Wimbledon im DSF:Rechnen Sie mit allem!

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Beim Deutschen Sport-Fernsehen wird Tennis aus Wimbledon nur noch nebenher gezeigt. Während in England längst die Bälle fliegen, muss der Zuschauer Ratesendungen mit unzureichend getarnten Porträts von Sportberühmheiten über sich ergehen lassen.

Von Milan Pavlovic

Nur ein Narr glaubt, dass Glück eine Selbstverständlichkeit sein kann. Und nur ein noch größerer Narr nimmt an, dass ein Fernsehsender vornehmlich daran interessiert sein sollte, seine Senderechte sinnvoll einzusetzen.

Wer sich als Tennisfan - ja: So etwas soll es auch hierzulande noch geben - an den Standard gewöhnt hat, den Eurosport bei den vergangenen Grand-Slam-Turnieren etabliert und verfeinert hat, muss sich in diesen Tagen in die Fernseh-Steinzeit strafversetzt fühlen: in jene Ära, in der sich die ARD bei Wimbledon-Endspielen schon mal im fünften Satz verabschiedete; oder als das ZDF auf einen Fünfsatz-Thriller von Boris Becker verzichtete, um einen deutschen Heimatfilm zu wiederholen.

Obwohl, das wirkt heute vergleichsweise vernünftig, denn inzwischen wird Wimbledon vom DSF übertragen, und dieser Sender lässt Sport nicht für Filme oder Wissenschaftssendungen sausen - es sei denn, Tennisfans sind Teil eines Experiments, von dem sie noch nichts wissen.

Litanei statt Wimbledon

Wir müssen uns jetzt beeilen... Meine Sendung ist gleich zu Ende... Halten Sie jetzt durch... Wer jetzt nicht in der Leitung ist, muss kämpfen... Ich gehe davon aus, dass wir nun nach Wimbledon schalten müssen...

Wer solche Sätze, dutzendfach wiederholt, ein paar Minuten ertragen hat, möchte am liebsten kalt duschen gehen. Beim DSF dauert die Litanei regelmäßig 60 bis 85 Minuten, mindestens zweimal am Tag, und in der ersten Wimbledon-Woche immer wieder, während längst die Tennisbälle flogen.

Die einen, die mit dem freundlichen Wesen, könnten das so deuten: dass die Zuschauer in dieser Zeit dazu eingeladen werden, an einem so genannten Sport-Quiz teilzunehmen, zum Selbstkostenpreis von läppischen 49 Cent pro Anruf. Die anderen könnten behaupten, dass es der Sender auf gnadenlose Abzocke abgesehen hat, die ihn aus defizitären Quartalen in die schwarzen Zahlen geführt haben.

Wie bei 9 Live

Wenn jetzt niemand anruft, wird etwas Erstaunliches passieren... Seien Sie gespannt, seien Sie bereit... Rechnen Sie mit allem...

Wer anmerkt, dass sich das nicht sonderlich von Sendern wie 9 Live unterscheidet, hat Recht. Wer deshalb aber meint, das sei doch gar nicht so schlimm, liegt falsch. Denn wer sich für 9 Live entscheidet, der weiß, was passieren wird.

Wer das Deutsche Sport-Fernsehen einschaltet, der darf erwarten, Sport zu sehen. Und nicht ein Sport-Quiz mit unzureichend getarnten Porträts deutscher Sportberühmtheiten, die jeder Laie entschlüsseln kann - damit jeder, der ein Telefon hat, auch garantiert anrufen kann.

Wir freuen uns auf sportliche Highlights aus Wimbledon...In wenigen Minuten ist die Sendung definitiv vorbei... Ich warte auf den Buzzer...

Wenn diese Nummer und die Farce um den Jackpot mit den drei Kugeln vorbei ist, legt uns ein DSF-Duo wohlgemerkt noch ein paar Minuten lang ein Handy nahe. Und bevor es endlich auf einen Rasenplatz geht, kommt noch ein langer Werbeblock und eine bis zu zehnminütige Einleitung aus London. Zu diesem Zeitpunkt laufen die Spiele in Wimbledon schon über zwei Stunden.

Halten Sie jetzt durch... Wir müssen heute früher aufhören, Wimbledon kann nicht warten...

Glatt gelogen

Wie weit darf ein Sender die Wahrheit beugen? Man hört zum Beispiel, wie eine der Ansagerinnen dreist sagt: "Um 14 Uhr könnte es mit der Berichterstattung in Wimbledon losgehen." Da ist es 13.50 Uhr und außerdem laut Programmplan (und Videotext) klar, dass Tennis nicht vor 15 Uhr beginnt.

Eine der unaufhörlich durchs Bild wandernden Bauchbinden kündigt "In wenigen Augenblicken Tennis Live aus Wimbledon" an, wobei sich die "wenigen Augenblicke" auf 25 Minuten summierten.

Glatt gelogen wurde dann bei der ersten Schaltung nach Wimbledon, wo ein DSF-Moderator (jener, der uns eben noch das Handy andrehen wollte) und Boris Becker auf der verblüffend leeren Tribüne des Centre Courts vor der hochgezogenen Regenplane standen und sagten, es regne in England gerade mal wieder wie so oft - dabei genügte ein Blick ins Internet, um zu sehen, dass in England in diesem Augenblick sehr wohl Tennis gespielt wurde.

Griff in die Steckdose

Boris Becker, dachten die DSF-Manager offenbar, könnte ein prima Dauergast für die zwei Wochen sein. Schließlich jährt sich sein erster Wimbledon-Sieg zum 20. Mal. (Achtung: Dies ist die Antwort auf eine 20000-Euro-Jackpot-Frage!) Leider sieht der beste deutsche Tennisspieler mit seiner Frisur inzwischen nicht nur so aus, als habe er seine Finger zu oft in eine intakte Steckdose gehalten, sondern er redet im Fernsehen auch so.

Als Tennis-Profi war er oft schlagfertig und mit einem Sinn für Humor ausgestattet. Heute wirken die meisten Pointen bemüht, die Analysen und Prognosen sind dürftig, und bei Interviews wird man das Gefühl nie los, dass es ihm weniger darum geht, etwas zu erfahren, als vielmehr darum, sich und seine Geschichten zu präsentieren. Wie sagte er so treffend am Montag: "Ich war ein Phänomen."

Das Ende naht ...

Wenn dann endlich Tennis gezeigt wird, als Häppchen zwischen Quiz, Handy-Werbung und U20-WM, bekommen wir es unter anderem mit Elmar Paulke zu tun, der einen sonst bei den "Wimbledon Classics" mit seinen vorgeblichen Live-Kommentaren in den Wahnsinn treibt. Darüber wollen wir jedoch lieber schweigen, sonst zeigt das DSF am Ende gar kein Wimbledon-Tennis mehr. Aber wollen die Tennis-Fans nicht genau das?

© Süddeutsche Zeitung vom 27.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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