Weltsportler, Teil X: Yao Ming:Draußen in der weiten Welt

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Der Basketballprofi Yao Ming vereint die Interessen von Ost und West - Amerika feiert ihn als exotische Geldquelle, China als Nationalidol.

Von Kai Strittmatter

Yao Ming ist erst 23, aber schon ein großer Mann. Wäre er noch ein Stückchen weiter gewachsen, die Chinesen hätten kein Raumschiff gebraucht, um nach den Sternen zu greifen, Yao hätte sich nur noch ein wenig mehr strecken müssen, als er es jetzt schon tut, bezeichnenderweise bei einem Basketball-Team, das die Rakete im Namen führt: den Houston Rockets.

Der Basketball-Riese Ming beim Korbwurf. (Foto: Foto: AP)

Wahrscheinlich musste es so kommen, bei einem Großvater, der 2,04 Meter maß, bei einem Vater, der da noch einmal vier Zentimeter drauflegte. In der dritten Klasse Grundschule war Yao Ming schon größer als viele Chinesen jemals werden: ein Meter siebzig. Und heute? 2,26 m messen die einen, 2,28 oder 2,29 die anderen - was wahrscheinlich daran liegt, dass es keiner jemals schaffte, selbst das Maßband zu seinem Scheitel hochzureichen.

Yao Ming sagt: "Ich bin bloß einer von 1,3 Milliarden Chinesen." Rick Burton, Marketing-Experte von der Universität Oregon, ist nicht ganz dieser Meinung und sagt: "Er ist Elvis." Yao Ming hat sich den Ruf erworben, ebenso bescheiden wie humorvoll zu sein. Das obige Zitat von ihm ist eigentlich nur als Witz zu verstehen. Burton sagt: "Er ist ein amerikanisches Idol geworden." Der Chinese. Der gerade mal ein Jahr in den USA lebt.

Aber er ist noch etwas: die Hoffnung, der Stolz seines Heimatlandes. Ein Symbol. In China melken sie ihn des Patriotismus wegen, in Amerika wegen des Geldes. Und das ist erst der Anfang. Yao Ming ist längst mehr als ein normaler Chinese, er ist auch mehr als ein Basketballspieler.

Er wirft, er lächelt, er verkauft

Nun werden ja die längsten Menschen eines Volkes nicht automatisch auch die berühmtesten und beliebtesten. Darf sich Yao Ming also bei den Amerikanern bedanken, bei den sportverrückten Fans, Funktionären und Fernsehleuten von heute, die ihn zum Star gemacht haben? Bei denen auch. Zunächst aber einmal bei den amerikanischen Missionaren, die vor mehr als einem Jahrhundert den ersten Basketball in den ersten Korb auf chinesischem Boden warfen und so - wenn man den Glaubenssätzen mancher Yao-Ming-Fans lauscht - den Keim pflanzten für Chinas Wiederaufstieg in der Wertschätzung der Welt.

Bedanken darf er sich auch bei Chinas Reformern, die dafür sorgen, dass der Kapitalismus Heimstatt findet in ihrem Reich, mit all seinen Segnungen wie Sportschuh-Merchandising und Samstagmorgen-NBA-Live-Übertragungen. Chinas Kader zwacken zwar kräftig ab von all den Dollar-Millionen, die ihr Wunderjunge in den USA verdient, aber sie haben ihm immerhin das Schicksal seines Vaters erspart.

Vater Yao Zhiyuan war auch ein Basketballer, stolperte aber mitten hinein in die Kulturrevolution und durfte seine besten Jahre als guter Proletarier an der Werkbank verbringen statt auf dem Spielfeld. Sohn Yao Ming spielt im Paradies der Basketballer, in der NBA.

Yao ist nicht der erste Chinese, der in die amerikanische Profiliga kam. Aber er ist der erste, der sie im Sturm nahm. Im Herbst 2002, als endlich die Erlaubnis der chinesischen Behörden zum Auszug ins gelobte Land vorlag, setzte ihn die NBA als ersten Ausländer überhaupt auf Platz eins ihrer Rekrutierungs-Liste.

