Wett-Skandal:Das Fernsehgericht tagt

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Wie eine zweite Familie seien die Schiedsrichter für ihn, sagt Jürgen Jansen; leben und sterben würde er für sie. Emotional offenbar schwer angeschlagen versucht er nun, Deutschland von seiner Unschuld zu überzeugen. Von Josef Kelnberger.

Jürgen Jansen blickt schweigend zur Decke, als sein Anwalt zu Beginn die vorbereitete Erklärung verliest. Schmal und graugesichtig ist er geworden, scharfe Falten rahmen seinen Mund. Immer wieder zuckt sein Gesicht.

Beteuert seine Unschuld: Jürgen Jansen. (Foto: Foto: ddp)

Für gewöhnlich gilt der Fußballschiedsrichter Jürgen Jansen aus Essen, 44 Jahre alt, trotz seiner knorrigen Ruhrpott-Art als ruhig und ausgeglichen. Man möchte jetzt gerne hinein sehen in diesen Menschen, an dessen Schuld oder Unschuld in diesen Tagen der Ruf des deutschen Fußballs hängt.

Aber in seiner Haut stecken möchte man keinesfalls. Sollte er unschuldig sein, erlebt er einen Alptraum ohnegleichen. Sollte er schuldig sein, ist er nicht nur ein begnadeter Schauspieler, sondern auch ein Verdränger und Verleugner von Ausmaßen, die ein Mensch auf Dauer nicht aushalten kann.

Im Dienste zweier Familien

Er habe nie "... unter Verletzung des Regelwerks Einfluss auf einen möglichen Spielausgang genommen", liest Anwalt Stephan Reiffen im Namen Janssens vor, und unter Punkt 4: "Zu keinem Zeitpunkt habe ich für meine Dienste als Schiedsrichter Vorteile für mich oder dritte Personen gefordert, mir versprechen lassen oder angenommen."

Das ist noch einmal die juristische Formulierung dessen, was Jansen in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse mit dem Satz unterlegt hatte: "Ich will tot umfallen, wenn es anders ist." Den Spruch scheint er verkörpern zu wollen: leben und sterben für seine zwei Familien, die leibliche und die Schiedsrichterfamilie, der er sich mit 15 Jahren anschloss.

"Hexenjagd"

Mit schlingernder Stimme, den Tränen nahe, fordert Janssen die Öffentlichkeit auf, seine in Trennung lebende Ehefrau und seine zwei Kinder, acht und neun Jahre alt, in Ruhe zu lassen. Die Kinder würden beleidigt und bespuckt und könnten nicht mehr zur Schule gehen, sagt er. Er spricht von "Hexenjagd wie im Mittelalter". Dann grüßt er die Schiedsrichterkollegen.

"Ich weiß, was ihr durchmacht, ich weiß, dass ihr stark seid... Wir sind ein Team. Wenn dieses Verfahren abgeschlossen ist, werde ich wieder bei euch sein." Alle 22 Schiedsrichter der Ersten Liga nimmt er in seine Ehrenerklärung auf, keiner habe jemals absichtlich einen falschen Piff getan. Jansen sucht auch wieder die Nähe zum DFB, von dem er sich zuletzt im Stich gelassen fühlte; vor allem Präsident Zwanziger habe ihm Mitgefühl signalisiert.

Von der DFB-Familie nimmt er nur einen aus, natürlich, den Zweitliga-Schiedsrichter Robert Hoyzer aus Berlin, der ihn beschuldigt hat, in die Wettaffäre verwickelt zu sein. Schuld daran, dass Schiedsrichterkinder bespuckt und Schiedsrichterfamilien beleidigt würden, sei nicht er, sagt Jansen aufgebracht, sondern dieser Hoyzer, der "kommerziell beraten" werde. Jansen will hier offensichtlich Hoyzer und dem Essener Anwalt Holthoff-Pförtner, der ihn vertritt, öffentlich Paroli bieten.

Jürgen Jansen tritt in Passau auf, weil seine Eltern hier ihren Alterssitz haben. Wo, sagt er, würden Kinder in Schwierigkeiten Zuflucht finden, wenn nicht bei ihren Eltern? Am Montag hat er das Mandat dem Passauer Anwalt Reiffen übergeben, Strafrechtsspezialist, Schwerpunkt Haftungsfragen. Der spricht von der "aufregendsten Woche" seiner beruflichen Laufbahn, versucht aber, den Ball flach halten, in der Fußballersprache.

