Vorstand Leistungssport beim DOSB:"Das kann eine gewaltige Breitenwirkung haben"

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Dirk Schimmelpfennig erklärt, wie ein nationales Ligensystem die Grundlage für den Erfolg bilden kann.

Interview Von René Hofmann

SZ: Herr Schimmelpfennig, bei den Sommerspielen 2012 in London war das schlechte Abschneiden der deutschen Mannschaften in den Spielsportarten ein großes Thema. Außer im Hockey sah es damals düster aus. In Rio haben nun alle Teams - die Hockey-Frauen und -Männer, die Fußball-Frauen und -Männer sowie die Handballer - Medaillenchancen. Was ist da in den vergangenen vier Jahren passiert?

Dirk Schimmelpfennig: Wir sehen zwei Trends. Bei den Spielsportarten ist die größte Hürde die Qualifikation. Für die europäischen Mannschaften gibt es jeweils nur wenige Startplätze. Wer es dann zu Olympia schafft, hat dort gute Chancen, ins Viertelfinale, also unter die besten Acht vorzudringen. Das hätte sicher auch für die deutschen Volleyballer gegolten, wenn sie es durch das Nadelöhr der Qualifikation geschafft hätten. In diesem Sport hatten nur drei Teams aus Europa die Möglichkeit, sich für die Olympischen Spiele qualifizieren zu können.

Und der zweite Trend?

Hockey, Fußball und Handball sind alles Sportarten, die den Aufbau ihrer Nationalmannschaften sehr gezielt und strukturiert betreiben.

Fußball und Handball können sich das auch leisten. Erntet der Deutsche Olympische Sportbund da Früchte, die er gar nicht gesät hat?

Was stimmt: Fußball und Handball sind über ihre starken Ligen bei der Ausbildung von Nachwuchs sehr gut aufgestellt. Im Fußball sind Internate für die Klubs der ersten drei Ligen ja verpflichtend, auch im Handball wird viel getan, was wir ergänzend unterstützen können. Beim Hockey aber sieht es schon anders aus. Dort wäre ohne eine Förderung über den Verband, also ohne eine aus Bundesmitteln geförderte Struktur wenig möglich. Das ist beim Wasserball und beim Rugby ähnlich. Auch diese zwei Sportarten waren übrigens an der Olympia-Qualifikation nur relativ knapp gescheitert.

Sehen Sie insgesamt einen Trend: Gehen die Kinder heute lieber zu den Spielsportarten? Nehmen diese den traditionellen Olympia-Sportarten wie Fechten oder Ringen sowie den Kraft- und Ausdauersportarten wie Gewichtheben und Schwimmen die Talente weg?

Meine Erfahrung ist eine andere. Ich glaube, es liegt immer daran, was für Jugendliche konkret angeboten wird. Da ist der Fußball natürlich am besten aufgestellt, weil er ein Volkssport ist, der überall gespielt wird. Aber daneben hat es regional immer auch Hochburgen für andere Sportarten gegeben - für Fechten war das lange Tauberbischofsheim, für Tischtennis ist es noch Düsseldorf. Ich bin überzeugt: Derlei kann es auch künftig geben.

Sie glauben also nicht an die These, dass die Jugend lieber zum Spielen geht, als sich zu schinden?

Seit Anfang dieses Jahres haben wir Strukturgespräche mit 33 Sportverbänden geführt. Die machen sich natürlich alle Gedanken: Wie können wir jugendliche Talente für unseren Sport gewinnen?

Vor allem die Antwort der Gewichtheber könnte spannend sein . .

. Diese versuchen zum Beispiel über eine Athletikschule, Jugendliche allgemein für den Sport auszubilden, um sie auch für das Gewichtheben zu gewinnen. Dort, wo es gute Bedingungen und gute Trainer gibt, kann das auch glücken. Ich habe das auch an meiner Tochter gesehen. Sie spielt Hockey. Warum? Weil es in der dritten Klasse angeboten wurde. Daraufhin ist gleich ein ganzer Schwung in den Hockeyverein am Ort eingetreten. Dort wurde den Kindern ein attraktives Trainings- und Wettkampfprogramm angeboten; so sind viele der Kinder bei dieser Sportart geblieben. Das ist jetzt zwar noch kein Leistungssport, zeigt aber, wie es laufen kann.

