US Open: Männer:Beweglicher Zeus

Lesezeit: 2 min

Mehr als nur Blitz und Donner: Sam Querrey, 29. (Foto: Geoff Burke/Reuters)

Sam Querrey, der Besieger von Mischa Zverev, steht für eine Entwicklung im US-Tennis: Amerikaner können nun mehr als nur Aufschlag und Vorhand.

Von Jürgen Schmieder, New York

Aus gegebenem Anlass ein Hinweis an alle ehrgeizigen Eltern: Sollte Ihr Sohn beweglich sein und sich einer Körperhöhe von 1,90 Metern nähern, dann kaufen Sie ihm bitte einen Tennisschläger und ein paar Bälle. Lassen Sie ihn nicht mit Freunden üben, es braucht auch keine teuren Trainerstunden; schicken Sie den Jungen auf einen entlegenen Platz und lassen ihn Aufschläge übers Netz prügeln. Stunden-, ach was, jahrelang! Bei ungünstiger Konstellation der Gezeiten wird aus ihm ein Profi wie Jack Sock oder John Isner.

Seit es Andy Roddick mit spielerisch eher bescheidenen Mitteln im Jahr 2003 zum US-Open-Sieger und an die Spitze der Weltrangliste geschafft hat, haben die Amerikaner lauter Nachfahren des griechischen Gottes Zeus gezüchtet, die dem Gegner Aufschlag-Blitze entgegenschleudern, dann eine donnernde Vorhand hinterherschicken. Für die regelmäßige Teilnahme an einem Viertelfinale bei einem Grand Slam braucht es aber doch mehr als Blitz und Donner - wie Sam Querrey, 29, am Sonntag gegen Mischa Zverev gezeigt hat.

Nicht nur Querrey, auch jüngere Amerikaner agieren jetzt variabler

Ein paar Zahlen verdeutlichen die Dominanz von Querrey, neben dem Ergebnis von 6:2, 6:2, 6:1 sowie der Spielzeit von gerade mal 77 Minuten: Er gewann 92 Prozent aller Ballwechsel, wenn er den ersten Aufschlag - einen passablen Blitz - ins Feld spielte, und immerhin 54 Prozent der zweiten Spieleröffnungen. Er schlug 18 Asse, erlaubte sich nur drei Doppelfehler, und weil er in seiner Jugend doch auch Grundschläge geübt hat, schaffte er gegen den Serve-and-Volley-Spezialisten Zverev 25 Passierschläge. Querrey legte während dieser Partie 919 Meter zurück. Zum Vergleich: Sein Viertelfinal-Gegner Kevin Anderson aus Südafrika musste am Sonntag mehr als zwei Kilometer laufen.

"Wir haben ein paar Jahre lang über die Amerikaner geschmunzelt, dass die nur Aufschlag und Vorhand können", sagte Zverev. "Querrey hat sich in den vergangenen Monaten stark verbessert, er ist beweglicher und spielerisch kompletter geworden. Das ist auch dringend notwendig, weil das Tennis durch Leute wie Novak Djokovic und Andy Murray viel komplexer geworden ist." Auch junge Amerikaner wie Taylor Fritz und Frances Tiafoe (der in der ersten Runde Roger Federer zu einem Fünf-Satz-Match zwang) würden bereits variabler agieren: "Die amerikanische Schule verändert sich gerade."

Der amerikanische Tennisverband investiert zurzeit kräftig in Nachwuchsförderung und Leistungszentren, um mit anderen Sportarten wie Basketball oder Baseball um die talentiertesten Jugendsportler zu konkurrieren. Sie wollen nicht mehr nur Nachkommen von Zeus erschaffen, sondern einen kompletten Tennisspieler. "Wir haben uns zu lange auf die Williams-Schwestern verlassen", sagt Martin Blackman, beim US-Verband zuständig für die Spielerentwicklung: "Wir wollen Grand-Slam-Sieger hervorbringen, dazu brauchen wir ein System, das diesem komplexen Sport gerecht wird. Ich hoffe, dass junge Spieler von Leuten wie Querrey oder Fritz inspiriert werden."

Wer so aufschlägt und dann ordentliche Grundschläge hinterherschickt wie Querrey am Sonntag, der kann dieses Turnier gewinnen. Marin Cilic hat das vor drei Jahren bewiesen. Also, liebe Eltern: Schicken Sie Ihren Sohn doch nicht bloß zum intensiven Aufschlag- und Vorhandtraining. Beweglichkeit und Spielfreude haben noch niemandem geschadet - in keinem Sport übrigens.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: