TSG Hoffenheim:Ein Draufgänger, ein Wirbelwind

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Eingewechselt, Ball reingeschoben, Spiel gewonnen! Reiss Nelson trifft gegen den Augsburger Torwart Luthe zum 2:1 für Hoffenheim. (Foto: Oliver Zimmermann/imago)

Erneut sind Joelinton und Reiss Nelson maßgeblich an einem Sieg beteiligt, diesmal gegen den FC Augsburg.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Sagen wollte Joelinton Cassio Apolinário de Lira, kurz Joelinton, nach dem Spiel diesmal nichts. Höflich, aber bestimmt teilte er dies den Reportern mit, verließ die Katakomben der Sinsheimer Arena und freute sich auf ein paar erholsame Tage. Der 2:1-Sieg gegen den FC Augsburg vor der Länderspielpause war ein Kraftakt für die TSG Hoffenheim: "Heute haben wir uns das Glück erarbeitet", stellte Trainer Julian Nagelsmann nach einer zähen Partie treffend fest. Dabei standen der Einsatzwille und das Durchsetzungsvermögen von Stürmer Joelinton beispielhaft dafür, dem unbequemen Gegner und der Müdigkeit nach dem Champions-League-Spiel unter der Woche in Lyon (2:2) getrotzt zu haben. Wie sich Joelinton vor dem 1:0 durch Andrej Kramaric (65.) gegen die Verteidiger Gouweleeuw und Hinteregger aus fast aussichtsloser Situation einen Vorteil verschaffte und nach der Balleroberung die Übersicht behielt, das zeigte seine Klasse. Nagelsmann schwärmte wie ein Fan: "Salopp gesagt: Der Typ ist eine Maschine. Der ist nur schwer kaputt zu kriegen."

Dank der Transfers trauert keiner mehr Uth und Gnabry nach

Durch den vierten Sieg in Serie stellte Hoffenheim den Anschluss an die Champions-League-Plätze her. Der späte Siegtreffer des kurz zuvor eingewechselten Reiss Nelson (83.) ermöglichte dies - gegen widerborstige Augsburger, die durch Alfred Finnbogason zum 1:1 (69.) gekommen waren. Auch der Matchwinner wollte sich, eingemümmelt in einen Kapuzenpulli, wortlos verabschieden. Doch dann rutschte Nelson die Kapuze vom Kopf, er musste kurz stehen bleiben und sagte: "Ich bin in großartiger Form, der Trainer bringt mich immer zum richtigen Zeitpunkt."

Danach zog der Engländer wieder die grüne Kapuze über seine Afrofrisur und machte sich auf den Weg auf die Insel. Reiss Nelson ist zwar erst 18, aber bereits für die U 21 Englands nominiert und im Blickfeld von A-Nationaltrainer Gareth Southgate. Geht seine Entwicklung in die erwartete Richtung, ist dem in London geborenen Sohn einer Britin und eines Vaters aus Simbabwe eine große Karriere zuzutrauen. Schnell auf den Beinen und torgefährlich ist dieser technisch perfekte Dribbler, der für nur eine Saison vom FC Arsenal an die Hoffenheimer ausgeliehen ist.

Joelinton und Reiss Nelson waren in diesem Sommer die großen Unbekannten unter den TSG-Zugängen. Doch nach einem Drittel der Saison haben sie sich längst Respekt verschafft und bilden mit Vizeweltemeister Kramaric und dem wuchtigen Adam Szalai ein variables Aufgebot im Angriff. Für Joelinton stehen wettbewerbsübergreifend acht Tore und fünf Vorlagen in 17 Einsätzen in der Statistik. Und man traut diesem draufgängerischen Stürmer noch mehr zu. Joelinton könnte der nächste in der Reihe brasilianischer Talente sein, die in Hoffenheim ihre Karriere in Europa starteten und von dort mit großem Gewinn weiterverkauft wurden.

Wie seine Vorgänger Luiz Gustavo, Carlos Eduardo und Firmino wird auch Joelinton von der Beraterfirma von Roger Wittmann betreut. In dessen Loge verfolgen oft Joelintons Eltern, dessen Freundin und Sohn die Heimspiele. Nach einem schweren ersten Anlauf in Baden mit nur einer Minute Erstliga-Einsatzzeit gewöhnte er sich zwei Jahre lang bei Rapid Wien an Fußball und Leben in Europa und lernte Deutsch. Jetzt entwickelt er sich im zweiten Anlauf unter Nagelsmann zu einem gefürchteten, durchsetzungsstarken Kombinationsspieler mit technischer Raffinesse. Joelinton sei eine Kante, die eklig zu verteidigen sei, sagt de Coach liebevoll.

Nelson hingegen ist ein Naturtalent, das der Trainer behutsam wachsen lassen will, Nagelsmann sagt: "Reiss ist sehr unbekümmert, er spielt nach Einwechslungen besser, als wenn er von Anfang an spielt." Für seine sechs Ligatore und eine Vorlage genügten dem Wirbelwind sieben Einsätze mit nur 325 Minuten - effizienter ist nur der Dortmunder Torjäger Paco Alcacer.

Dank der Einkaufspolitik des Klubs trauert niemand mehr den Sturm-Abgängen Mark Uth (Schalke), Serge Gnabry und Sandro Wagner (beide Bayern) nach. Schon den Abschied von Kevin Volland (Leverkusen) und Firmino (Liverpool) hatte die TSG gut verkraftet, und das lässt die Hoffenheimer erneut von einer starken Saison träumen - trotz der Schwächen in der Defensive, wo der Verlust von Niklas Süle zu den Bayern bisher nicht kompensiert ist, und trotz der Rückschläge in Pokal und Champions-League.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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