TSG Hoffenheim:Buhrufe für den Gladiator

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Stürmer sollen bekanntlich da hingehen, wo es wehtut. Für Sandro Wagner gilt: Es tut weh, wo er hingeht. Sein Treffer gegen den FC Augsburg sorgt mal wieder für eine Debatte.

Von Markus Schäflein, Augsburg

Sandro Wagner stand im ersten Spiel nach der Winterpause gleich wieder im Mittelpunkt. Aus Sicht seines Vereins, der TSG Hoffenheim, weil er das Tor zur 1:0-Führung erzielt hatte (47.). Es war bereits sein zehntes in dieser Saison und ein typisches Sandro-Wagner-Tor, als er sich wuchtig durchdrückte gegen Augsburgs Innenverteidiger Martin Hinteregger. Aus Sicht des Gegners, des FCA, weil Wagner auch beim zweiten Treffer eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Er war zwar gar nicht am Ball, das durfte er auch nicht sein, weil er beim Steilpass von Kerem Demirbay im Abseits gestanden hatte. Der Ball fand stattdessen Mark-Alexander Uth, und dessen Hereingabe verwertete Andrej Kramaric. Aber ob Wagners Verhalten als passives Abseits beurteilt werden konnte, darüber wurde gestritten, weil er Paul Verhaeghs Laufweg behinderte. "Er hat uns irritiert", meinte Hinteregger, und Augsburgs Trainer Manuel Baum sagte: "Für mich war das ein ganz klares Abseits."

Auf jeden Fall war es ganz klar clever von Wagner, der mal wieder polarisierte - das ist er schon gewohnt. 1,94 Meter groß, 90 Kilo schwer, breites Kreuz - Stürmer sollen ja immer da hingehen, wo es wehtut, aber bei Wagner gilt, dass es weh tut, wo er hingeht. Er teilt aus und steckt ein und sagte einmal: "Manchmal fühle ich mich wie ein Gladiator." Seine Gegenspieler beklagen sich gerne über seinen Körpereinsatz, worauf Hinteregger diesmal verzichtete ("Man kennt ja seine Spielweise").

Wagner selbst beklagte des Öfteren, dass er nicht für die Nationalmannschaft berücksichtigt wurde. "Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer", sagte er im Dezember, was ihm einigen Spott einbrachte. Nun, jedenfalls ist er derzeit der beste Bundesliga-Torschütze mit deutschem Pass, er liegt auf Rang vier hinter Aubameyang (Dortmund/Gabun), Lewandowski (FC Bayern/Polen) und Modeste (Köln/Frankreich). Wagners Hoffenheimer Sturmkollege Uth, der bisher fünf Mal traf, gilt dennoch im Vergleich als der aussichtsreichere Kandidat für die Nationalelf - weil er 25 und damit vier Jahre jünger ist.

Für die gegnerischen Fans ist Wagner regelmäßig das Ziel von Schimpftiraden - nicht nur wegen seiner Spielweise, sondern auch, weil von ihm die These stammt, dass Profifußballer zu wenig verdienen. Dass er "teilweise" gesagt hat, ist längst vergessen. Auch zu den Hasstiraden hat er eine Meinung formuliert: "Fußball wird leider immer öfter als Plattform von Verrückten missbraucht. Manchmal habe ich in Deutschland das Gefühl, dass Menschen in ein Stadion gehen und ihre sozialen Kompetenzen komplett draußen lassen."

Jahrelang hatte der gebürtige Münchner Wagner, der vom FC Bayern ausgebildet wurde und einer der U-21-Europameister von 2009 war, keine Schlagzeilen mehr verursacht - in Duisburg, Bremen, Kaiserslautern oder Berlin wurde er trotz seiner Größe weitgehend übersehen. Als er in der vergangenen Saison 14 Treffer zum wundersamen Klassenverbleib der Darmstädter Kämpfer beitrug, änderte sich das. Und dann holten ihn die Hoffenheimer - er ist jetzt der Gladiator in einer Mannschaft, die vornehmlich auf Taktik und Technik setzt. "Wir wussten, dass er so ist", hat Trainer Julian Nagelsmann einmal gesagt, "und ich bin ganz ehrlich: Ich will auch, dass er so ist."

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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