Van Breukelen:"Viel Energie in die falschen Dinge gesteckt"

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In 73 Länderspielen stand Hans van Breukelen, 47, im Tor der holländischen Nationalmannschaft. Er spricht über das deutsch-holländische Verhältnis, die großen Spiele gegeneinander und seine Ratschläge für Oliver Kahn.

Interview: Christoph Biermann

SZ: Früher haben Sie die Deutschen gehasst, heute sagen Sie: "Unsere Nachbarn aus dem Osten sollten ein Vorbild für uns sein." Warum der Wandel?

Breukelen: Auch wenn viele Leute einen anderen Eindruck gewonnen haben: Ich habe die Deutschen nie gehasst.

SZ: Aber haben Sie im legendären Halbfinale 1988 gegen Deutschland nicht zu Lothar Matthäus gesagt: "Ich hoffe, dass du tierisch stirbst"?

Breukelen: Das stimmt, und ich bin nicht stolz darauf. Diese Worte sind jedoch im Feuer des Spiels gefallen, als wir 0:1 hinten lagen und die Emotionen überkochten. Wenn ich mir heute das Video des Spiels anschaue, ist es mir auch ziemlich unangenehm, wie ich mich dem Schiedsrichter gegenüber verhalten habe.

Ich wollte damals unbedingt gewinnen, aber nicht aus Hass. Dann hätten die Fans von Feyenoord Rotterdam oder Ajax Amsterdam ebenfalls glauben müssen, dass ich ihre Klubs hasse, wenn ich mit dem PSV Eindhoven gegen sie gespielt habe. Da habe ich mich kaum anders verhalten.

SZ: War die Partie in Hamburg das intensivste Spiel Ihrer Karriere?

Breukelen: Ja, es ist eindeutig das Nummer-eins-Spiel.

SZ: Und das hatte nichts damit zu tun, dass es gegen Deutschland ging?

Breukelen: Doch, ich war 17 Jahre alt, als die holländische Nationalmannschaft 1974 das WM-Finale gegen Deutschland verlor. Wie alle hatte ich damals das Gefühl, dass die Niederlage nicht verdient war, weil wir den besten Fußball gespielt hatten. 1988 war es daher eine Motivation für mich, die Dinge endlich gerade rücken zu können. Aber es gab noch eine weitere: Die Goldene Generation um Johan Cruyff hatte uns ständig kritisiert, weil wir angeblich nicht die richtige Einstellung mitbringen würden.

Wir wurden als Patat-Generation verspottet, als die Pommes-Generation, die nicht für den Sport lebt und nur Fastfood isst. Das hat mich total genervt, denn es war ungerecht. Um endlich die Kritik vom Hals zu kriegen, mussten wir "Die Mannschaft" schlagen, den Alten war es schließlich nicht gelungen.

SZ: Warum hat gerade Ihr Team von 1988 den einzigen Titel gewonnen?

Breukelen: Wir hatten in Rinus Michel einen sehr guten Trainer, und wir hatten eine Mischung aus Klassespielern wie Ronald Koeman, Rijkaard, Gullit und van Basten mit echten Teamspielern, die sie noch besser machten. Michels hat immer gesagt, dass man zunächst eine Mannschaft braucht, dann können die Klassespieler für den Unterschied sorgen.

SZ: Das Primat der Mannschaft ist in Holland nicht immer beherzigt worden.

Breukelen: Richtig, die Deutschen sind dazu in der Lage, ein Team zu formen, und mir gefällt das sehr gut. Wir Holländer tun uns schwer damit, in unserer Fußballgeschichte hat es im Nationalteam immer wieder Probleme zwischen Spielern oder mit dem Trainer gegeben.

Aber 1988 haben sich auch die großen Spieler gefügt. Außerdem waren wir taktisch gut, und wir hatten Glück. Die Engländer haben gegen uns zweimal den Pfosten getroffen, die Iren einmal und im Finale die Russen. Aber Marco van Basten hat immer gesagt: "Zuerst kommt die Klasse und dann das Glück."

