WM in Ungarn:Jetzt auch noch Kanu

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"Ich komme keine 20 Meter weit": Pita Taufatofua aus Tonga, der es als Olympia-Fahnenträger zu Weltruhm brachte, ist wieder da - diesmal auf dem Boot und als Klimaschützer.

Von Saskia Aleythe, Szeged/Berlin

Er kippt im Boot einfach um. Eine Woche vor der WM. Pita Taufatofua hat das vor kurzem auf seiner Facebook-Seite gepostet: Bilder, wie er bereits beim Versuch, in ein Kajak zu steigen, scheitert. Kaum sitzt er, dreht er sich auch schon zur Seite. Oben ist plötzlich nasses Unten. "Ok, wir haben ein Problem", schrieb Taufatofua dazu und erzählte australischen Medien, was ohnehin offensichtlich war: "Ich komme keine 20 Meter weit." Für Anfänger braucht das Ausbalancieren Übung. Viel Übung. Taufatofua ist erst seit ein paar Monaten Kanute, falls man das überhaupt so nennen kann. Und jetzt schon bei der Weltmeisterschaft dabei.

In der Startliste taucht tatsächlich sein Name auf: Mittwoch, 17.55 Uhr, Vorlauf über 200 Meter, auch im Zweier tritt er später an. Er ist also wieder da. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2016 redeten alle über ihn, ohne seinen Namen, geschweige denn sein Land zu kennen. Mit eingeöltem Oberkörper und traditioneller Kluft marschierte Taufatofua damals als Fahnenträger ins Maracanã-Stadion ein: als Taekwondo-Kämpfer hatte er es zu den Spielen geschafft. 2018 erschien er als Skilangläufer bei den Winterspielen in Pyeongchang. 2020 in Tokio will er als Kanute dabei sein. Ist das nun sportlich beachtlich? Oder alles eine große Show?

Nach den Spielen in Korea sprach er bei den Vereinten Nationen. Und er wurde Unicef-Botschafter

230 Millionen Suchläufe auf Google soll es in der Woche nach der Eröffnungsfeier von Rio auf die Frage gegeben haben: "Wo ist Tonga?" Das erzählte Taufatofua der Zeitung Guardian im Januar. Der mittlerweile 35-jährige Athlet ist ein gefragter Mann, zu olympischen und nicht-olympischen Zeiten. In Tonga, dem Pazifikstaat, ist Taufatofua aufgewachsen, und dass er dann bei der Eröffnungsfeier in Rio nicht im Jackett auflief, sollte mehr Marketing für seine Heimat als für ihn selbst sein. Mitglieder seiner Delegation wollten ihn noch daran hindern. "Ich habe 1000 Jahre Geschichte vertreten. Meine Vorfahren haben nicht Anzug und Krawatten getragen, als sie den Pazifischen Ozean überquert haben", sagte Taufatofua. Dass sein Auftritt zum Internethit wurde, machte ihn schlagartig berühmt. Seinen einzigen Kampf in Rio verlor er mit 1:16 Punkten.

In Pyeongchang hat Taufatofua dann als Langläufer den größten Pressesaal gefüllt - jene Bühne, die sonst nur die Ski-Olympiasiegerin Lindsey Vonn richtig voll bekam. Die Exotengeschichten werden immer wieder gerne erzählt, auch weil einer wie Taufatofua dann Dinge sagt, die so klingen: "Ich will die Menschen zum Träumen ermuntern, zum Scheitern und Wiederaufstehen." Die Sportverbände lockern dafür gern mal ihre Statuten, das hat im Fall Taufatofua nicht jedem Konkurrenten gefallen. Sechs Rennen auf Rollski konnte er für die Qualifikation mit einbringen, nur einen Wettbewerb musste er vorab auf Schnee bestreiten. Als 114. von 119 Langläufern kam er nach 15 Kilometern dann ins Ziel, 23 Minuten nach dem Goldgewinner.

