Vielseitigkeitsreiten:Tod am zweiten Sprung

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Die Reiterin Tina Richter stürzt an einem Hindernis - und stirbt. Es ist der weltweit zehnte tödliche Unfall in der Vielseitigkeit innerhalb eines Jahres.

Gabriele Pochhammer

Irgendwann ab, über den Turnierplatz in Hamburg-Schenefeld legte sich beklemmende Stille. Chefrichter Christoph Hess ergriff das Mikrofon und gab in nüchternen Worten bekannt, was viele befürchtet hatten, seit Samstagmittag kurz vor 13 Uhr, als die Zweisterne-Geländeprüfung, eine Rahmenprüfung der Deutschen Meisterschaft, wegen eines Unfalls an Sprung zwei unterbrochen worden war.

Tina Richter, 32-jährige Reiterin aus Ganderkesee, hat den Sturz mit ihrem Pferd Paulchen Panther nicht überlebt. Beim Aufprall auf den Boden brach ihr vermutlich das Genick. Sofort eingeleitete Widerbelebungsversuche blieben erfolglos. Der herbeigerufene Rettungshubschrauber flog unverrichteter Dinge wieder ab. Zur Klärung der genauen Todesursache wird der Leichnam in der Gerichtsmedizin Hamburg-Eppendorf obduziert.

Niemand hat den Sturz am Anfang der Strecke genau beobachtet. Das unauffällige, in eine Hecke eingepasste Hindernis galt als leicht, das Interesse der Zuschauer konzentrierte sich auf die schwierigen Hindernisse, wie etwa die Kombination am Wasser.

Die beiden Hindernisrichterinnen, die zwei Sprünge im Auge behalten mussten, gaben später zu Protokoll, das Pferd sei zu nah an den Hochweit-Sprung galoppiert und habe deswegen den richtigen Absprungpunkt verpasst. "Aber ganz genau kann ich mich an den Hergang nicht erinnern, ich stand einfach unter Schock," sagte eine der beiden.

Das Pferd prallte gegen die obere Stange, schleuderte die Reiterin aus dem Sattel und ging auf der anderen Hindernisseite - unverletzt - zu Boden. Es gebe keine Anzeichen, dass das Pferd seine Reiterin überrollt habe und dadurch die tödlichen Verletzungen herbeigeführt wurden, so Turnierarzt Johannes von Bodman, der sich als Erster um die gestürzte Reiterin kümmerte und eine "unnatürliche Beweglichkeit der Halswirbelsäule" feststellte.

Die meisten Anwesenden wurden auf den Unfall erst aufmerksam, als Paulchen Panther reiterlos umherlief. Die Prüfung wurde sofort abgebrochen. Auf dem Turnierplatz fanden sich nach und nach alle ein, die gekommen waren, um hier im Rahmen der Weltcup-Prüfung den Deutschen Meister zu ermitteln, die Reiter, die Richter, das Veranstalterteam und auch der Präsident der Deutschen Reiterliche Vereinigung (FN), Breido Graf zu Rantzau, der zufällig nur wenige Kilometer entfernt an einem kleinen Springturnier teilnahm.

"Sonst darfst du nicht reiten"

Absagen oder weitermachen? Die schwedischen Reiter winkten ab, von ihnen würde niemand mehr auf die Strecke gehen, in ihrem Land hatte es 14 Tage zuvor einen tödlichen Sturz gegeben, die Belgier schlossen sich an, die Weltrangliste-Zweite Karin Donckers war in Tränen aufgelöst.

Im deutschen Lager waren die Stimmen geteilt. Mannschaftsweltmeister Hinrich Romeike wollte reiten, "aber ohne Zeitdruck, nicht als Wettkampf". Einen schweren Geländeritt mit halber Kraft und halber Konzentration - das geht gar nicht. "Wenn du in der Startbox bist, darfst du keinen anderen Gedanken mehr im Kopf haben als die Strecke, die vor dir liegt," sagte der australische Multi-Olympionike Andrew Hoy, Ehemann von Bettina Hoy, die auf Ringwood Cockatoo mit der besten Dressurleistung auf dem Weg war, ihren nationalen Titel vom Vorjahr zu verteidigen: "Sonst darfst du nicht reiten."

Der 48-jährige Profi wäre gestartet, er hat nicht zum ersten Mal erfahren, dass dieser Sport auch Leben kosten kann. "Wir haben immer weitergemacht", sagte er. Doch die meisten Reiter sahen sich außerstande, zur Tagesordnung überzugehen, die Prüfung wurde abgesagt. Gestern wurde lediglich das Springen für den nationalen Wettbewerb ausgetragen, dessen Geländeteil zum Unfallzeitpunkt bereits beendet war. Dort wurde in einer Schweigeminute der verunglückten Sportlerin gedacht.

Tina Richter-Vietor galt als erfahrene Reiterin, hatte bereits mehrmals an den Europameisterschaften der ländlichen Reiter teilgenommen. Mit Paulchen Panther war sie 2006 Zweite beim Bundeswettkampf Vielseitigkeit gewesen. Das zweite Hindernis war in der nationalen Dreisterne-Prüfung zuvor von zahlreichen Reitern problemlos überwunden worden. Allerdings hatten zwei Starter der Zweisterneprüfung vor Tina Richter, die als Achte auf die Strecke ging, hier bereits Schwierigkeiten gehabt, so die Italienerin Lisa Deghe, deren Pferd Dekalo ebenfalls stolperte, aber auf den Beinen blieb.

Weltweit der zehnte tödliche in der Vielseitigkeit innerhalb eines Jahres

Ursprünglich sollte der Sprung von der anderen Seite aus genommen werden. Erst am Vortag wurde kurzfristig umgeplant, weil aufgrund der Regenfälle die Strecke verkürzt worden war. Es stand nun in einer kleinen Senke; zwischen der Grundlinie, zwei dicken Baumstämmen und der hinteren Stange des Hochweitsprungs war relativ lockeres Stroh gepackt. Es handelt sich weltweit um den zehnten tödlichen Unfall in der Vielseitigkeit innerhalb eines Jahres.

Nur eine Woche zuvor war in einer A-Vielseitigkeit in Neu-Wulmstorf bei Hamburg die 40-jährige Anke Wolf tödlich verunglückt. Nach dem Ausfall der letzten EM-Sichtung müssen sich die deutschen Kandidaten nun noch einmal in drei Wochen in Bad Harzburg zeigen. Bettina Hoy wird in ihrer Wahlheimat Großbritannien noch eine Prüfung bestreiten.

© SZ vom 6.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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