Unappetitliche Neuigkeiten:Ein Fall, bei dem das Blut gefriert

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Neben den Härten der Italien-Rundfahrt muss sich Jan Ullrich mit dem Skandal auseinander setzen, der auch ihn betrifft. Der Dopingfund in Spanien könnte die Dimension des Tour-de-France-Skandals von 1998 noch übertreffen.

Andreas Burkert

Hundert Stundenkilometer zeigt der Tacho an, doch Rudy Pevenage ist ganz entspannt. Konzentriert lenkt er seinen silbernen Kombi über die abschüssige ,Superstrada 42' Richtung Bozen. Sein Wagen ist schneller als die Fahrzeuge über dem grünen Tal auf der Brennerautobahn. Manchmal schaut Pevenage kurz in den Rückspiegel, und manchmal sieht er darin Jan Ullrich. Denn er fährt einen Meter hinter ihm. Auf dem Rennrad. Mit hundert Sachen.

Könnte verwickelt werden: Jan Ullrich. (Foto: Foto: dpa)

Renntage beim Giro d'Italia bewältigen Ullrich und Pevenage mit Routine, und sie üben ja ohnehin nur für die Tour, wie sie immer betonen. Auch die Temporeise vom Mittwoch, vonnöten gewesen wegen Ullrichs minutenlangen Vorbereitungen am Straßenrand für die Kälte des Furkelpasses, haben beide vermutlich als längst vergessene Episode empfunden. Unbeschwert wirkte Ullrich auch am Donnerstag im Finale der 18. Etappe ins Friaul, als er versuchte, dem Hauptfeld zu entkommen. Dabei interessierten die Delegation im Ziel von Gemona längst andere Dinge als die Frage, ob der deutsche Tourfavorit in Italien, wie es den Anschein hat, tatsächlich viel versprechend in Schwung kommt für seinen Jahreshöhepunkt im Juli. Denn Ullrichs Name fiel am Donnerstagnachmittag, als den Giro die unappetitlichen Neuigkeiten aus Spanien massiv erreichten. Der Name des 32-jährigen Rostockers soll sich in den Unterlagen finden, die im Rahmen des Dopingskandals um die spanische Liberty-Equipe und des Teamarztes Eufemiano Fuentes sichergestellt wurden.

Als Pevenage aus seinem Wagen steigt, kennt er die Nachrichten längst. Mehrfach hat ihn während der Etappe die PR-Abteilung des Sponsors angerufen und um Aufklärung gebeten. Jetzt sagt der Belgier, ganz ohne Aufregung: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie Jans Name auf so eine Liste gekommen sein soll. Eine Zusammenarbeit von Jan mit Herrn Fuentes kann ich definitiv ausschließen, ebenso eine Einflussnahme auf Jan von Fuentes über Luigi Cecchini." Cecchini, ein 64-jähriger Sportmediziner aus Italien, ist allerdings ein weiterer Grund, weshalb sich die Spekulationen plötzlich über Ullrich entluden wie ein Gewitter über dem Furkelpass. Denn Ceccini gilt als Vertrauter von Senor Fuentes, beide kennen sich seit mehr als einem Jahrzehnt.

Dass Ullrich sporadisch mit Cecchini zusammenarbeitet, hat er vor drei Jahren von sich aus eingeräumt. Der Arzt arbeitete früher am schlecht beleumundeten Institut von Ferrara, konkret belastet wurde er im Rahmen der umfangreichen Enthüllungen über den dort unheilvoll wirkenden Kollegen Michele Ferrari ("Dottore Epo") jedoch nie. Cecchini betreute und betreut zahlreiche Radprofis. Früher auch Bjarne Riis, den heutigen CSC-Teamchef von Ivan Basso. Der einstige dänische Profi des T-Mobile-Vorgängers Team Telekom gewann 1996 die Tour, und in den Ermittlungsakten der Causa Ferrari fanden sich Jahre später verdächtige Hämatokritwerte ("Mister 60 Prozent) von Riis, die Epo-Doping nahe legten.

Den Kontakt zu Cecchini hat Pevenage hergestellt, und bei Ullrichs Trainingslagern in der Toskana kommt es schon mal vor, dass der Professore mit dem Moped vor dem schwitzenden Deutschen fährt. "Cecchini schreibt nur die Trainingspläne, die medizinische Betreuung wird an der Universität von Freiburg übernommen", betont Pevenage am Donnerstag. Auch Ullrich weist jegliche Vorwürfe zurück, sagt: "Ich habe nie mit Fuentes zusammen gearbeitet."

Somit wird Jan Ullrich auch bei seinem zweiten Giro-Start mit dem offenbar weiter im Radsport dominierenden Thema konfrontiert. Denn auch 2001, nach der Razzia von San Remo, hörte Ullrich zumindest vage Dopingvorwürfe. Damals hatten die Ermittler bei ihm Medikamente gefunden, die sie zunächst nicht identifizieren konnten. Später stellten sie sich als Mittel gegen Pollenallergie heraus. Teamarzt Lothar Heinrich führte damals Koffeintabletten mit sich, die er nach Beteuerungen für sich selbst gebrauchte; beim damaligen Telekom-Profi Alberto Elli indes fanden sich unerlaubte Substanzen, für diesen Fund wurde er später mit einer Sperre belegt (die er aber umging, indem er seine Karriere beendete). T-Mobile-Sprecher Christian Frommert äußerte zu den neuesten Anschuldigungen aus Spanien, es werde "versucht, prominente Namen ins Spiel zu bringen - aber Jan hat mit diesem Arzt nichts zu tun."

Fast drei Wochen radelt Ullrich nun bei der ,corsa rosa', und er ist eigentlich immer noch gut gelaunt. Mittwoch sprach er auf den ersten Kilometern fröhlich in den Funk, "der Yeti" habe ihm gesagt, "dass es da oben saukalt ist, da soll schon der Wetterfrosch erfroren sein". Denn oben auf dem (später doch noch aus dem Streckenverlauf gestrichenen) Kronplatz schneite es zu diesem Zeitpunkt bereits. "Diese Härte hier, das bringt mir was", sagt Ullrich, "und der Giro ist nicht so stressig, viel gelassener als die Tour - und sicher auch nicht so schwer zu gewinnen". Eine kleine Spitze gegen Basso, seinen mutmaßlichen Rivalen bei der Tour, der "auf alle Fälle schlagbar" sei. "Denn Hochkaräter wie Winokurow und auch ein Ullrich in Höchstform geben andere Fights ab als zurzeit hier Simoni oder Cunego." Winokurow indes wird vielleicht gar nicht nur Tour kommen. Er steht bei Liberty unter Vertrag.

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