Triumph in Wien:Feierabendbier im Beachtop

Lesezeit: 3 min

Laura Ludwig und Kira Walkenhorst gewinnen auf der Wiener Donauinsel den WM-Titel.

Von Sebastian Winter, Wien

Wer wissen will, welche Erleichterung in den Gesichtern von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst zu lesen war, der musste sich am Samstagnachmittag auf die Bertha von Suttner begeben. Das Schulschiff, fest neben der ausgedörrten Donauinsel verankert, in dem tatsächlich ein Gymnasium samt Turnhalle untergebracht ist, wenn nicht gerade Sommerferien sind, dient bei dieser Beachvolleyball-Weltmeisterschaft in Wien als Organisations-und Medienzentrum. Walkenhorst und Ludwig enterten es - zugegebenermaßen über eine bequeme Fußgängerbrücke, von der Landseite. Noch vor der Pressekonferenz sagte Ludwig: "Tschuldigung, dass ich nicht angemessen angezogen bin."

Wobei: Was konnte angemessener sein nach dem Finaltriumph bei dieser WM, durch einen hart umkämpften 2:1 (19:21, 21:13, 15:9)-Erfolg über die US-Amerikanerinnen Laura Fendrick und April Ross, als barfuß und in ihrer Arbeitskleidung zu erscheinen. Beachtop und knappes Höschen also, der versprühte Sekt kroch beiden Sportlerinnen aus allen Poren. Vor ihnen thronte ihr goldener Pokal. Fast zärtlich wischte Walkenhorst, die Blockerin, der Abwehrkünstlerin Ludwig noch ein wenig Sand aus dem Gesicht. Dann sagte die 26-Jährige: "Ich kann es nicht glauben, wir hatten so viele Probleme." Ludwig bekam feuchte Augen.

Ludwig und Walkenhorst waren allenfalls als Geheimtipp gestartet

Die Fallhöhe dieses Triumphs vor 10 000 kreischenden Zuschauern auf dem vollen Center Court, die in Auszeiten mit Wasser-Fontänen aus Feuerwehrschläuchen abgekühlt wurden, ist enorm. Ihr Olympiasieg von Rio hatte den beiden Wahl-Hamburgerinnen schon einen Eintrag in die Geschichtsbücher gebracht, keinem europäischen Frauen-Duo war dieses Kunststück vorher gelungen. Und nun gewannen die beiden als erste Europäerinnen überhaupt auch noch den WM-Titel. Bei den Männern war dies nur Julius Brink und Jonas Reckermann und danach den Holländern Brouwer/Meeuwsen geglückt. Als bisher beste deutsche Frauen bei einer WM firmieren Karla Borger und Britta Büthe, die 2013 Silber gewannen. Ansonsten haben sich in der zwanzigjährigen Historie Brasilianerinnen und US-Amerikanerinnen die Titel streitig gemacht - nur einmal unterbrach ein chinesisches Team diese Serie.

Ludwig und Walkenhorst waren vor neun Tagen allenfalls als Geheimtipp ins Turnier gestartet. Walkenhorst konnte wegen ihrer entzündeten Schulter erst in Wien wieder hart angreifen, mitunter begleitet von enormen Schmerzen. Sie spielt ohne Meniskus im rechten Knie. Weil er ihr dauernd weh tat, hatte sie den vor Rio für die Teilnahme an den Olympischen Spielen geopfert. Und Ludwig konnte nach ihrer Schulter-Operation aus dem Dezember erst im Mai wieder leidlich angreifen. "Wir haben dieses Jahr vorher nicht einmal zu unserem Spiel gefunden", sagte Ludwig nun auf der Bertha von Suttner.

Doch bei der WM auf diesem monströsen, zehn Fußballfelder großen Gelände, flankiert von einer Spielwiese aus Rutschenparadies, Boulderwand und allerlei anderem Unterhaltungs-Schnickschnack, das die Organisatoren binnen eines Monats auf die Donauinsel gebaut haben, fanden sie mit jedem Spiel mehr zu ihrem Rhythmus. Ludwig, die 31-Jährige, deren Abwehrstärke, Antizipation und technisches Repertoire nur wenige andere auf der Welt haben. Und Walkenhorst, die so schlaggewaltige Blockerin, die mit ihren schwarzen Tapeverbänden wie eine Kriegerin aussah. Es ist ein Duett, das sich auch in Wien wieder perfekt ergänzte. Und das gerade als so genannte Insellösung, abseits der Verbandsstrukturen, mit eigenem Staff und Management, so gut harmoniert.

Ludwig stimmte sich mit Calamari beim Italiener ein

Die Europameisterschaft, das Weltserien-Turnier in Hamburg und die deutsche Meisterschaft in Timmendorfer Strand stehen demnächst an, Ludwig und Walkenhorst wollen weitermachen, mit den Spielen in Japan 2020 als möglichem nächsten Höhepunkt. Aber sie verschwendeten keinen Gedanken daran auf dem Schulschiff. Sie stießen lieber mit einem kleinen Feierabendbierchen auf ihren Erfolg an. "Ich würde am liebsten alles rausschreien, auf der anderen Seite bin ich so todmüde, dass ich nur ins Bett möchte", sagte Ludwig, die übrigens einen nicht ganz reibungslosen Vorabend verbracht hatte.

Um 20.02 Uhr stand sie vor einem verschlossenen Supermarkt, in dem sie etwas Leckeres für sich und eine Freundin zum Kochen kaufen wollte. "Ich bin dann kurz mal ausgerastet, aber mit dem Fahrrad und meiner Freundin weiter zum nächsten Italiener." Dort gab es dann beste Calamari, dazu ein Gläschen Rotwein, und Ludwig durfte sich wieder glücklich einstimmen auf diesen Samstag, an dem sie mit Kira Walkenhorst ihre so schwierigen letzten Monate im Sand auf der Donauinsel vergrub.

© SZ vom 06.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: