Wimbledon:Eintöniges von der Grundlinie

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Der Schwede Thomas Johansson hat auf verschlungenen Wegen das Halbfinale von Wimbledon erreicht. Dabei ist er das personifizierte Mittelmaß.

Von René Hofmann

Thomas Johansson hat sich über die Nebenplätze ins Halbfinale geschlichen. Im All England Club gibt es zwanzig Tenniscourts. Wer in die großen Arenen darf, entscheidet ein Komitee.

Roger Federers, Lleyton Hewitts und Andy Roddicks Weg in die vorletzte Runde war geradlinig: Centrecourt, Platz eins, Centrecourt. Thomas Johanssons Weg war verschlungen. Wer einen Plan der Anlage nimmt und all die Orte verbindet, an denen er antrat, schaut am Ende auf ein hübsches Durcheinander: Platz 13, Centrecourt, Platz Nummer zwei, wieder zurück auf Platz 13, Court Number one.

Das Muster passt zu Thomas Johansson aus Linköping in Schweden. Seit elf Jahren spielt er professionell Tennis. Richtig glatt ist seine Karriere nicht verlaufen. 2002 gewann er die Australian Open, ohne vorher je unter den besten Zehn der Rangliste gewesen zu sein. "Viele haben gesagt: So etwas schafft er nur einmal", sagt Thomas Johansson.

Er konnte den Spöttern noch nicht einmal böse sein. Er misst 1,80 Meter, für einen Tennisprofi ist das weder besonders viel noch besonders wenig. Er beherrscht viele Schläge, aber keinen auffallend gut. Thomas Johansson ist das personifizierte Mittelmaß.

"Wenn ich mein bestes Tennis spiele, kann ich mit den großen Jungs mithalten", sagt er. Aber wie oft gelingt das schon, zwei Wochen lang jeden Tag alles zu zeigen, was man kann?

An die Fittesten geraten

Nach seinem Triumph in Melbourne konnte Johansson erst einmal lange gar nichts zeigen. Das linke Knie schmerzte. So sehr, dass er sich operieren lassen musste und die Saison 2003 komplett versäumte.

Als er im Januar 2004 in Adelaide wieder zum Tenniszirkus stieß, erlebte er Ernüchterndes. Im Training spielen die Profis gerne Sätze gegeneinander. Fürs Erste suchte sich Johansson Dominik Hrbaty aus, Taylor Dent, Michael Llodra - alles keine Grand-Slam-Sieger. Fünf Tage übte Johansson mit ihnen.

Er gewann nicht einen Satz. Er wandte sich an seinen Coach: "Ich glaube, das war's." Am Ende verhalf ihm die Woche aber doch zu neuem Mut: Dent erreichte das Halbfinale, Hrbaty und Llodra bestritten das Endspiel. Zum Einstieg war Johansson gleich an die Fittesten geraten. Er entschied: "Das war's doch nicht."

Mit 29 Jahren sich noch einmal aus den Tiefen der Weltrangliste herauszukämpfen - auf den ersten Blick sieht das nach einem mühsamen Unterfangen aus. Doch Johansson fühlte sich stark. Als ihn sein Knie am Laufen gehindert hatte, hatte er entdeckt, welchen Spaß ein Fitnessstudio bieten kann. Und er sehnte sich nach Tennis wie schon lange nicht mehr.

Als er 15 war, hatten ihn seine Eltern eines Abends in die Küche gerufen. Mit traurigen Gesichtern standen sein Vater Krister und seine Mutter Maud da. Sie drucksten herum. Tagelang hatten die beiden sich bereits beratschlagt. Es fiel ihnen nicht leicht, ihrem Sohn zu sagen, was ihm das Herz brechen würde.

Ihren Wohnwagen hatten sie schon verkauft, jetzt war kein Geld mehr da, seine Tenniskarriere weiter zu unterstützen. 5000 Dollar fehlten für die nächsten Reisen. Thomas Johansson weinte. Seine Eltern weinten. Schließlich halfen ihnen drei örtliche Firmen aus.

Inzwischen wohnt Johansson in Monte Carlo, doch jeden Tag meldet er sich einmal bei Krister und Maud. Am heutigen Freitag wird der Anruf aus London SW 19 kommen, nach dem Match gegen Andy Roddick.

Zur Strafe ein Video

Johansson gibt sich selbstbewusst: "Ich weiß, was nötig ist, um ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen." Hoher Favorit ist trotzdem der US-Amerikaner. Roddick hat einen gewaltigen Aufschlag. Was Johansson hat? "Bei ihm weiß man nie, was einen erwartet", sagt BBC-Experte Michael Stich: "Ich habe ungern gegen ihn gespielt."

David Nalbandian ging es im Viertelfinale ähnlich. Von weit hinten schaufelte der Argentinier Johansson die Bälle zu. Er wartete auf Fehler. Doch Johansson leistete sich wenige. Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten siegte er 7:6, 6:2, 6:2.

Roddick benötigte für seinen Fünfsatz-Erfolg über Sebastien Grosjean nur unwesentlich länger, was den Telegraph zu der Bemerkung verleitete, wer noch einmal über die Eintönigkeit eines Serve-und-Volley-Duells schimpfe, müsse zur Strafe das Video des Grundliniengefechts zwischen Nalbandian und Johansson sehen.

Der Untergrund ist in London immer ein großes Thema. 1922 wurden die Championships auf Boden aus Cumberland ausgetragen, der offenbar der See recht nahe geraten war: Als es zu regnen begann, kamen Garnelen hervor. Dieses Mal ist den zwölf Gärtnern das Gras ein wenig stumpf geraten.

"Die Bälle springen langsamer ab", sagt Thomas Johansson. Der Begegnung mit dem Brutal-Aufschläger Andy Roddick sieht er deshalb gelassen entgegen: "Ich werde einfach die ganze Zeit über ganz hinten stehen bleiben."

© SZ vom 1.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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