Beweisführung auf dem Bildschirm

Mit einer Verleumdungsklage würde man Hoyzer nur unnötig aufwerten, sagt er, ohnehin habe er noch keine Akteneinsicht bekommen. Die Emotionen lässt er seinen Mandanten ins Spiel bringen, dort, wo er am stärksten ist, auf dem Fußballfeld.

Das Licht wird gedimmt, es beginnt das Fernsehschiedsgericht. Jansen steht mit dunklem Sakko, rot gemusterter Krawatte und ausgewaschenen Bluejeans auf dem Podium, wie ein DFB-Lehrwart. Er presst seine Hände an den Fingerspitzen aufeinander. Auf deiner Videoleinwand erscheinen Aufnahmen von zwei Spielen. Zunächst St. Pauli gegen Leverkusen (2:2) aus der Saison 2002.

Der damalige Bayer-Trainer Klaus Toppmöller hat anklingen lassen, Jansen habe Bayer mit einem dubiosen Elfmeter die Meisterschaft gekostet. Die Bilder zeigen: Bernd Schneiders Hand wurde zwar angeschossen, aber er hatte die Hände eindeutig so gehoben, dass er die Flugbahn des Balles abdeckte.

Jansen muss nicht groß argumentieren. Heute, ohne den besengroßen Schnäuzer, sehe er besser aus als damals, sagt er. Gelächter im Auditorium. Spiel Nummer zwei, der 3:0-Heimsieg Kaiserslauterns gegen Freiburg, das Jansen laut Hoyzers Aussagen manipulierte.

"Sowas gehört zum Fußball"

Allein mit den nun häufig zitierten zwei Stürmerfouls, mit denen Carsten Jancker zwei Tore vorbereitete, lässt sich Manipulation schwerlich belegen. Nach Janckers Kopfballvorlage zu Tor Nummer eins reklamierte nicht einmal dessen Gegenspieler. Vor Tor Nummer zwei beging Jancker tatsächlich ein Foul.

Das gibt auch Jansen zu, aber aus seiner Position heraus habe er das kaum beurteilen können. Einer der üblichen Fehler, sagt Jansen aufgewühlt, "sowas gehört doch zum Fußball". Vom Zweitligaspiel Dresden - Unterhaching (1:0), der zweiten Partie, mit der ihn Hoyzer belastet, kann Jansen eine überragende Beurteilung durch den DFB-Beobachter vorweisen und die Note aus dem kicker: 1,5.

Jansen hat sich mit seinem Anwalt alle inkriminierten Spiele angesehen und empfiehlt das auch den Journalisten, nirgendwo seien Indizien für Manipulation zu finden. Aber er weiß wohl, dass er auch so keine definitive Entlastung erfahren wird.

Spiele könnten auch ohne seine Eingriffe in die gewünschte Richtung gelaufen sein. Warum sollte Robert Hoyzer ausgerechnet ihn beschuldigen? Abgesehen davon, dass Hoyzer zwei seiner Bundesligaspiele als vierter Schiedsrichter begleitete, hatten sie keinen Kontakt, sagt Jansen.

Den Dresdner Schiedsrichterbetreuer Wieland Ziller, einen ehemaligen Fifa-Schiedsrichter, kennt Jansen gut. Der soll, so hat Hoyzer angeblich ausgesagt, für die Wettmafia den Kontakt zu Jansen hergestellt haben.

Üppige Abfindung

Jansen wiederum versichert, über die im Geschäft üblichen Frotzeleien hinaus sei er niemals aufgefordert worden, Spiele zu verpfeifen. "Im Sinne der Manipulation: nein". Die Staatsanwaltschaft untersucht, ob Schiedsrichter wegen Besuchen im Rotlichtmilieu angreifbar waren - ob diese Besuche üblich seien? Jansen sagt "Nein" und blickt auf die Tischplatte.

Warum er seine Anstellung bei einem Versicherungskonzern aufgab, obwohl er in drei Jahren dem Alterslimit für Referees zum Opfer fällt? Die Abfindung sei üppig gewesen, erwidert Jansen, zudem hätte er andernfalls die Schiedsrichterei aufgeben müssen. Einmal will er das Pokalfinale in Berlin pfeifen, den Traum hege er immer noch. Jansen wird ganz gefühlig bei dem Gedanken.

"Liebe Fernsehzuschauer", sagt Jürgen Jansen zuletzt in die Kameras, "die Bundesliga ist sauber." Dann geht er mit seinem Anwalt und seinem Traum vom Pokalfinale und fährt davon. Man hat Vorkehrungen getroffen, um Reporter abhängen zu können.

© SZ vom 05.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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