie zu klären sein, wie sehr Werder-Trainer Alexander Nouri den Niedersachsen die Steigbügel hielt. Gegen die zuletzt alles andere als selbstsicheren Wolfsburger hatte Nouri seine Spieler erstaunlich defensiv eingestellt, und dass diese, wie Nouri in seiner ihm eigenen Diktion formulierte, "grundsätzlich in den Abläufen gut drin waren" und nur "in einer Sequenz" - das heißt: beim Gegentor durch Divock Origi (28. Minute) - "nicht schnell genug in die Ordnung fallen", war dann doch eine etwas geschönte Darstellung der Realität. "Wir haben sehr gut gespielt, in jeder Hinsicht und mit hohem Rhythmus dominiert", sagte Wolfsburgs Zugang Ignacio Camacho, der überraschend die Kapitäns-Binde tragen durfte.

"Da ist Fußball drin": Martin Schmidt, neuer VfL-Trainer. (Foto: Stuart Franklin/Getty)

Was danach geschah, war insofern unerklärlich, als in der zweiten Halbzeit ein komplett anderes Spiel entstand. Und es wäre für beide Trainer, für Schmidt und Nouri, besorgniserregend, wenn es etwas mit dem zu tun gehabt haben sollte, was sich rund um die Halbzeitpause ereignete. Nach dem Halbzeitpfiff hielt Wolfsburgs Trainer Schmidt seine Spieler nämlich auf dem Rasen auf und ordnete offenkundig an, im Pulk und nicht individuell zur Besprechung in die Kabine zu laufen. Vor dem Anpfiff der zweiten Halbzeit wiederum hielt Werders übrigens brillanter Kapitän Thomas Delaney seine Kameraden auf und redete so intensiv auf sein Team ein, wie er in den 45 verbleibenden Minuten spielen sollte. Verwirrte die Wolfsburger Profis das demonstrative Teambuilding? Entdeckten die Bremer durch einen Akt der Selbstverwaltung das Fußballspiel? In jedem Fall entrissen die Bremer den Wolfsburgern die Partie in einer Weise, die man nach den ersten 45 Minuten kaum für möglich gehalten hätte. Hätten Florian Kainz und Theo Gebreselassie bei Großchancen nicht eine Mischung aus Unvermögen und Pech hingelegt, so hätten die Bremer eine weit größere Beute erzielt als den Ausgleich durch Fin Bartels (56.). Verdient wäre ein Sieg allemal gewesen. "Schade, dass wir uns für eine richtig gute zweite Halbzeit nicht mit drei Punkten belohnen konnten", sagte Nouri, dessen Team mit nur zwei (auswärts errungenen) Punkten im unteren Tabellendrittel verortet ist.

Kurzfristig wird sich der VfL Wolfsburg wohl dort ebenfalls zurecht finden müssen. Am Freitag steht die Reise zum FC Bayern nach München an, dort holte Wolfsburg letztmals im Dezember 2001 einen Punkt, das heißt: just als die damaligen Granden von CDU und CSU die Basis dafür gelegt hatten, dass Edmund Stoiber sich gegen eine gewisse Angela Merkel als Kanzlerkandidat durchsetzen konnte. Gleichwohl sagte Schmidt: "Wir wollen in München nicht chancenlos sein und daran glauben, etwas zu holen."

Das wäre ganz im Sinne von VfL-Sportdirektor Olaf Rebbe, der die Ablösung von Schmidt-Vorgänger Jonker rechtfertigte. "Der Auftrag Neuaufbau ist nicht erfüllt worden. Deswegen haben wir so konsequent reagiert", sagte Rebbe - und versuchte, zaghaft einem Eindruck entgegenzuwirken, der sich angesichts von vier Trainern binnen eines Jahres aufdrängt. "Ich glaube nicht, dass der VfL Wolfsburg ein Chaos-Klub ist", erklärte er laut DPA.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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