Die Houston Rockets zahlten 17 Millionen Dollar für Yao. Im Januar blockierte er in einem dramatischen Spiel die ersten drei Wurfversuche von NBA-Star Shaquille O'Neal und verhalf seinem Team so zum Sieg gegen die Los Angeles Lakers. Im Februar wählten ihn die Fans ins All-Star-Team - mit den meisten Stimmen. Im selben Monat hob ihn Sports Illustrated aufs Titelbild mit der Schlagzeile: "Er wirft, er lächelt, er verkauft."

Was auch immer er noch vollbringen wird, Yao Ming hat schon jetzt eine Pioniertat vollbracht: Er hat 1,3 Milliarden Chinesen im Westen ein Gesicht gegeben.

Er wirft. Yao ist ein Riese - aber von einer Sensibilität im Spiel, die vielen der Basketball-Hünen abgeht, die ihre Lufthoheit lediglich dazu nutzen, den Ball unbehelligt in den Korb plumpsen zu lassen, und ansonsten recht unbeholfen über den Platz watscheln. US-Kommentatoren loben Yaos Überblick und vergleichen sein Ballgefühl mit der "Berührung durch eine Feder" ( Time).

In China, in seiner Zeit bei den Shanghai Sharks, beherrschte er die Liga unangefochten. In den harten Spielen der NBA fühlte er sich zu Beginn "wie im Krieg", man sah ihn oft zu Boden gehen. Aber er lernte schnell. Trotz allen Drucks, den er selbst oft als "enorm" beschrieb: Yao Ming wirft nicht nur für sich selbst, auch nicht nur für die Rockets - er wirft für China, für alle 1,3 Milliarden Menschen dort.

Gegentyp zu den verzogenen Buben der NBA

"Natürlich sind wir stolz auf ihn." Li Mei verkauft CDs im südchinesischen Yangshuo. Selbst spielt sie Fußball - und drückt doch Yao Ming die Daumen. Er lebt den Traum von so vielen: "Er hat Erfolg! In den USA!", sagt Li Mei. "Das ist draußen, das ist die Welt."

Noch gestern war China ein fußballverrücktes Land. Nun, glauben einige, sei Basketball dabei, Fußball als populärste Sportart zu überholen. Wegen Yao Ming, mit dessen Namen die meisten Chinesen noch vor einem Jahr nichts anzufangen wussten. Weil es immer um mehr als Sport geht, besonders in China, wo die Jagd nach Geld und Ruhm die Werte der Alten abgelöst hat, wo sie sich wieder Größe und Anerkennung wünschen.

Zhong Delin, ein 23-jähriger Buchhalter aus Kanton, spielt selbst Basketball und schaut sich alle Spiele an am Wochenende. Warum, Zhong Delin, seid Ihr gerade so verrückt nach Yao Ming, er war doch nicht der erste Chinese in der NBA? Erstens, sagt Zhong, ist der andere nicht so gut. Vor allem aber: "Er ist ein Verräter." Wang Zhizhi heißt der andere - er gilt bei Chinas Kadern und Medien als Deserteur, seit er sich Ende 2002 weigerte, für ein Spiel der Nationalmannschaft nach China zurückzufliegen. Yao Ming würde so etwas nie einfallen. Er hat für SARS-Opfer in seiner Heimat gesammelt und China gerade zum Asienmeister gemacht.

Er lächelt. Als Kind wurde er viel gehänselt. Langer Lulatsch. China ist anders als die USA. In China ist es nicht gut, aufzufallen, egal ob als Kind oder als Erwachsener. Vielleicht rührt auch daher seine Bescheidenheit. Geld bedeute ihm nicht viel, behauptet er gern, und erzählt, wie er als 16-Jähriger mit dem Profi-Basketball angefangen habe, um sich passende Schuhe für seine Riesenfüße leisten zu können.

