Wissenschaftler gegen "Sportschau":Volley ins Netz

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Die Sender feilschen bereits wieder um die Rechte an der nächsten Bundesliga. Für die Wissenschaft steht jedoch schon eines fest: Mit der Sportberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen sitzt man weder in der ersten Reihe, noch sieht man besser.

Das heißeste Thema in der Fernsehbranche ist derzeit die Vergabe der Rechte an der Fußball-Bundesliga. Welcher Sender darf die Begegnungen von Sommer 2006 an für drei Spielzeiten zeigen?

Von der ARD-Sportschau hält die Wissenschaft nicht viel. (Foto: Foto: dpa)

Die ARD hat sich gewissenhaft vorbereitet und tourte durch die Lande, um den Spitzenklubs ihr Konzept für die Sportschau am Samstag zu präsentieren. Schließlich sollen Monica Lierhaus und Kollegen wie in den zwei Jahren zuvor auch künftig die besten Szenen zeigen.

Mit der journalistischen Leistung sei es nicht weit her, befindet jedoch ein "Akademisches Fußball-Team der Sportwissenschaft", das sich jetzt in einem "Offenen Brief" an die ARD und Sport-Funktionäre wendet.

Plakative Schlagzeile: "Rettet den Fußball vor dieser Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen." Die Initiative geht maßgeblich auf den Münsteraner Professor Dieter H. Jütting vom Institut für Sportkultur und Weiterbildung zurück.

Mit unterzeichnet haben Experten wie Michael Krüger vom Institut für Sportwissenschaft, der Hamburger Literaturhaus-Leiter Rainer Moritz, Günter Joschko, Projektleiter Deutsche Akademie für Fußball-Kultur, oder Klaus Theweleit, Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe.

Die Tonlage ist scharf bis aggressiv. Die Verantwortlichen der Sportschau hätten "offensichtlich einen Zuschauer vor Augen, der vom Fußball nichts versteht und der durch ständige Wiederholungen von Selbstverständlichkeiten und Ankündigungen auf das bevorstehende Vergnügen hingewiesen werden muss".

Resümee: "eine Tendenz zur Infantilisierung". Die 22 Unterzeichner des Briefs beziehen sich auf eine in der Frankfurter Allgemeinen erschienene Auswertung der Sportschau vom ersten Spieltag der laufenden Saison. Danach habe die ARD insgesamt nur 36 Minuten lang Bilder von den Spielen geboten; knapp eine Stunde sei mit Werbetrailern und Ansagen verbracht worden.

Tatsächlich ist die ARD stolz darauf, die Lizenzpreise, die sie der Deutschen Fußball-Liga (DFL) gezahlt hat, mit Werbeblöcken, Sponsoring und Gewinnspielen zu refinanzieren. Damit liegt die Sportschau in der Tradition der Vorgängersendung ran auf Sat1.

Da die DFL aber in den nun anlaufenden Verhandlungen mehr Geld von den TV-Sendern erwartet, bietet auch die ARD mehr. Das Aufgeld soll nicht aus den - gut ausgereizten - Werbeerlösen kommen, sondern aus dem Topf der Rundfunkgebühren.

Dem Kritiker-Team der Sportwissenschaft ist das Treiben im Ersten, das strategisch zur besseren Platzierung von Werbespots durch eine Kurzausgabe der Tagesschau unterbrochen wird, wohl seit längerem ein Graus.

Sportsoziologe Jütting sagt, seines Wissens sei es noch nicht vorgekommen, "dass sich Wissenschaftler verschiedener Fächer in dieser Form zur Fußball-Berichterstattung geäußert haben". Die Kritik: Durch eine "aufdringliche Berichterstattung" über das "vermeintlich Spektakuläre" werde ein "völlig verzerrtes Bild des Fußballs erzeugt".

In den kurzen Berichten dominierten einzelne Spielelemente wie Fouls, Abseits, Fehlschüsse oder Tore, die aber keineswegs den Verlauf eines Spiels wiedergäben.

Die Zerlegung in wenige, nicht-repräsentative Situationen nehme dem Fußballsport den Spielcharakter. Und: "Die Darstellung von Ereignisstafetten geschieht oft ohne analytische Kompetenz."

Ihr Fett weg bekommen die Journalisten der Sportschau ("immer mehr von einer fachlichen Berichterstattung entfernt"). Die Sportschau berichte "nicht mehr über den Fußball, sondern sie gerät mehr und mehr zu einer Werbesendung für Produkte, Personen und Sendungen. Sie ist tendenziell eine Werbegameshow geworden."

Insgesamt werde dem Spiel durch seine "unwürdige und klamaukhafte Inszenierung" Schaden zugefügt. Der "klassische Auftrag" sei im Öffentlich-Rechtlichen besonders ernst zu nehmen - der Sport dürfe nicht "als Umfeld für Werbung, Vermarktung und Inszenierung" geopfert werden.

Die ARD-Intendanten haben eine ganz andere Wahrnehmung von ihrer Sportschau. So schalteten in der kritisierten Auftaktsendung im August 5,3 Millionen Zuschauer ein - ein Drittel mehr als in der Saison zuvor. Mit Verve lehnt ARD-Programmdirektor Günter Stuve den Vorstoß des Pay-TV-Rivalen Premiere ab, dass die Sportschau nicht mehr um 18 Uhr, sondern um 22 Uhr laufen solle.

Zu den Wissenschaftlern sagt er, anders als behauptet sei der Anteil der Spielminuten am ersten Spieltag viel höher gewesen und hätte bei 57 Minuten gelegen. Die vielen Sende-Elemente störten nicht, sondern seien akzeptiert: "Die Leute wissen, dass man die Bundesliga, wenn man sie hat, nur durch Werbung und Sonderwerbeformen finanzieren kann."

Auch der Vorwurf der Infantilisierung treffe nicht zu. Struve: "Das, was die wollen, hatte das ZDF in den sechziger Jahren - die verkopfte Interpretation, was dieser Pass wohl für die Umwelt meinen könnte. Zum Fußball hat man aber entweder einen emotionalen Zugang oder gar keinen - und wenn man keinen hat, kommt so etwas heraus. Das ist der Unterschied zwischen Sport und Sportwissenschaft."

© SZ vom 28.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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