Wimbledon:Post von der Schwester

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Auf ihrem Weg ins Wimbledon-Finale stellt Venus Williams nebenbei die Familienehre wieder her.

Von René Hofmann

London - Tennisspieler reden nicht mehr miteinander, sie schreiben sich; wobei es zum einen oder anderen Missverständnis kommen kann. Anna-Lena Grönefeld etwa wusste partout nichts mit einer E-Mail anzufangen, die sie Anfang des Jahres in Pattaya erreichte.

Venus Williams: "Ich will nur so sein wie Du." (Foto: Foto: AFP)

Die Adresse des Absenders sagte ihr nichts, gezeichnet war das Schreiben mit Martina N. Die Deutsche überlegte. Sie kannte keine Martina-N- Punkt.

Erst nach einer Weile dämmerte ihr, dass es die berühmte Martina Navratilova war, die sie zum Doppel bat. Auch Andy Murray, die neue Hoffnung des britischen Tennis, bekam während des Turniers elektronische Post.

Am Tag, als Tim Henman dem Russen Dimitri Tursunow unterlag und Murray mit einem Sieg gegen den Tschechen Radek Štepanek beinahe gleichzeitig zum neuen Liebling der Londoner aufstieg, meldete das Handy des 18-Jährigen am Abend: "SMS eingetroffen." Absender war Tim Henman. Er wünschte Murray: "Viel Glück für den Rest des Turniers." "Das", sagt Murray, "hat mir viel bedeutet."

Das Gleiche sagt Venus Williams über die Botschaften, die sie vor ihrem Halbfinale gegen Maria Scharapowa erhielt. Sie kamen von ihrer Schwester Serena. Die ist nach ihrer Niederlage in Runde drei in Wimbledon geblieben.

"Du bist immer noch die Beste"

Es ist davon auszugehen, dass sich die Schwestern öfter sehen. Trotzdem wollte die jüngere der älteren ihre Wünsche noch einmal schriftlich übermitteln. Sie schrieb Venus: "Du bist immer noch die Beste."

Venus antwortete: "Ich will nur so sein wie Du." Venus Williams hat seit 2001 keinen Grand-Slam-Titel mehr gewonnen, Serena Williams sechs. Die Trophäensammlung der Familie könnte noch um ein schönes Stück reicher sein, wenn im vergangenen Jahr Maria Scharapowa nicht gewesen wäre.

Im Finale bezwang sie Serena Williams 6:1, 6:4. Außer Aufmunterungen enthielten die E-Mails an Venus deshalb auch Tipps, wie der Russin beizukommen sei. "Familienehre" ist ein wichtiges Wort für die Williams.

Schon Venus' Outfit verriet das. Gegen Scharapowa trat sie ohne Ohrringe an. Wenn die Williams-Schwestern den Schmuck ablegen, wird's ernst. So entschlossen wie an diesem trüben Donnerstagabend hat schon lange niemand mehr Venus Williams Tennis spielen sehen.

Voller Wucht schickt sie die Schläge immer übers Netz. Dieses Mal aber paarte sich die außerordentliche Vehemenz mit einer bemerkenswerten Präzision. Scharapowa spielte nicht schlecht.

Im Gegenteil. Sie tat, was sie kann: rennen, stöhnen, kräftig schlagen. Doch das reichte nicht. Sie unterlag 6:7 (2), 1:6 und musste anerkennen: "Die Bessere hat gewonnen."

Und: "Das Niveau war heute höher als im letzten Jahr im Finale." Damals hatte sie im Überschwang versucht, mit dem Handy ihre Mutter zu erreichen. Der Versuch scheiterte. Jelena Scharapowa saß gerade im Flugzeug.

Halber Roboter

Die Episode brachte ihrer Tochter einen Sponsorenvertrag mit einer Handyfirma ein. Inzwischen wirbt diese mit dem Slogan: "Motomaria!" Als sei die 18-Jährige ein halber Roboter. Moderne Zeiten eben.

Schön, dass im zweiten Halbfinale das Kontrastprogramm gegeben wurde: Lindsay Davenport gegen Amélie Mauresmo. Davenports Familie hält Rottweiler. Seit Generationen. Mauresmo sammelt Wein, vor allem roten. 600 Flaschen hat sie im Keller. Die teuerste ist ein Mouton Rothschild von 1982. Wert: 900 Euro, Tendenz steigend. Die Zeit tut manchem Wein gut. Wie Mauresmo. Und Davenport.

Mit 30 wieder nah am Titel

Im Juli 2004 hatte sie in Wimbledon erklärt, nie mehr wiederkommen zu wollen. "Das war wirklich so", sagt sie: "Ich fühlte mich nicht mehr gut genug für den Titel. Ich war froh, einfach dabei sein zu dürfen. Nachdem ich meine Klappe aufgerissen hatte, habe ich plötzlich wieder besser gespielt. Jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen aufzuhören."

Mit 30 ist sie unverhofft in der Nähe ihres vierten Grand-Slam-Titels. Mauresmo ist 25. Zum dritten Mal hat sie es in Wimbledon ins Halbfinale gebracht. Weiter kam sie bei Grand Slams einmal: 1999 in Australien.

Im 30.Versuch bot sich ihr die Chance zum großen Durchbruch. Doch wie so oft spielten ihre Nerven nicht mit, vor allem am Ende des zweiten Satzes, den die Französin im Tie-Break verlor.

Im dritten Durchgang führte Davenport 5:3, als der Regen kam. Das Match wurde unterbrochen. Als es am Freitag weiterging, dauerte es nur sieben Ballwechsel, dann hatte Davenport 6:7 (5), 7:6 (4), 6:4 gewonnen. Sie ging glücklich, Mauresmo enttäuscht.

Beide gingen unprätentiös. Im Finale treffen sich nun zwei alte Bekannte. 26 Mal ist Lindsay Davenport schon angetreten gegen Venus Williams. Unmittelbar nach dem Halbfinale klingelte deren Handy. Serena rief an. Sie bat die Schwester: "Ich will ein Autogramm!"

© SZ vom 2.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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