TSG Hoffenheim:Superjahr mit Schönheitsfehlern

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Note zwei bis vier: Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann. (Foto: Alex Grimm/Getty)

Die Nagelsmann-Elf bleibt in dieser Saison unbesiegt, hadert aber mit dem zehnten Remis. Auch der Trainer schwankt zwischen Stolz und Frust.

Von Tobias Schächter, Hoffenheim

Julian Nagelsmann erzählte jüngst, immer an Silvester, kurz vor Mitternacht, verlasse er das Fest, um für einen Moment das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Diesmal werde er dabei sicher eine Träne verdrücken - aus Demut, so der Trainer der TSG Hoffenheim, aber auch ein bisschen aus Stolz. 2016 wird für Nagelsmann das Jahr bleiben, in dem er mit 28 der jüngste Cheftrainer in der Geschichte der Bundesliga wurde und diese Chance eindrucksvoll nutzte. Mittlerweile ist der Oberbayer 29 Jahre alt. In neun Monaten hat er aus einem Fastabsteiger einen Europapokal-Anwärter gemacht, und er selbst ist inzwischen einer der spannendsten Trainer der Liga, dessen Werdegang auch die besten Vereine interessiert verfolgen: Hoffenheim ist nach 16 Spieltagen die einzige unbesiegte Elf der Liga.

Nach dem abschließenden 1:1 gegen Bremen war Nagelsmann allerdings stark frustriert. Ein paar Minuten länger noch, und die am Ende völlig entkräfteten Hoffenheimer hätten nach dem Ausgleich von Serge Gnabry (87.) womöglich sogar ein weiteres Gegentor kassiert. Dabei hätten die zuvor hoch überlegenen Badener die Schlussphase entspannt angehen können. Doch wieder mal vergaben sie klare Torchancen und ließen auch prächtige Kontermöglichkeiten dilettantisch liegen. So führte die TSG nur 1:0 durch das neunte Saisontor von Mittelstürmer Sandro Wagner (26.).

Statt auf Champions-League-Rang drei überwintern die Nagelsmänner nun auf Europa-League-Rang fünf. Mäzen und Gesellschafter Dietmar Hopp streckte den Daumen beim Gang in die Kabine nach oben und betonte: "Wir sind immer noch ungeschlagen." Das stimmt, aber die TSG hat auch erstaunliche zehn Unentschieden fabriziert. Zieht man das glückliche 1:1 beim FC Bayern ab, so hätte man nicht nur nach eigener Wahrnehmung in Darmstadt, gegen den HSV, gegen Dortmund und gegen Bremen gewinnen müssen. "Vielleicht", so Nagelsmann, "wären wir dann aber in Sphären, wo wir noch nicht hingehören."

Der ehrgeizige Coach hatte vor der Saison mit der Mannschaft intern ein Saisonziel vereinbart, das er keinesfalls verraten will. Man darf aber davon ausgehen, dass der notorisch mutige Nagelsmann nicht tiefgestapelt hat. Den Tabellenplatz zu Weihnachten bewertete er mit der Schulnote zwei, seine persönliche Zufriedenheit aber nur mit einer "drei bis vier". Denn Nagelsmann hat in Hoffenheim eine völlig neue Mentalität etabliert, Selbstzufriedenheit ist ein Unwort geworden. Auch den Spielern war die Bitternis über das 1:1 gegen Bremen anzumerken: Abwehrboss Kevin Vogt verließ das Stadion wortlos, Stürmer Mark Uth sprach von einer "großen Enttäuschung". Nagelsmann findet es "gut, dass die Spieler mit Frust in die Pause gehen"; das steigere "die Lust, es nach dem Urlaub besser zu machen" - auch bei ihm.

Es ist sogar eklig, gegen die ehemals zaudernde TSG-Elf zu spielen. In Sandro Wagner, Benjamin Hübner und Vogt verpflichtete man aggressive Spieler, die Nagelsmanns Forderung nach "mehr Männlichkeit" körperbetont erfüllen. Und viele Spieler wurden sehr viel besser. Sebastian Rudy und Niklas Süle werden daher wohl im Sommer zum FC Bayern wechseln.

Offiziell geht Hoffenheim mit dem mutmaßlichen Verlust der beiden Teamsäulen gelassen um. Man habe auch Weggänge wie Firmino (Liverpool), Volland (Leverkusen) und Strobl (Gladbach) verkraftet, betont Manager Alexander Rosen: "Wir sind das gewohnt, irgendwann wird die Spielerqualität zu groß für unseren Klub." Und manchmal wachsen auch Trainer über ihre Vereine hinaus. Bei Nagelsmann, das wissen sie bei der TSG, besteht diese Gefahr.

Einkaufen will Hoffenheim im Winter nicht, womöglich aber zuletzt nicht berücksichtigte Leute abgeben (Vargas, Kim, Terrazzino, Szalai). Zur Behebung der Abschlussschwäche will sich Nagelsmann in der Pause neue Trainingsformen überlegen. Dennoch weiß der Trainer, dass er Grund hat, mit dem Jahr hochzufrieden zu sein. Auf die Frage, ob er an Silvester auch eine Frustträne verdrücken werde, sagte er am Mittwoch: "Täte ich das, hätte ich einen Pfeil im Kopf."

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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