Tschechien:Stunde der Reservisten

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Der enorme Kraftaufwand der ersten beiden Partien hat sich gelohnt: Die Tschechen sind bereits sicher für das Viertelfinale qualifiziert. Gegen Deutschland werden sie daher mit einer B-Elf spielen und wollen dennoch offene Rechnungen begleichen.

Von Christoph Biermann

Die Sport Uniao Sintrense ist ein kleiner Fußballklub mit einem etwas abgeschabten aber sehr hübschen Stadion im Zentrum von Sintra. Zuletzt waren die Tage etwas schwer, weil der Klub gerade aus der dritten portugiesischen Liga abgestiegen ist, doch nun ist wie zum Trost die große, weite Welt zu Gast.

Wo es sonst gegen die bescheidenen Helden von Moscavide oder Camacha geht, laufen nun Pavel Nedved, Tomas Rosicky oder Milan Baros über den Platz, echte Stars. Der Vereinspräsident platzt vor Stolz, dass er den tschechischen Journalisten im Klubhaus ein improvisiertes Pressezentrum einrichten durfte. Zur Mittagszeit spendiert er mit breitem Strahlen köstliche Queisadas de Sintra, eine Spezialität der lokalen Konditoren.

Zumindest bis zum Ende der Woche wird der Klubchef den Tschechen diese Gastfreundschaft weiter angedeihen lassen können, denn bekanntlich ist ihre Mannschaft schon vor dem dritten Gruppenspiel gegen Deutschland fürs Viertelfinale qualifiziert. So macht sich auch um das Team derzeit eine Entspannung breit, die nahe legt, dass die Spieler am liebsten wohl selbst gerne bei süßen Leckereien ausspannen würden.

Veränderungen im Team

"Die ersten beiden Partien haben eine Menge Kraft gekostet, da wäre eine kleine Pause willkommen", sagt Pavel Nedved. Und es bestehen wenig Zweifel daran, dass der Mannschaftskapitän die gewünschte Pause am Mittwoch gegen Deutschland bekommen wird.

Der Pressesprecher des Verbandes kündigte schon einmal unter der Hand an, dass neben Nedved auch Pavel Poborsky und Jan Koller pausieren werden. Tomas Galasek wird als einziger Spieler mit einer Gelben Karte nicht eingesetzt, um eine Sperre zu vermeiden. Zudem wird Verteidiger Tomas Grygera voraussichtlich nicht zum Einsatz kommen, was aber weniger mit Schonung als mit taktischen Experimenten zu tun hat.

"Bis jetzt haben wir nur mit zwei Außenverteidigern gespielt, daher wird es Zeit, auch andere Spieler auf dieser Position zu testen", sagte Tschechiens Trainer Karel Brückner. Dass faktisch ein B-Team auflaufen wird, ist bislang dennoch unbestätigt, aber Zweifel an einer Fülle von Veränderungen zu den Aufstellungen bei den Auftaktsiegen gibt es keine.

Möglicherweise wird auch der Dortmunder Tomas Rosicky geschont. "Aber wir werden bestimmt nicht mit elf Neuen antreten", sagt Roman Tyce von München 1860, der im defensiven Mittelfeld die Position von Galasek einnehmen dürfte. Noch ein weiterer Bundesligaspieler wird bei dieser Europameisterschaft zu seinem ersten Einsatz im tschechischen Team kommen.

Vratislav Lokvenc, ab der nächsten Saison beim VfL Bochum unter Vertrag, soll für Koller die Angriffsmitte besetzen. Sein Sturmpartner wird aber möglicherweise Milan Baros bleiben. Lokvenc ist der Ansicht, dass es für die deutsche Nationalmannschaft kein uneingeschränkter Vorteil ist, dass bei den Tschechen die Stunde der Reservisten gekommen ist.

"Wir wollen auch zeigen, was wir können", sagt der Angreifer. Dagegen nimmt der Münchener Tyce seinen möglichen Einsatz als Belohnung. "Ich bin froh, dass ich überhaupt in so einem starken Kader dabei bin."

Fünf aktuelle Profis und mit Marek Heinz ein ehemaliger Profi aus der Bundesliga stehen im Kader der Tschechen, die Hoffnung auf etwaige Freundschaftsdienste sollte man daraus jedoch nicht ableiten. "In diesem Spiel gibt es keine deutsch-tschechische Freundschaft, wir wollen unbedingt gewinnen", sagt Tomas Ujfalusi vom Hamburger SV.

Auch Jan Koller, der auf dem Platz seinem Dortmunder Mannschaftskameraden Christian Wörns begegnen könnte, ist in dieser Frage reserviert: "Wir sagen vorher kurz Hallo, und dann ist es mit der Freundschaft vorbei."

Eher sehen die Tschechen ihren Nachbarn als Rivalen. Immerhin gelang seit dem EM-Finale 1976 kein Sieg mehr gegen Deutschland, und die Rechnung aus dem Endspiel der EM 1996 in England steht auch noch offen.

© Süddeutsche Zeitung vom 22.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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