"Er hat stets fleißig seine Hausaufgaben erledigt, war gehorsam und wohlerzogen", steht in einer chinesischen Biographie über ihn. In Houston wohnt er mit seiner - 1,88 Meter großen - Mutter Fang Fengdi, selbst eine Basketballerin. Ein Braver ist Yao, immer bemüht, höflich zu sein und gute Manieren zu zeigen. Das gefällt den Amerikanern. Sie sehen ihn als erfrischenden Gegentyp zu den vielen verzogenen Buben der NBA, die sich vornehmlich damit beschäftigen, ihren Ruhm in Drogen- und Sex-Skandale umzumünzen.

Botschafter seines Volkes

Das Magazin Time stellte im April erstaunt fest, Yao Ming sei "möglicherweise in den USA schon populärer als in seiner Heimat". Das schafft man nicht als bloßer Langweiler. Also ergänzt Yao Ming seine guten Manieren durch Intelligenz und selbstironischen Witz.

Bei seinem ersten Thanksgiving-Dinner in Houston meinte er, die Truthahnbrust sei ja strohtrocken gewesen, jetzt wolle er, wie er das in China gewohnt sei, den guten Teil essen: Wo also bitte seien die Füße des Vogels?

Und als Shaquille O'Neal in einer TV-Talkshow - offensichtlich genervt vom schnellen Ruhm des Neuen - ein böses Foul beging und spottete: "Sag Yao Ming 'Tsching-tschong-yang-wah-ah-so'", ließ Yao den schlechten Witz eiskalt an sich abtropfen. Ja, sagte er, Chinesisch sei in der Tat eine schwierige Sprache, er selbst habe als Kind auch große Schwierigkeiten damit gehabt.

Er verkauft. Sein Image hat Yao Ming in den USA schon jetzt in Werbeclips gehievt, in denen zuvor nie ein Basketballer zu sehen war: Apple verkauft mit Yaos Länge sein kleinstes Notebook, Visa mit Yaos radebrechendem Englisch seine Kreditkarte.

Hinter Yaos Einkauf durch die NBA steht aber die Erwartung eines viel größeren Coups: Mit Yao wollen die Amerikaner endlich den chinesischen Markt knacken, an dessen Eingangstor sie schon Jahre mit eher bescheidenem Erfolg herumbohren. Und das Kalkül scheint aufzugehen. Innerhalb eines Jahres ist Yao Ming zum größten Star seines Landes und Basketball zum Quotenhit in China geworden. 168 Spiele der NBA werden dieses Jahr in China übertragen, die Zahl der Zuschauer hat sich verdoppelt.

In den USA verfolgen im Durchschnitt 1,1 Millionen Haushalte ein NBA-Spiel - in China sind es mittlerweile 15 Millionen (Wiederholungen inklusive). Den prächtigsten Yao-Ming-Bildband hat ausgerechnet der Verlag der Akademie für Sozialwissenschaften in Shanghai heraus gebracht. Titelzeile: "Wer wird morgen Yao Mings Braut?"

Es kann nicht einfach sein, Yao Ming zu sein. Wenn es nur darum ginge, einen Ball in einen Korb zu werfen, dann vielleicht schon. Aber Yao soll der Botschafter seines Volkes sein, China Respekt verschaffen, seinen Arbeitgebern Reichtümer. Schon trompeten Leute wie Rockets-Besitzer Leslie Alexander, Yao Ming werde eines Tages größer sein als Michael Jordan je war, ja, er sehe ihn einmal als das "Nummer-eins-Idol der Welt".

Seine Fans haben die "Ming-Dynastie" ausgerufen. Und Yao Ming klingt bei aller Bescheidenheit nicht so, als halte er das für ein anmaßendes Bild. Er sagt nur: "Eine Dynastie errichtet man nicht an einem Tag." Was aber meint die Mama dazu? Was eine Kaiserinmutter eben so meint: "Er muss viel mehr essen, damit er kräftig wird."

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