SZ: Zumindest gegen Deutschland brauchte Ihre Mannschaft kein Glück. Michels hat danach gesagt: "Nun kann das Gerede über 1974 aufhören." Er hat sich getäuscht. Warum wird immer noch darüber geredet, ist das nationale Trauma des verlorenen WM-Finales doch nicht bewältigt?

Breukelen: Für mich ist es das. Bis 1988 gab es das Trauma, aber danach war es für mich vorbei.

SZ: Als Sie mit Holland bei der WM 1990 erneut gegen Deutschland gespielt haben, gab es dennoch wieder ein ungemein überhitztes Spiel.

Breukelen: Obwohl es die gleichen Spieler waren, hatten wir damals eine andere Mannschaft. Leo Beenhaker war unser Trainer, obwohl 90 Prozent der Spieler lieber Cruyff gehabt hätten. Sie glaubten also nicht an den Coach, und einige haben sich über die Mannschaft gestellt.

Für mich ist daher '90 das große Trauma, weil wir so gute Spieler hatten, aber nicht einmal die Hälfte der Qualität erreichten wie zwei Jahre vorher. Ich mache mir noch heute Vorwürfe, dass ich mit einigen anderen Spielern zusammen die Situation nicht geklärt habe.

SZ: Und diese Situation führte zum 1:2 im Achtelfinale gegen Deutschland?

Breukelen: Ja, nach den schlechten Leistungen in der Vorrunde war die Anspannung riesig. Wir hatten das Gefühl, mit einem Sieg alles noch rumreißen zu können. Die ersten 25 Minuten waren sogar unsere besten des Turniers, aber dann gab es den hässlichen Zwischenfall zwischen Rijkaard und Völler.

Das Spucken passte überhaupt nicht zu Rijkaard, der ein wirklich höflicher und liebenswerter Mensch ist, es zeigte aber unsere ganze Frustration. Wenn das Team von damals sich heute trifft, sagen wir immer: Wir haben so viel Energie in die falschen Dinge gesteckt. Für die meisten von uns war die WM 1990 der Tiefpunkt unserer Karriere.

SZ: Bei der EM 1992 war Rinus Michels wieder Trainer, auch Koeman, Rijkaard, Gullit, van Basten und Sie waren noch dabei; die holländische Mannschaft schlug Deutschland in der Vorrunde problemlos 3:1 - und verpasste gegen Dänemark das Finale gegen Deutschland. Wie konnte das passieren?

Breukelen: Wir waren zu arrogant und haben die Dänen nicht richtig ernst genommen. Außerdem hielten sich zwei wichtige Spieler, deren Namen ich nicht nennen will, nicht an die Taktik. Dann habe ich das zweite Tor verschuldet, und so reichte es nur noch zum Ausgleich.

SZ: Für die holländische Mannschaft begann dann im Elfmeterschießen eine unglaubliche Serie: Aus vier der letzten fünf Turniere, an denen Holland teilgenommen hat, ist die Mannschaft im Elfmeterschießen ausgeschieden.

Breukelen: Viele Leute erklären es damit, dass Holland ein vom Calvinismus geprägtes Land ist. Das führt angeblich zu einer Haltung, nach der unsere Spieler das Elfmeterschießen verlieren werden. Wenn sie im Spiel besser waren, reicht ihnen das.

Haben sie nicht so gut gespielt, haben sie das Gefühl, der Sieg wäre auch nicht verdient. Für mich ist das Quatsch! Holländische Trainer halten Elfmeterschießen oft für eine Lotterie, und daher werden Elfmeter einfach nicht genug trainiert. Das ist Ausdruck von mangelndem Professionalismus.

SZ: Dagegen hat Deutschland zuletzt 1976 ein Elfmeterschießen bei einem großen Turnier verloren und seither viermal gewonnen. Was sagt Ihnen das?

Breukelen: In Holland gibt es eine Art von Eifersucht auf die deutsche Mannschaft. Wir hatten oft talentiertere Spieler und haben dennoch verloren. Auch wenn wir gegen deutsche Klubs spielten, konnten wir sie selten schlagen, weil sie bis zur letzten Minute nicht aufgegeben haben und auf realistische Weise zu Erfolgen kommen wollten: Gib dem Gegner etwas Raum, und wenn wir den Ball haben, werden wir diesen Raum zu Kontern nutzen.

