Weltmeisterschaft 2006:Demonstration des Unmuts

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Ein Jahr vor der WM ist die Stimmung bei den Fans mies. Gerade jene Fußballanhänger, die in den Kurven für Stimmung sorgen, sehen sich als Opfer eines wachsenden Sicherheitswahns.

Christoph Biermann

Mehr als tausend Demonstranten aus dem ganzen Land haben sich angemeldet, um auf das Drehbuch der kommenden zwölf Monate einzuwirken.

"Im Moment wird ein falscher Film gefahren", sagt Henning Schwarz von den Ultras Frankfurt, die bei der Demonstration des Unmuts die Organisation am Ort übernommen haben.

Am Mittwoch um 18 Uhr, drei Stunden vor Beginn des ersten Spiels der deutschen Nationalmannschaft im Rahmen des Konföderationen-Pokals, werden Fußballfans von 40 deutschen Klubs ihrem Unmut Ausdruck geben.

Unter dem Motto "Getrennt in den Farben, vereint in der Sache" wollen sie sich gegen das wehren, was Schwarz "die zunehmende Repression der Exekutive" nennt.

Konflikt mit der Polizei

Ohne Zweifel ist ein Jahr vor Beginn der Weltmeisterschaft die Stimmung an der Basis so schlecht wie lange nicht.

Gerade jene Fußballanhänger, die fast alle Spiele ihrer Klubs besuchen und in den Kurven für Stimmung sorgen, sehen sich als Opfer eines wachsenden Sicherheitswahns wegen der WM 2006.

Dieser Eindruck entsteht in Folge einer Mischung aus martialischer staatlicher Rhetorik, undurchsichtigen Einträgen in die Datei "Gewalttäter Sport" und scheinbar veränderter Polizeistrategie. "Es wird von der Polizei nicht mehr auf Deeskalation gesetzt", behauptet Schwarz.

Gerade in den letzten Wochen der Saison häuften sich die Beschwerden über Polizeieinsätze, die aus dem Ruder gelaufen waren, ob in München, Mönchengladbach oder Schalke.

Das Vorgehen der Polizei bei der Aufstiegsfeier von Eintracht Frankfurt wurde sogar in Bild als "gewaltig überzogen" kritisiert. In einer Umfrage der Zeitschrift Stadionwelt bei den größten Ultra-Gruppierungen deutscher Profiklubs kommt das Problem ebenfalls klar zum Ausdruck.

Während das Verhältnis zu den Ordnungsdiensten der eigenen aber auch fremden Klubs im Vergleich zum Vorjahr von Dreiviertel der Befragten als gleichbleibend oder verbessert bezeichnet wird, sind die Ergebnisse bei der Polizei erschreckend. Über 60 Prozent bezeichnen das Verhältnis als verschlechtert.

Schilys knallharte Linie

Zur veränderten Stimmung beigetragen haben auch die Einträge in die Datei "Gewalttäter Sport", in der zur Zeit 6300 Namen gespeichert sind. Dort landet nicht nur, wer wegen eines Gewaltdelikts verurteilt wurde oder gegen wen ein Verfahren läuft.

Gefüttert wird die Datei von lokalen Polizeistellen auch dann, "wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sich diese Personen zukünftig im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen werden".

Der Betroffene dieser quasi prognostischen Verurteilung wird darüber noch nicht einmal benachrichtigt, dabei kann der Eintrag sogar Ausreiseverbote zur Folge haben.

Die Organisatoren der Frankfurter Demo klagen, dass es inzwischen schon reicht, in der Öffentlichkeit zu pinkeln, um als "Gewalttäter Sport" geführt zu werden. Für auch "unter datenschutzrechtlichen Aspekten höchst problematisch" hält die Datei Rolf Gössner, der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.

Er rät friedfertigen Fans, "sich mit den unterschiedlichen polizeilichen Möglichkeiten, in die sie kommen können, vertraut zu machen". Es klingt wie ein Aberwitz, dass im Stadion eine Gefahr von der Polizei ausgehen soll.

Distanzwaffe "Taser"

Zum Entstehen dieses Eindrucks hat nicht zuletzt die Politik beigetragen. "Die Stadien werden die sichersten Orte in Deutschland sein", hat Otto Schily dieser Tage angekündigt. Fußballanhängern gegenüber fährt der Bundesinnenminister längst eine knallharte Linie.

Auch sonst sehen sich die Fans mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen konfrontiert. In Hamburg etwa lud die Polizei örtliche Fans zur Informationsveranstaltung über das verschärfte Polizeigesetz, das nun auch den Einsatz der äußerst umstrittenen Distanzwaffe "Taser" erlaubt.

Den staunenden Besuchern wurde geraten, einen eventuell damit getroffenen Fan aufzufangen, damit der durch "Taser" kurzzeitig gelähmte sich beim Sturz keine schweren Verletzungen zuzieht. "Die Signale, die derzeit an Bürger und Gäste ausgesendet werden, halten wir für problematisch", sagt Michael Gabriel, Mitarbeiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) in Frankfurt am Main. Sie würden eher die Angst schüren als ein Gefühl der Sicherheit hervorrufen.

Bei der Umfrage von Stadionwelt ergab sich auch, dass fast zwei Drittel der befragten Fan-Gruppierungen eine Zunahme der Gewaltbereitschaft sehen. Erklärt wurde diese jedoch mehrheitlich durch das, was als Repression bzw. Provokation durch Polizei und Ordner erfahren wird.

Der WM-Slogan "Die Welt zu Gast bei Freunden" wird an der Basis nur noch höhnisch gesehen. "Die Welt zu Gast - fühl Dich wie im Knast", heißt es auf einem T-Shirt, das sich längst reger Nachfrage erfreut.

Die Frankfurter Demo am Mittwoch hingegen scheint in guter Atmosphäre stattfinden zu können. "Die Polizei zeigt sich sehr kooperativ", sagt Henning Schwarz, "und mit uns ist sie auch sehr zufrieden." Auch das gibt es noch.

© SZ vom 14.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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