Wimbledon: Männer:Die Verschlissenen und der Frischling

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Andy Murray und Novak Djokovic zollen den Anstrengungen der vergangenen Jahre Tribut. Der ausgeruhte Roger Federer hingegen profitiert indes von seiner Strategie des Auslassens.

Von Barbara Klimke, London

Der Morgen war warm, die Luft klar und mild, und an der Church Road im Süden Londons blühten weiter die Hortensien und Petunien. Doch Andy Murray, der Titelverteidiger, verzichtete am zehnten Tag der Championships auf Training aller Art und wollte stattdessen abseits vom All England Club seine Getreuen zu einer Not-Sitzung um sich versammeln. Zur Diskussion steht die Frage, wie es weitergehen soll für den Weltranglisten-Ersten nach seinem Viertelfinal-Aus in Wimbledon.

Ein wenig ratlos wirkte Murray am Vortag nach seiner Fünfsatzniederlage gegen den Amerikaner Sam Querrey. Dass er sich zwischen den Punkten humpelnd zur Bank bewegte, war für die 15 000 Zuschauer auf dem Centre Court kaum zu übersehen. Er hatte sich schon durch die ersten Runden des Turniers mit Hüftbeschwerden gequält, die ihn seit Jahren, mal mehr, mal weniger, plagen. "Verschleißerscheinungen", lautet seine Selbstdiagnose. Er habe versucht, sein Bestes zu geben, sagt er bedauernd, aber in den beiden letzten Durchgängen der Partie (6:3, 4:6, 7:6, 1:6, 1:6) reichte das nicht mehr. Mit seinem Trainer Ivan Lendl, Konditionstrainer Matt Little, mit dem Physiotherapeuten, Assistenztrainer und dem Rest des Teams, einschließlich Gattin Kim, will Murray nun entscheiden, ob es nicht besser ist, statt der Vorbereitung auf die Hartplatz-Saison eine längere Erholungspause einzulegen.

Murray, 30, blieb nicht der einzige Versehrte an diesem Tag. Kurz nach ihm legte Novak Djokovic, ebenfalls 30 Jahre alt und die Nummer vier der Welt, mitten im zweiten Satz, beim Stand von 6:7 und 0:2 gegen den Tschechen Tomas Berdych, abrupt das Racket aus der Hand. Eine Ellbogenverletzung am Schlagarm, erläuterte er später, habe ihn zur Aufgabe gezwungen. Auch dies sind offenbar wiederkehrende Beschwerden. "Wir beide hatten ein sehr langes, sehr hartes Jahr. Unsere Körper mussten eine Menge aushalten", sagte der zwölfmalige Grand-Slam-Sieger. Dass er tags zuvor nicht wie die Kollegen ruhen konnte, sondern sein Achtelfinale nachholen musste, habe "nicht gerade geholfen". Die Halbfinals am Freitag bestreiten Sam Querrey (USA) und Marin Cilic (Kroatien) sowie Thomas Berdych und Roger Federer.

Auch Rafael Nadal, 31, ist in London früh gescheitert, was kaum verwunderte nach den phänomenalen Erfolgen in der strapaziösen Sandplatzsaison. Für die Zuschauer mag nun ein gewisser Reiz des Neuen darin liegen, wenn sich statt der Glorreichen Vier des Tennis - Murray, Federer, Nadal, Djokovic - zur Abwechslung andere Athleten um den Goldpokal von Wimbledon duellieren. Bei Federer indes löste das unplanmäßige Aus der alten Wegegefährten ehrliches Bedauern aus: "Ich hoffe als Rivale und Freund, dass es ihnen bald wieder besser geht. Natürlich möchte ich, dass sie bald wieder gesund sind." Die Genesungswünsche verband er mit einer medizinischen Diagnose: So etwas könne immer passieren - vor allem im fortgeschrittenen Alter.

Federer ist fast 36, er hat jüngst am eigenen Leibe erfahren, wie die Zeit an den Knochen nagt. Nadal, Murray und Djokovic sind nicht viel jünger. Welchen körperlichen Belastungen sich dieses Quartett über die Jahre aussetzte, lässt sich am Beispiel der Siegerlisten der Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York illustrieren. Seit 2005, als Nadal erstmals die French Open in Paris gewann, fanden 48 Grand Slams statt - und 43 von 48 Titeln hat einer der Glorreichen Vier gewonnen. Auch deshalb war Roger Federer von der Verletzung des serbischen Kollegen Djokovic nicht überrascht: "Novak hat im Grunde nie ein wichtiges Turnier ausgelassen", analysierte der Schweizer. "Ich will nicht behaupten, dass solche Dinge leider zwangsläufig früher oder später passieren müssen, aber er hat wirklich viel gespielt in letzter Zeit. Eine Verletzung ist da fast normal." Im Falle Murrays hingegen zeigte Federer Verständnis dafür, dass der Brite trotz Schmerzen den Versuch wagte, auf Wimbledons Rasen vor eigenem Publikum seinen Titel zu verteidigen: "Davor habe ich eine Menge Respekt", sagte er. "Ich hoffe nur, dass er die Sache nicht schlimmer gemacht hat."

Der Stratege Federer hat seinen eigenen Weg gefunden, die Belastung an Bändern und Sehnen zu minimieren. Nach seinem Triumph bei den Australian Open im Januar über Nadal und zwei weiteren Siegen in Miami und Indian Wells im Frühjahr gönnte er seinem Körper eine Pause. Erstmals in seiner Karriere ließ er die gesamte Sandplatzsaison aus - eine in Tenniskreisen nicht unumstrittene Entscheidung. Doch es war die Lehre aus dem letzten Jahr, in dem Federer erstmals Schmerzen im Knie und am Rücken spürte. "Für mich war das der richtige Weg", sagte er. "Das heißt aber nicht, dass es für alle ein Patentrezept ist."

Jetzt fühlt er sich gewappnet, sein nächstes großes Ziel anzugehen, den achten Wimbledon-Titel zu gewinnen. "Ich spiele gut. Ich bin frisch. Ich bin ausgeruht", sagte er nach dem Revanchesieg über den Kanadier Milos Raonic (6:4, 6:2, 7:6), dem er vergangenes Jahr noch unterlegen war. Und so war an dem Abend, an dem sich eine kleine Götterdämmerung über den Centre Court legte, von Federer nur zu vermelden: Er hatte vergangene Woche Schnupfen - aber das ist überstanden.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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