TSG Hoffenheim:Mit der Kraft des stillen Wassers

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Auftakt zur Wende: Hoffenheims Mark Uth überwindet Ingolstadts Torwart Örjan Nyland und trifft zum 1:1-Ausgleich. (Foto: Avanti/imago)

Die TSG Hoffenheim dreht die Partie gegen Ingolstadt und bleibt wohl Erstligist - aber bleibt auch der Kader zusammen?

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Nein, versicherte Julian Nagelsmann, das so wichtige Kellerduell zwischen Werder Bremen und dem VfB Stuttgart werde er am Montagabend nicht mit seinen Spielern anschauen: "Ich will ja nicht, dass die Jungs sehen, wie ich rumschreie", erklärte der Trainer der TSG Hoffenheim - und lachte. Auch in der Disziplin Flachsen macht diesem immer noch erstaunlich jungen Trainer niemand etwas vor. Was Nagelsmann aber mit seinem kleinen Scherz abtat, ist in Wahrheit mit einem Ärgernis für die Hoffenheimer verbunden: Trotz des späten und mit allerlei Beulen erkämpften 2:1-Siegs gegen Ingolstadt muss die TSG immer noch auf die Konkurrenz schauen. Auch wenn niemand mehr daran glaubt, kann Hoffenheim zumindest theoretisch immer noch absteigen - selbst Frankfurt gewinnt ja plötzlich wieder.

Das tut die TSG mit Nagelsmann schon seit drei Monaten fleißig, man sammelte in nur zwölf gemeinsamen Partien exzellente 23 Punkte. Dass trotz dieser Erfolgswelle und inzwischen 37 Zählern der Ligaverbleib zwei Spieltage vor Rundenende noch immer nicht endgültig gesichert ist, zeigt vor allem eines: Wie desolat die Situation in Hoffenheim vor der Beförderung des Jugendtrainers Nagelsmann war.

Es ist inzwischen keine allzu kühne Behauptung mehr, dass Hoffenheim mit dem 62 Jahre alten Nagelsmann-Vorgänger Huub Stevens ähnlich sang- und klanglos abgestiegen wäre wie Hannover 96. Denn diese Stabübergabe bedeutete mehr als einen Generationenwechsel. Während Stevens viele Spieler in die innere Emigration brummte und einen beim Personal ungewohnten, vorsichtigen Spielstil ausrief, gab Nagelsmann von Beginn an den Optimisten und schaffte es, mit seinem Mut und durch gute Ergebnisse in der Mannschaft eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Nagelsmann war außerdem schlau genug, nicht allzu dogmatisch zu agieren.

Pragmatismus ("Von Perfektion habe ich mich verabschiedet") und Lernfähigkeit ("Im Abstiegskampf zählen Resultate, nicht das schöne Spiel") gehören fast von Beginn an zu seiner Arbeit. Aus dem 1:5 beim VfB Stuttgart zog er die richtigen Lehren und passte die offensive Grundausrichtung seines Teams fortan den Stärken des Gegners an. Und die Mannschaft zeigt plötzlich Nehmerqualitäten. Früher verzweifelte sie an Rückschlägen, jetzt sind Selbstvertrauen und Spielglück zurück. Einwechselspieler erzielen Siegtreffer, wie diesmal erneut Nadiem Amiri gegen Ingolstadt (84.). In Schlussphasen holt die TSG nun wichtige Zähler statt welche zu verspielen. Und weil "Klassenerhalt" als Ziel so ambitionslos klingt, hat Nagelsmann ein neues Saisonziel ausgerufen: Er will mit dem Team die beste Rückrunde seit Hoffenheims Bundesliga-Aufstieg 2008 spielen. Noch ein Sieg gegen Hannover oder Schalke - und auch das wäre geschafft.

Dieser Mannschaft ist mit diesem erstaunlichen Trainer inzwischen eine Menge zuzutrauen. Nagelsmann feiert Siege mit stillem Wasser, er fährt mitunter mit dem Motorrad zum Training und gibt nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig von seiner Arbeit preis. Die große Frage lautet nun aber: Reicht die Euphorie um seine Person aus, um ehrgeizige Nationalspieler wie Kevin Volland und Sebastian Rudy von einem Verbleib hinaus zu überzeugen? So sehr sich Hoffenheims Macher über den wohl bald geschafften Klassenerhalt freuen - wenn sie ehrlich sind, haben sie auch Sorge vor einem möglichen Ausverkauf.

Am begehrtesten sind Angreifer Volland und Verteidiger Süle

Volland besitzt eine Ausstiegsklausel, mit der er für angeblich rund 15 Millionen Euro den Verein verlassen kann; Angebote gibt es seit zwei Jahren. Medien-Spekulation vor dem Ingolstadt-Spiel, wonach er am Saisonende definitiv wechsele, nannte Volland "eine Frechheit". Der Angreifer ist für viele Spitzenklubs interessant, auch der designierte Aufsteiger RB Leipzig soll um ihn buhlen. TSG-Sportchef Alexander Rosen gibt sich gelassen: "Von Volland heißt es jedes Jahr, er gehe weg. Warten wir doch ab. Es gibt die klare Marschroute, sich nach dem erfolgten Klassenerhalt mit den Umworbenen zusammenzusetzen."

Dazu gehört sicherlich auch Niklas Süle. Der 20 Jahre junge Hüne ist auf dem Weg vom Talent zum Spitzenspieler und neben dem Leverkusener Jonathan Tah wohl der begabteste junge Innenverteidiger der Liga. Der angedachte Wechsel von Mats Hummels von Dortmund nach München könnte für viele Vereine Folgen haben - und Süle in den Fokus rücken.

In dieser Saison sind Europapokal-Träume in Hoffenheim früh und laut zerplatzt. Den Klassenerhalt hat Julian Nagelsmann nun schon fast geschafft - als Nächstes muss er jetzt aber auch die Kraft haben, alle Spieler von einer neuen Perspektive zu überzeugen.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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