Viertelfinale:Ein Mann, auf sich gestellt

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Schewtschenko als einziger Klassemann der Ukraine bekommt keinen Raum und zu wenige Bälle.

Wolfgang Gärner

Ein Weltstar, keine Frage. Aber nicht jeder, auf den dieses Prädikat zutrifft, kann bei der Weltmeisterschaft auch in einem Team der Weltklasse spielen. Andrej Schewtschenko musste 29 Jahre alt werden, bis er erstmals beim globalen Titelturnier mitmachen konnte. Andrej Schewtschenko spielte beim Endturnier 2006 mit der Auswahl der Ukraine, immerhin schafften sie es bis ins Viertelfinale am Freitag in Hamburg gegen die Italiener. Die beendeten mit einem trockenen 3:0 die Teilnahme von Schewtschenko und Landsleuten an der Feier.

Der letzte große Fußballer der Ukraine war Oleg Blochin, mittlerweile 53 Jahre alt und Trainer der Auswahl. Der nächste ist Schewtschenko, seit 1999 beim AC Mailand. In der WM-Qualifikation war er mit sechs Treffern ein herausragender Torjäger, im deutschen Endturnier blieb er diesbezüglich eher unauffällig mit bislang zwei Toren: dem 3:0, welches das vorletzte gegen die Saudis war, und dem Elfmeter, der das 1:0 über Tunesien besiegelte.

Das Team der Ukraine ist ein anderes als das von Milan und die WM nicht die Champions League. Auch ein Weltklassestürmer kann im Vakuum keine Wunderwerke vollbringen, erst recht nicht gegen einen soliden Verbund wie die Italiener. Hinten werkelten die anerkannt rigorosen Abräumer der Ukraine, vorne pendelte Andrej Schewtschenko alleine zwischen den Hermetik-Spezialisten Zambrotta, Barzagli, Cannavaro, Grosso. Immerhin keine Kollegen vom Klub: Pirlo und Gattuso arbeiten im Mittelfeld, deren Wege kreuzte er nur sporadisch.

Kein Raum zur Entfaltung

In der fünften Minute lief er ganz allein am linken Flügel, winkte heftig, und Kalinitschenko gab folgsam ab. Schewtschenko leitete weiter zu Milewski - sehr klug, aber der Mitspieler konnte die Gabe nicht nutzen. Ein Kopfball in der ersten halben Stunde, sonst nichts: kein Raum für den besten ukrainischen Fußballer zur Entfaltung zwischen den Pfeilern des Catenaccio, noch weniger Bälle. Wenn die nicht zu ihm kommen, muss Schewtschenko zu ihnen - er ließ sich zurückfallen ins Mittelfeld, und seine Geste war eher flehentlich als bestimmend: Der Maestro bat um den Ball. Bekam ihn auch mal, spielte Kalinitschenko an -Freistoß, folgenlos. Vier Minuten später (41.) war der erste Schuss des Andrej Schewtschenko zu notieren, doch Cannavaro brachte ein Bein dazwischen, und Buffon hielt. Ein Mann, auf sich gestellt und ganz allein gelassen, kommt auch mal auf dumme Gedanken und tritt zum Beispiel einen Gegenspieler um: Perrotta, einen Römer.

Weil was passieren musste, kam Milewski zur Unterstützung nach vorn, machte eine Art Mittelstürmer. Schewtschenko hielt sich eher links, stieß bei Bedarf ins Angriffszentrum. In der 53. Minute erschien das Phantom im italienischen Strafraum auf der Jagd nach einem hohen Ball - aber Cannavaro sprang höher. In der 55. Minute holte sich Schewtschenko den Ball von so weit hinten, dass er erst die Mittellinie erreicht hatte, als ihm Gattuso das Spielgerät abnahm. Die beste Chance bis dahin bekam nicht er - segelte in die falsche Richtung -, sondern Gusew, und auch die allergrößte Möglichkeit kurz darauf ergab sich nicht für den Anführer, sondern für Kalinitschenko. In der 65. landete sein Kopfball in Buffons Armen - aber es wäre ohnehin schon viel zu spät gewesen. Zwar spielten nun auch seine Teamkollegen mehrheitlich richtig Fußball, aber Italien führte 2:0, wenig später 3:0.

Auch der einzige Ausnahmespieler der Ukraine konnte daran nichts ändern, nur seinen ganzen Frust in einen gewaltigen Freistoß legen, zehn Minuten vor Schluss. Die Lehre war nicht überraschend: Ein Weltstar allein macht kein Weltklasseteam, und in Italien seit Jahren zu den Besten zu gehören, bedeutet nicht, die Italiener schlagen zu können. Die italienischen Jahre des Andrej Schewtschenko sind ohnedies zu Ende, hiermit beginnen seine englischen: beim FC Chelsea.

© SZ vom 1.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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