In Holland mag man das nicht. Wir reden lieber über den Angriff und übersehen, dass die Deutschen weitaus erfolgreicher sind, weil sie realistischer ins Spiel gehen und sich besser auf ihre Ziele konzentrieren. Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Auch wenn wir es nicht komplett kopieren können, weil eine bestimmte Art zu denken und zu leben dazugehört. Ich mache heute Schulungen für Manager und benutze Fußball als Beispiel dafür, wie man mehr aus sich und Teams macht. Dabei geht es immer wieder auch um deutschen Fußball.

SZ: Nervt es die Fans in Holland inzwischen, dass so oft vom schönen Fußball die Rede war, aber die Titel fehlten?

Breukelen: Man muss das in der richtigen Perspektive sehen. Holland ist ein sehr kleines Land und war mit Ausnahme der letzten WM seit 1988 bei jedem großen Turnier dabei. Das ist überragend, aber ich gebe zu: Es hätte mehr herauskommen können. Das hat aber auch mit dem Einfluss zu tun, den Johan Cruyff und seine Journalistenfreunde haben.

Als er Trainer bei Ajax war und wir mit dem PSV Eindhoven den Titel gewannen, hat er gesagt: "Sie mögen Meister sein, aber wir spielen den besseren Fußball." Die Zuschauer in Holland sind froh, wenn wir gut spielen. Aber sie sind glücklicher, wenn wir auch gewinnen.

SZ: Gefällt es Ihnen, dass es jetzt in Portugal gleich gegen Deutschland geht?

Breukelen: Wir sagen in Holland, dass Deutschland während eines Turniers besser wird. Von daher ist es gut, gegen sie anzufangen. Dass sie solche Niederlagen wie das 1:5 in Rumänien erlebt haben, sehe ich eher als Stimulans. Das macht wütend und kitzelt den Stolz. Ich kann unseren Spielern jedenfalls nur raten: Die Deutschen sind immer da, wenn es zählt.

SZ: Das galt zuletzt nicht immer für Oliver Kahn, der in seiner Besessenheit an Sie erinnert.

Breukelen: Herzlichen Dank für den Vergleich. Ich habe viele Interviews mit ihm gelesen, und er erinnert mich wirklich daran, wie ich gewesen bin. Auch er war nicht so außergewöhnlich talentiert und hat das mit Fleiß wettgemacht. Dass ihm Arroganz und Großmäuligkeit nachgesagt wird, kenne ich ebenfalls.

SZ: Kahn hat in der letzten Zeit in wichtigen Spielen gravierende Fehler gemacht. Hatten Sie auch einmal eine solche Phase in Ihrer Karriere?

Breukelen: Ja, allerdings gibt es den Unterschied, dass ich nie private Probleme hatte. Da kann man sich noch so viel einreden, dass sie einen nicht beeinflussen, sie tun es doch. Trotzdem glaube ich sehr genau zu verstehen, was er gerade durchmacht. 1987 wurde ich nach schlechten Leistungen sogar aus der Nationalelf geworfen und in der Presse als Fliegenfänger verspottet.

Ich wollte damals nach England zurückkehren, weil ich bei Nottingham Forest eine schöne Zeit hatte. Meine Frau hat mich überredet, es noch einmal in Holland zu versuchen, aber nachdem ich aus dem Urlaub wiederkam, habe ich mich immer noch nicht gut gefühlt. Also bin ich zu einem Mentaltrainer gegangen.

SZ: Was hat er Ihnen geraten?

Breukelen: Er hat mich in den Spiegel schauen lasse. Und dort habe ich jemanden gesehen, der verzweifelt etwas beweisen wollte, der wie verrückt um Anerkennung und Respekt gerungen hat. Danach habe ich alle Energien darauf gelenkt, einfach ein guter Torwart zu sein. Und nicht einmal ein Jahr später war ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere.

© Süddeutsche vom 9.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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