U 21-Nationalmannschaft:Das Herz ist stärker als die Herkunft

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In der deutschen U-21-Auswahl sammelt sich die zweite Generation von Einwandererkindern. Dem deutschen Fußball kann es nur recht sein.

Ulrich Hartmann

Gonzalo Castro braucht dringend einen neuen Favoriten. Neulich hat er noch "Spanien" geantwortet auf die Frage, wer im nächsten Jahr wohl Fußball-Weltmeister wird. Er hat das sagen dürfen, denn er wurde vor 18 Jahren als Sohn spanischer Eltern in Wuppertal geboren. Jetzt muss er seinen Patriotismus aber neu definieren, denn der Mittelfeldspieler vom Bundesligisten Bayer Leverkusen, der schon für die spanischen U-19-Junioren aktiv war, hat sich entschieden, fortan für Deutschland zu spielen. Wenn das Dribbling durch die Behörden nicht allzu lange dauert, spielt Castro vielleicht schon im Mai bei der U-21-Europameisterschaft in der deutschen Auswahl.

Der Berliner Nando Rafael gehört zu den großen Talenten des deutschen Fußballs. (Foto: Foto: dpa)

Der Junioren-Bundestrainer Dieter Eilts verknüpft mit dieser Perspektive zweierlei: erstens, dass der defensive Mittelfeldspieler rechtzeitig eingebürgert wird, und zweitens, dass die deutsche U-21-Mannschaft am heutigen Dienstagabend ihr Qualifikations-Rückspiel gegen Tschechien in Leverkusen (18 Uhr, live bei Eurosport) nicht leichtsinnig verliert. Dazu braucht sie bloß den 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel zu verteidigen, den sie am Freitag in Tschechien erarbeitet hat; ihr genügt sogar eine Niederlage mit einem Tor Differenz für die Qualifikation für die EM-Endrunde vom 25. Mai bis 6. Juni 2006.

Ein anderes Temperament

Aber es geht dem deutschen Nachwuchs ja nicht ums Mauern. Es geht um erfrischenden Fußball und neuerdings auffallend häufig um Herzensangelegenheiten. "Sein Herz hat entschieden", kommentierte Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler die Entscheidung von Gonzalo Castro. "Sie sind alle mit dem Herzen dabei", sagt Dieter Eilts über jene Spieler seines U-21-Teams, die noch andere als deutsche Wurzeln haben und sich deshalb auch für andere Nationalteams hätten entscheiden können. Die meisten von ihnen haben das nicht getan, weil sie das Heimatland des Vaters oder der Mutter nur aus dem Urlaub kennen und sich deutsch fühlen. Malik Fathi (Hertha BSC Berlin) wurde als Sohn eines Türken in Berlin geboren, David Odonkor (Borussia Dortmund) als Sohn eines Ghanaers im westfälischen Ort Bünde, Aaron Hunt (Werder Bremen) als Sohn einer Engländerin in Goslar, Ioannis Masmanidis (Karlsruher SC) als Sohn griechischer Eltern in Leverkusen und Marvin Matip (1. FC Köln) als Sohn eines Kameruners in Bochum. Diese Spieler wurden als deutsche Bürger geboren und mussten nicht lange überlegen, für welches Land sie spielen wollen.

Anders sieht das bei dem in Luanda (Angola) geborenen Nando Rafael aus, der mit zehn Jahren zu Ajax Amsterdam kam und jetzt für Hertha BSC Berlin spielt. Er hat sich genauso für Deutschland und gegen sein Heimatland entschieden wie Piotr Trochowski vom Hamburger SV, der im polnischen Ort Tczew geboren wurde und mit fünf Jahren nach Hamburg kam. Es gab eine Zeit, da vermutete Trochowski in Polen eine bessere Chance für seine Entwicklung als Nationalspieler. "Als ich 14 war, hat meine Mutter an eine polnische Zeitung geschrieben, aber der Verband hat sich nie gemeldet", sagt Trochowski. Heute ist er froh, dass es so gekommen ist.

Vorbild Frankreich

"Alle diese Spieler fühlen sich als Deutsche", sagt Dieter Eilts, "ihre Wurzeln spielen bei der täglichen Arbeit keine Rolle." Trotzdem hat der Bundestrainer festgestellt, dass mancher Spieler mit einem anderen kulturellen Hintergrund "ein anderes Temperament oder eine andere Denkweise hat und deshalb neue Elemente in die Mannschaft bringt". Dem Miteinander tut das gut. "Jeder kommt gerne zu den Lehrgängen", sagt Eilts. Die Spieler bestätigen das. "Unsere U21 ist ein Beweis dafür, dass der Fußball verschiedene Kulturen zusammenbringt in eine Körperform", sagt Nando Rafael. Es ist eine erfolgreiche Symbiose. Beim 2:0 in Tschechien hat Rafael sein drittes Tor im fünften Länderspiel erzielt.

Der multikulturelle Anstrich deutscher Fußball-Nationalmannschaften ist neu. Anders als etwa in Frankreich, wo das Fußballteam schon lange als identitätsstiftende Einheit verschiedener ethnischer Gruppen gilt, hat der deutsche Fußball einige Jahrzehnte gebraucht, ehe die zweite Generation von Gastarbeiterkindern nun wie selbstverständlich in die Jugendarbeit der Fußballklubs und -verbände integriert ist. Die Entscheidung für Deutschland, sagt Gonzalo Castro, "ist Ausdruck meines Heimatgefühls". Als Dieter Eilts dem 18-Jährigen jüngst ein Ultimatum stellte, damit die Einbürgerung noch bis zur EM klappt, unterstützte ihn der Bundestrainer Jürgen Klinsmann ausdrücklich; der betonte, man müsse sich um jene Spieler bemühen, die in Deutschland ausgebildet wurden.

Dass das nicht immer klappt, zeigen andere Beispiele. Die in Deutschland geborenen Türken Nuri Sahin (Dortmund), Yildiray Bastürk (Berlin) sowie die Zwillinge Hamit und Halil Altintop (Schalke bzw. Kaiserslautern) haben sich für das türkische Team entschieden - obwohl sie auch in den deutschen Nationalmannschaften mit offenen Armen empfangen worden wären.

© SZ vom 15.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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