Vor dem Finale:Springen mit Spezialeffekt

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in Innsbruck überholt sich die Tournee selbst: Jacobsen gewinnt , Gregor Schlierenzauer hat Pech. Nun wird es spannend: Sechs Springer liegen fast gleichauf.

Norwegens Hymne erklang mit ihren getragenen Klängen, und Anders Jacobsen schienen nun so viele Gefühle auf einmal einzuholen, dass er gar nicht wusste, welches er zeigen sollte. Rührung, Erleichterung, Andacht. Anders Jacobsen aus Hönefoss, 21, bis Sommer Klempner und Hobby-Skispringer, stand am Innsbrucker Bergisel auf der obersten Stufe des Siegerpodests mit dem zweitplatzierten Österreicher Thomas Morgenstern und Simon Ammann aus der Schweiz.

Zwei schlechte Sprünge: Gregor Schlierenzauer (Foto: Foto:)

Er schaute unsicher durch die Arena, atmete durch, lächelte, lauschte. Bisher schien er nicht gerade vom Glück begünstigt zu sein bei dieser Vierschanzentournee und lauerte vor der dritten Etappe aus dem Hinterhalt auf den Führenden Gregor Schlierenzauer. Jetzt lag er auf dem ersten Platz der Gesamtwertung, die vor dem Finale in Bischofshofen am Sonntag eine grundlegende Renovierung erfuhr, den 16-jährigen Schlierenzauer zurück auf Rang sieben spülte und plötzlich eine ganze Riege aus Sieganwärtern führte: sieben insgesamt mit den besten Verfolgern Arttu Lappi aus Finnland, 10,7 Punkte hinter Jacobsen, und dem Schweizer Andreas Küttel.

Dieses Springen am Bergisel ist nicht gerade ein Plädoyer für den Heimvorteil gewesen, denn Gregor Schlierenzauer vom SV Innsbruck-Bergisel war ja nicht nur als Österreicher nach Innsbruck gekommen, sondern sogar als Tiroler und Innsbrucker. So mancher Springer hat sich vom heimischen Publikum schon zu einem Übereifer motivieren lassen, den am Schanzentisch niemand brauchen kann. Skispringen ist die Kunst, Kraft und Gefühl zu vereinen und in Energie zu verwandeln. Bei dieser Filigranarbeit stören zu laute Nebengeräusche nur, weshalb zu Schlierenzauers Höhenflug auf ironische Weise die Tatsache zu passen schien, dass er auf einem Ohr taub ist.

Natürlich hat Schlierenzauer vor dem Auftritt auf seiner Trainingsschanze etwas sagen müssen zum Thema Heimvorteil, und er bemühte sich dabei darum, seinem Publikum irgendwie den Eindruck zu vermitteln, dass Sprünge auf der Hausschanze keine Garantie für Erfolge sind. Bis zu 400 Sprünge, schätzt Schlierenzauer, hat er am Bergisel schon gemacht, trotzdem: ,,Man kann nicht alles kennen, weil die Verhältnisse sich ändern können von Sprung zu Sprung, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr.'' Jeder neuer Lufthauch bedeutet eine neue Situation. Aber natürlich hat er sich auch nicht einreden lassen wollen, dass ihm daheim Gefahr drohe. ,,Das ist ein Highlight am Bergisel zu springen, wenn man in den Kessel reinhupft'', sagte er.

Der Bergisel wirkt wie das Symbol seines Aufstiegs. Vor einem Jahr diente er hier noch als Vorspringer, verfluchte die Aufgabe als Testpilot der Elite und schwor sich, nie mehr ein Vorspringer zu sein, ,,weil das ein Scheißjob ist''. Wenig später wurde er Junioren-Weltmeister, jetzt kam er als Tournee-Erster zurück und der Berg bestätigte ihm, was er schon wusste: dass seine Karriere kein Selbstläufer ist. Schon sein Qualifikationssprung auf 121 Meter war ein Test für seine Kritikfähigkeit. In der Probe vor dem Wettkampf brillierte er dann wieder, wie es sich gehört für ein Kind des Bergisel, ehe er im ersten Durchgang mit flatternden Ski zu Tale segelte. 122 Meter. Den Rückstand konnte er im zweiten Durchgang nicht wettmachen, auch weil sein Heimwind ihm nicht gewogen war. 119 Meter. Platz elf. ,,Es ist halt leider schade'', sagte Gregor Schlierenzauer.

Die Deutschen fügten sich wieder in die Nebenrollen, die schon vor der Tournee für sie vorgesehen waren, wobei Michael Uhrmann immerhin ein beeindruckender Spezialeffekt gelang. Auf spektakuläre Weise zeigte er, wie schwankend die Deutschen derzeit unterwegs sind. Sieg mit 124 Metern in der Qualifikation, 115,5 Meter im ersten Durchgang, 126 Meter im zweiten, von Rang 29 auf Platz zehn geschossen. Danach wirkte Uhrmann selbst etwas irritiert. ,,Schade'', sagte er. Er hatte den Eindruck, eine Chance verpasst zu haben. Er versprach, nur das gute Gefühl des weiteren Satzes für sich zu bewahren und verabschiedete sich in eine kurze Tournee-Pause bei Frau und Kind. Martin Schmitt haderte nach seinem Zwischenhoch in Garmisch-Partenkirchen dagegen schon wieder mit dem Absprung und kam auf Rang 17, weit vor seinen restlichen Landsleuten: Maximilian Mechler, Christian Ulmer und der 16-jährige Felix Schoft scheiterten im ersten Durchgang. Jörg Ritzerfeld landete auf Rang 26.

Und so blickte auch RTL-Land wieder auf die Protagonisten der anderen Verbände, vor allem auf Jacobsen. Sein jäher Aufstieg vor der Tournee in Norwegen hatte einen Rummel in seiner Heimat entfacht, der sich zunächst bei der Tournee auszuwirken zu schien. Selbst Norwegens Nationaltrainer Mika Kojonkoski glaubte, bei ihm Anzeichen von Erschöpfung zu erkennen. Jetzt bejubelte Jacobsen ,,einfach einen perfekten Tag''. Seine Gefühlslage hatte er schnell zusammengefasst: ,,Es war ein Riesenspaß.''

Beileid also dem Jüngsten. Aber Gregor Schlierenzauer fiel auch im Moment der Niederlage nicht aus seiner Rolle als ausgeglichener Sportsmann Er war gefasst, ,,zufrieden'' sogar, wie er sagte. Er sah die Qualität seiner Sprünge, den schlechten Wind, und entschied, dass es gut war. ,,Jetzt kann ich wieder beruhigt in Bischofshofen Vollgas geben'', sagte Gregor Schlierenzauer. Dieses Heimspiel hatte ihn also doch etwas aus der Ruhe gebracht zu haben.

© SZ vom 5.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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