Wales gewinnt 1:0 durch Eigentor:Viele Argumente für den Brexit - aus der EM

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Nach einer Partie, bei der man den Ball auch gegen ein Rugby-Ei hätte tauschen können, braucht Wales die Hilfe der Nordiren, um weiterzukommen.

Von Javier Cáceres, Paris

Das Pariser Prinzenparkstadion ist Walisern und Nordiren bestens bekannt, sie sind schon oft hierher gepilgert. Der Grund war freilich nie Fußball. Sondern stets Rugby, der in beiden Ländern als Nationalsport durchgeht. Das Prinzenparkstadion war lange die Heimstatt der Five-Nations-Spiele auf französischem Grund. Am Samstag, dem Tag nach dem "Brexit", fand dort das erste K.o.-Runden-Duell zweier britischer Mannschaften bei einem internationalen Fußball-Turnier statt: Nordirland gegen Wales, sinnigerweise geleitet von einem englischen Schiedsrichter namens Martin Atkinson. Es wurde ein bedrückend schlechtes Spiel, in dem Wales durch ein Eigentor von Gareth McAuley siegte (75.). "Dies ist eine sehr grausame Weise, ein Spiel zu verlieren", sagte der niedergeschlagene nordirische Trainer Michael O'Neill. Wales trifft nun im Viertelfinale auf den Sieger aus der Partie, die Belgien und Ungarn am Sonntag austragen.

Das Spiel war insofern mit einem überraschenden Beginn gesegnet, als alle Auguren dementiert wurden. Sie hatten prognostiziert, dass der nordirische Torwart Michael McGovern gute Chancen haben würde, wie schon bei der 0:1-Vorrunden-Niederlage gegen Deutschland im Zentrum des Geschehens zu stehen. Doch den Keeper hätte man in der ersten Halbzeit auch gut zum Zigarettenholen schicken können.

Wales konnte mit dem Ballbesitz nur wenig anfangen

Das lag einerseits daran, dass die Nordiren im Rahmen ihrer wirklich limitierten Möglichkeiten so spielten, wie ihre Landsleute beim Brexit-Referendum abgestimmt hatten: für den Verbleib in Europa. Den Walisern hingegen - die sich mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen hatten - fiel so viel Ballbesitz zu wie wohl noch nie bei einem Spiel, das nicht Rugby heißt. Das Problem war, dass sie damit nichts anzufangen wussten. Es fehlte an überzeugenden Ideen und dann auch noch an der Fähigkeit, die schnellen, direkten Konter der Nordiren abzufangen. Und das wäre in der 23. Minute fast ins Auge gegangen.

Nordirlands Mittelfeldspieler Stuart Dallas vom englischen Zweitligisten Nottingham Forest kam nach zehn Minuten zu einem Weitschuss. Doch der walisische Torwart Wayne Hennessey (Crystal Palace) lenkte zur Ecke ab. Die Waliser konnten hingegen nur mit einem Abseitstor von Aaron Ramsey aufwarten, das zu Recht nicht anerkannt wurde (19.).

Die Sterilität der Waliser war auch darauf zurückzuführen, dass der walisische 100-Millionen-Euro-Stürmer von Real Madrid, Gareth Bale, keinen Weg fand, Einfluss auf das Spiel zu nehmen. Wenn man den Nordiren neben dem Mut etwas attestieren konnte, dann ein großes Geschick beim Bau eines Käfigs, aus dem Bale nie richtig herausfand. Wobei er auch hart rangenommen wurde, zwei überaus harte Fouls an dem Waliser zogen Gelbe Karten für Stuart Dallas und Steven Davis nach sich. Auch der zweite Star der Waliser, Ramsey, kam überhaupt nicht ins Spiel. "Meine Spieler haben das extrem gut gemacht", lobte Trainer O'Neill.

Nordirlands Kick-and-Rush ohne Ertrag

Erst nach der Pause hatte Bale einen bemerkenswerten Auftritt. Er holte erst einen Freistoß heraus und trat diesen dann auch, in mittlerweile altbekannter Manier: mit diabolischem Effet. McGovern parierte aber den tückischen Ball glänzend (58.).

Danach geriet die Partie endgültig zu einem Argument für den Brexit - aus der EM. Denn fußballerisch war das Niveau unterhalb des EM-Standards, phasenweise hätte man den Ball gegen ein Rugby-Ei austauschen können, schlimmer wäre das Spiel kaum gewesen. Die Waliser kamen mit der Rolle des Favoriten überhaupt nicht zurecht, sie schienen den Nordiren die Rolle des Underdogs zu neiden.

So musste das Siegtor der Waliser durch ein Eigentor zustande kommen. Bale, der nach einer langen Zeit der Orientierungslosigkeit im Mittelfeld auf die linke Angriffsseite gewechselt war, flankte einen Ball scharf in den Fünf-Meter-Raum, wo Innenverteidiger Gareth McAuley vor dem eingewechselten Mittelstürmer Hal Robson-Kanu retten wollte - und den Ball ins eigene Tor lenkte (75.).

Damit war das Spiel im Grunde gelaufen, zu absehbar war, dass danach alle fußballerischen Defizite der Nordiren zutage treten würden. Der Wille, zumindest noch den Ausgleich zu erzielen, war erkennbar. Doch viel mehr als klassisches Kick-and-Rush fiel den Nordiren nicht ein. "Wir haben nicht das bekommen, was wir verdient gehabt hätten", sagte Trainer O'Neill. Die Waliser hingegen feierten auf dem Feld mit ihren Kindern, Bale verfolgte seine Tochter zur Gaudi der Fans. Am Sonntag haben sie frei: "Wir müssen mal 24 Stunden voneinander entfernt sein", sagte Trainer Chris Coleman, für den freien Tag seien die Familien eingeflogen. "Nach diesem Sieg wird das noch süßer."

© SZ vom 26.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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