Die Handballer um Andreas Wolff (Mitte) haben das Halbfinale erreicht. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Fußball, Handball, aber auch Hockey haben einen regelmäßigen Ligen-Betrieb. Es gibt häufig nationale Vergleiche und früh auch internationale. Hilft das den Talenten dann beim Sprung auf die ganz große Bühne Olympia?

Jede Sportart muss schauen, welche Wettbewerbsformen für sie spektakulär und damit interessant sind - und welche dann auch etwas mit Blick auf internationale Vergleiche bringen können. Beispiel Hockey: Dort kommt bei Olympia nach der Gruppenphase die K.o.-Runde. Die Nationalspieler können besser auf diese Situation vorbereitet werden, indem in der Liga über eine Playoff-Runde eine vergleichbare Situation geschaffen wird.

An der Bilanz der deutschen Athleten bei diesen Olympischen Spielen fällt generell auf, dass der Erfolg sich häufig gerade dort eingestellt hat, wo eine gut harmonierende Gruppe antrat. Bei den Sportschützen war das der Fall, aber auch bei den Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, die zwar alleine im Sand standen, aber Trainer, Mentaltrainer, Physiotherapeuten und Manager stets eng um sich hatten. Ist das Wort "Team" ein Schlüsselwort für die Zukunft?

Die Tischtennis-Frauen gewannen Silber. (Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters)

Ja, ich denke, das ist ein gutes Modell der Förderung, das wir in den Blick nehmen müssen: dass wir individuelle Programme aufstellen, genau schauen, was ist für diesen einen Sportler mit Potenzial wichtig, dass er sich in den nächsten vier Jahren so entwickelt, dass er dann mit der Weltspitze konkurrieren kann.

Alfons Hörmann, als DOSB-Präsident quasi Ihr Chef, sagt: Die Wirkung, wenn ein Team erfolgreich von Olympia heimkommt, ist um ein Vielfaches höher als bei einem erfolgreichen Einzelsportler - weil es viel mehr Multiplikatoren der Freude gibt. Was bedeutet das für Sie konkret?

Dass wir darum kämpfen müssen, den Sport mit seinen Spielsportarten auch weiterhin breit zu fördern. Wenn man auf die Bilanz schaut, ist es ja so: Der Aufwand, um in einer Mannschaftssportart erfolgreich zu sein, ist relativ groß. Der Erfolg ist von vielen Faktoren abhängig und ist damit nicht zu garantieren. Und: Am Ende gibt es maximal eine Medaille zu gewinnen. Mit anderen Worten: Mit Blick auf den Medaillenspiegel ist da also relativ wenig zu holen. Aber: Eine Mannschaft besteht aus 14 bis 18 Leuten. Die sind, wenn alles optimal läuft, am Ende alle Olympiasieger. Wenn die heimkommen, werden sie alle in ihrer Heimat beim ersten Auftritt für ihre Vereinsmannschaft geehrt. Das kann eine gewaltige Breitenwirkung in der Region haben.

Dirk Schimmelpfennig, 54, ist Vorstand Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund. Unter ihm als Trainer gewannen die Tischtennis-Frauen 1996 bei der EM den Titel, die Männer kamen 2000 ins Finale. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Am Ende solcher Spiele wird immer diskutiert, was sich künftig ändern soll. Heino Knuf, der Hockey-Sportdirektor, hat sich dazu zu Wort gemeldet. Er fordert mehr interdisziplinären Austausch, die Spielsportarten, die Individualsportarten und die Kampfsportarten sollten sich besser austauschen. Was könnten die Schwimmer, die in Rio enttäuschten, denn von den Fußballern lernen?

Hockey, Handball, Fußball: Alle drei Sportarten hatten ein ganz klares Ziel für diese Spiele, sie hatten einen Plan - und den haben sie auch konsequent umgesetzt. Anderen ist das ebenfalls geglückt, beispielsweise den Ruderern, die ihre besten Leute in Dortmund bei Ralf Holtmeyer, einem Weltklasse-Trainer, zusammengezogen haben, um den Achter zu stärken. Ziel, Strategie, Plan und konsequente Umsetzung: Davon können viele Sportarten etwas lernen.

Die Schwimmer werden sagen: "Haben wir alles gemacht, aber trotzdem sind wir baden gegangen."

Ich bin mir nicht so sicher, ob das bei den Schwimmern optimal umgesetzt wurde. Das muss man sich nach den Spielen noch einmal gemeinsam genauer anschauen.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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