Und doch hat Taufatofua Botschaften, die hinter den ölglänzenden Muskelbergen stecken und die über den Sport hinausgehen: Als er in Südkorea seine Geschichten vor der Presse erzählte, fegte gerade ein Wirbelsturm über seine Heimat hinweg, zerstörte das Regierungsgebäude und andere Teile der Insel. "This one is for the planet", schrieb er als Hashtag unter seinen Mitteilung, als er bekannt gab, nun Kanu fahren zu wollen. Taufatofua, der heute die meiste Zeit in Brisbane in Australien lebt, hat sich jetzt dem Umweltschutz verschrieben. "Leute zeigen mir Statistiken über den Klimawandel. Aber alles, was ich weiß, ist, dass das Meer jedes Jahr näherkommt", sagte er dem Sender ABC. Früher sei alle zehn Jahre mal ein Zyklon über Tonga gestürmt, nun nahezu alle zwei Jahre. "Ich habe genügend Aufmerksamkeit bekommen, jetzt ist es Zeit, Aufmerksamkeit auf den Planeten zu richten", sagt er.

Und es ist ja tatsächlich so, dass er das Scheinwerferlicht genutzt hat, um es auf wichtigere Dinge zu leiten. Nach den Winterspielen in Südkorea hielt er eine Rede vor den Vereinten Nationen und im Massachusetts Institute of Technology. Er wurde Unicef-Botschafter. 15 Jahre hatte er als Sozialarbeiter sein Geld verdient und mit obdachlosen Kindern gearbeitet. "Da habe ich gesehen, was wahre Stärke ist", sagte Taufatofua dem Guardian. Er hat ein Motivationsbuch geschrieben. Auf Instagram folgen ihm 140 000 Leute; viele Posts des Sportlers drehen sich nicht um ihn selbst. Auf der Plattform ist das eine Seltenheit.

Das Geld war immer knapp, auch nach Rio, nach den Momenten, die ihn berühmt machten. Der Skilanglauf brachte hohe Reisekosten mit sich, per Crowdfunding sammelte er über 24 000 Dollar. Immer wieder fand er Leute, die ihn unterstützten. Die Verhältnisse in der Kindheit waren schwierig, die Familie lebte zu acht in einem kleinen Haus ohne warmes Wasser. Er selbst wurde gehänselt, der Körper zu schmächtig, die Mutter keine Tongaerin. Sportlich setzten ihn Verletzungen außer Gefecht, erst mit 32 Jahren schaffte er es zu Olympia. Sechs Monate schlief er in einem südkoreanischen Kindergarten, um tagsüber in der Nähe zu trainieren.

Als er den Einstieg in den Kanusport verkündete, twitterte der Weltverband: "Wir freuen uns sehr, dass er unseren Sport gewählt hat für eine mögliche dritte Olympiateilnahme." Um sich in diesen Tagen in Ungarn bei der WM direkt für Tokio zu qualifizieren, müsste er im Endlauf unter die besten Fünf kommen. Ein aussichtsloses Szenario. "Mein Kajak dreht sich nach 20 Metern um, dann muss ich noch 180 Meter schwimmen", sagte Taufatofua, "ich kann aber nicht so weit schwimmen. Entweder muss ich länger im Boot sitzen oder ich werde gegen das Ertrinken kämpfen."

Sein alter Taekwondo-Trainer hat versucht, ihm den Sport per Youtube-Videos näher zu bringen. Einen Crashkurs gab es nun vor Ort in Ungarn durch den Weltverband, der ihm auch ein Boot stellt. Im Februar gibt es noch eine Chance, sich über die Kontinentalwettbewerbe zu qualifizieren. Bei starken Neuseeländern und Australiern ist Taufatofua aber auch dort der absolute Außenseiter. Seine einzige realistische Möglichkeit: Einen der Einladungsplätze zu bekommen, über die das IOC dann entscheidet. Und so einen Taufatofua will man schon gerne dabei haben.

Als Prinz Harry und Meghan im Herbst 2018 Tonga besuchten, trugen sie einen traditionellen Überrock, wie ihn Taufatofua bei der Eröffnungsfeier 2016 vorführte. Er wurde zum Empfang geladen, doch seine Lieblingsgeschichte handelte von seinem Vater, der als Doktor der Agrarwissenschaften für die Regierung arbeitet. "Als ich meinem Vater davon erzählte, dass ich zum Essen mit Prinz Harry und Meghan eingeladen wurde, hat er gesagt: Das ist schön. Jetzt lass uns aufs Feld gehen, unsere Kühe brauchen Wasser." Er will doch gerne einer von ihnen bleiben.

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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