Wahl der Olympiastadt 2012:Die Toreros verlassen die Deckung

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Paris und London sind die Favoriten, aber Madrid ist ein hofierter Außenseiter bei der Entscheidung in Singapur.

Von Thomas Kistner

Sanft brummend zwängt sich der Lindwurm aus IOC-Mitgliedern, Staatschefs und gekrönten Häuptern durch die Edelholzröhre des "Esplana-de Theatres", am dicksten ist der Strom der Erlauchten dort, wo sich eine einzelne Dame mit schlichtem Dresscode und bulligem Bodyguard zu den besseren Plätzen bewegt. Hillary Clinton ist der Star auf diesem Parkett, bei jedem Shakehands drehen ihre Augen auf volle Strahlkraft.

So gewinnend wird sie auch Mittwoch, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) Paris, London, Madrid, Moskau oder New York zum Spieleort 2012 erwählt, ihre Stadt als "einziges Olympisches Dorf" anpreisen. Nur leider werden das Jacques Chirac sowie die Ministerpräsidenten Jose Luis Rodriguez Zapatero und Michail Fradkow ebenso tun, und Tony Blair tat es gleich drei Tage lang.

Aufmunternde Worte von Jacques Rogge

So gab die Eröffnung der 117. IOC-Session im Opernhaus zu Singapur nur den glitzernden Rahmen ab für das finale Hauen und Stechen der Kandidaten. Alle fünf seien fähig, erstklassige Spiele zu veranstalten, sagte IOC-Chef Jacques Rogge und spendete vorausblickend Trost: "Vier von ihnen werden tief enttäuscht sein, doch das IOC würde sie gern als großartige Kandidaten wiedersehen." Die Anwesenheit Clintons nutzte Rogge zu einem kleinen Hinweis auf die in den USA grassierende Dopingmentalität, verpackt in listiges Lob: "Wir freuen uns über die Fortschritte unserer amerikanischen Freunde und speziell über die Bemühungen des US-Kongresses."

Derweil war die letzte Runde in der Lobby des Raffles-Hotels an Madrid ge-gangen. Die spanische Bewerber-Armada hatte am Tag vor der Wahl die Bühne für sich, die Konkurrenz war anderwei-tig ausgelastet. New York musste bis Mittag bangen, überhaupt zugelassen zu werden zur Kür, weil die IOC-Prüfer im Stadtteil Queens noch rasch den neuen Stadionstandort begutachten mussten.

Das grüne Licht kam wie erwartet, doch beflügelt hat die Last-Minute-Peinlichkeit den Bewerber wohl ebenso wenig wie die Präsentation des von schwerer Krankheit gezeichneten Boxers Muhammad Ali, der keines Wortes fähig war. Moskau machte sich wie üblich rar und vorsichtshalber schon die Presse dafür verantwortlich, dass "die beste Bewerbung zur schlechtesten runtergemacht worden" sei, wie Bürgermeister Luschkow befand. Vladimir Putin aber geht noch mal volles Risiko, will nun als erster russischer Präsident per Videobotschaft an die Session eine offizielle Rede in Englisch halten.

Auch die Toprivalen London und Paris hatten sich in ihre Ringecken zurück gezogen, nachdem sie tags zuvor mit einem grotesken Zank über das Stade de France unwillkommene Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Berater der Briten (die ohne Stadion sind), hatten die Pariser Arena als Bolzplatz herabgewürdigt, Frankreichs Sportminister Lamour trat gestern noch rasch den letzten Ball zurück: "Aggressivität ist keine olympische Tugend."

Samaranch junior und senior werben gemeinsam für Madrid

Die Spanier, angeführt von IOC-Mitglied Juanito Samaranch junior, schwärmten lärmend aus, während der Senior einige Etagen höher die Kollegen unter vier Augen bearbeitete (erforderlichenfalls auch mit Assistenz von Königin Sofia). Schließlich hat er die meisten der Leute selbst ins IOC expediert während seiner Amtszeit als Präsident (1980-2001).

Überdies ließ er König Juan Carlos Bittbriefe an die Mitglieder schreiben, und auch öffentlich ging der 85-Jährige in die Vollen. Er pries Madrid als beste Lösung für die Athleten und hatte sogar einen Spruch parat, als er nach dem jüngsten Bombenattentat der Basken-Separatisten Eta gegen das für Olympia eingeplante La-Peineta-Stadion befragt wurde: "Was zählt ist, dass es dort keine Opfer gab. Und dass die Eta seit zwei Jahren niemand mehr getötet hat."

Das klingt provokanter, als es gemeint war. Aber im Klang solcher Worte trau-ten sich auch andere Toreros aus der Deckung. "Wir werden die Überraschung sein", verkündete Bewerberchef Felici-ano Mayoral überall, "wir gewinnen!" Der Grund lässt tief blicken: "Weil nur die Meinung der IOC-Mitglieder zählt."

Taktik der Zweit- und Drittstimmen

Das ist richtig, wichtiger nur, dass sich im Übereifer keiner verzählt, wenn von Runde zu Runde der schwächste Kandidat rausfällt. Da heißt es, flott mit Zweit- oder Drittstimme zu taktieren, sonst kann man böse überrascht werden. Vancouver etwa gewann die Winterspiele 2010, nachdem es in Runde eins fast draußen war, Topfavorit Peking indes verlor die Sommer-Kür 2000 an Sydney, obwohl es in Runde eins fast 40 Stimmen hatte; später kam nichts mehr dazu.

Es gilt also, neben festen Parteigängern die Voten jener Städte rüberzuziehen, die mutmaßlich früher ausscheiden. Wer das am Besten kann, wird vor Rogge übrigens Thomas Bach wissen, als Chef der Juristenkommission überwacht der Deutsche den Wahlcomputer.

Kollege Walther Tröger stieß sich ges-tern indes an Samaranchs Buhlen. "Er ist zu umtriebig, zumal er das als Präsident schon tat", meinte der zweite Deutsche im Olymp und empfahl "Zurückhaltung, gerade als Ehrenpräsident". Mit Tröger selbst konnte sich Samaranch die Mühe sparen. Tröger hat mit Cherie Blair gefrühstückt, Englands First Lady, auch wenn er weiß, "dass es dabei um meine Stimme ging, nicht um mich". Wenn der Pulverdampf in Singapur verzogen ist, werden das ein paar mehr von seinen Kollegen wissen.

© SZ vom 6.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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