Trauer in den USA :So viele Tassen Liebe

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Überall in den USA errichten die Menschen kleine Gedenkstätten für Muhammad Ali - hier in Louisville. (Foto: Timothy D. Easley/AP)

CNN bringt den ganzen Tag über Sondersendungen, Präsident Obama und seine Frau schreiben einen Brief, George Foreman verliert einen Teil von sich selbst, und in den Bars wird es leise.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Jimmy Glenn betreibt eine Bar in der Nähe des Times Square. Jimmy's Corner heißt sie, die Bar ist ein Geheimtipp. Aus der Jukebox kommt nur Musik, "die deinem Vater gefallen würde", wie auf einem Sticker steht: Klassiker der Black Music, Nina Simone zum Beispiel. Oh Sinnerman, where you gonna run to? Keine Bar für politische Diskussionen, so steht es auf einem anderen Sticker an der Wand. Eine Wand, die gesäumt ist mit unzähligen Fotos von Box-Legenden und den Ankündigungsplakaten großer Kämpfe wie diesem: Ali gegen Frazier im knapp eine Meile entfernten Madison Square Garden.

Glenn, der Besitzer, war ein Freund von Ali, hin und wieder war er auch sein Trainer. Eines der Fotos zeigt Ali und ihn gemeinsam. Und deshalb war auch Glenn am Freitagabend einer der vielen Menschen in den USA, die etwas dazu sagen sollten, dass Muhammad Ali, The Greatest of All Time, im Alter von 74 Jahren gestorben ist. Glenn sagte der New York Times: "Er war ein König unter Menschen. Ein Kämpfer, ein Poet, ein Politiker. Er war alles."

Für gewöhnlich laufen in Jimmy's Corner am Freitagabend aufmehreren Bildschirmen Sportsender, es ist ja Playoff-Zeit in der NHL und der NBA, dazu läuft die Baseballsaison, und die USA ist Gastgeber für die Copa América Centenario, es gibt also viel zu berichten. Doch am Freitagabend hatte Glenn, so schreibt es die Times, mit einem "Ausdruck mürrischer Trauer", ausnahmsweise den Fernsehsender CNN eingeschaltet. "Es ist Zeit, dass sie die Nachricht erfahren", sagte er. Ein Bar-Besucher stand auf und erhob seine Stimme: "Das darf nicht sein. Alle im Raum: leise sein. Zeigt ein bisschen Respekt!" Denn der vielleicht beste Sportler seiner Zeit, der Kämpfer, der Poet, der Politiker, er ist gestorben, an einer Blutvergiftung.

Es wurde sehr leise in Jimmy's Corner am Freitagabend. Und es wurde sehr leise im ganzen Land.

"Ali, Frazier & Foreman. Wir waren eine Person."

CNN, der große US-Sender, bringt den ganzen Samstag lang eine Sondersendung. Über Stunden werden in einer Live-Sendung Menschen zugeschaltet, die Ali kannten und liebten. Sein Biograph zum Beispiel - oder George Foreman. Er nennt Ali "die größte Show der Welt" und spricht von der Zeit, als Ali ihn "Frankenstein-Monster" nannte. Auf Twitter fügt er später hinzu: "Ali, Frazier & Foreman. Wir waren eine Person. Ein Teil von mir ist mir entglitten."

Barack und Michelle Obama veröffentlichen einen Brief. Erster Satz: "Muhammad Ali war der Größte." Zweiter Satz. "Punkt." Wie jeder andere Mensch auf dieser Erde seien auch er und Michelle Obama in Trauer. Der Präsident schreibt, dass in einem privaten Raum im Weißen Haus Box-Handschuhe von Ali hängen würden. Ein Sinnbild dafür, wie sehr der Boxer das Land über den Sport hinaus geprägt hat und vor allem der schwarzen Community in den USA den Weg geebnet hat. Bei der Trauerfeier am Feitag wird der frühere US-Präsident Bill Clinton sprechen.

"Ali hat für uns gekämpft", heißt es in dem Brief. "Er stand neben (Martin Luther) King und (Nelson) Mandela; er ist aufgestanden, als es hart war. Hat gesprochen, wenn andere es nicht taten. Sein Kampf außerhalb des Rings hat ihn seinen Titel gekostet und sein Ansehen in der Öffentlichkeit. Es hat ihm Feinde beschert, von links und von rechts, er wurde beschimpft und beinahe ins Gefängnis gesteckt. Aber Ali blieb standhaft. Und sein Sieg hat uns geholfen, uns an ein Amerika zu gewöhnen, wie wir es heute kennen."

Mike Tyson twittert: "Gott hat sich seinen Champion geholt."

In Alis Heimatstadt Louisville hängen die Fahnen auf Halbmast. Bürgermeister Greg Fischer bedankt sich bei Ali für alles, was dieser seiner Stadt, seinem Land und der Welt gegeben habe. "Seine Reise von der Grand Avenue zur globalen Ikone dient als Erinnerung für uns, dass es junge Menschen gibt, die zu Höherem bestimmt sind. Muhammad Ali hat uns den Weg gezeigt." Im Laufe des Tages hat wohl jeder reagiert, die gesamte Sportwelt, jeder Boxer. Mike Tyson etwa twittert: "Gott hat sich seinen Champion geholt."

The Greatest, der Größte. Ali hat das von sich gesagt, da war er knapp 20 Jahre alt. Nach seinem Tod fällt in fast jeder Schlagzeile, jeder persönlichen Erinnerung dieses Wort. Als ob es Alis zweiter Name wäre. Der Basketball-Profi Scottie Pippen twittert: "Der Begriff GOAT (Greatest of all Time) wurde vor Ali nicht benutzt. Er hat den Standard für die Konkurrenz gesagt. Was für eine Inspiration."

Der 40. Ali-Titel in der Sports Illustrated

Die kommende Ausgabe der Sports Illustrated wird Ali zeigen. Es ist schon der 40. ihm gewidmete Titel in der Geschichte des bedeutendsten Sportmagazins des Landes. New York Post und Daily News haben Ali auf ihren Titelblättern. Alle drei Titel haben die gleiche Überschrift: "The Greatest."

Muhammad Ali wurde einmal gefragt, wie sich die Welt an ihn erinnern sollte. Er setzte zu einem 30-sekündigen Monolog an, ein für ihn so charakteristischer Mix aus Witz und Poesie: "Ich fände es schön, wenn sie das hier sagen würden: Er hat ein paar Tassen Liebe genommen, dazu einen Esslöffel Geduld, einen Teelöffel Großzügigkeit, ein winziges bisschen Freundlichkeit, ein Quant Gelächter, eine Prise Besorgnis. Anschließend mischte er Risikobereitschaft und Zufriedenheit, fügte große Mengen Glauben hinzu, verrührte es ordentlich, verteilte es anschließend auf seine Lebenszeit und servierte es jeder einzelnen, es verdienenden, Person, die er traf.'"

Die USA wird sich an ihn als all das erinnern. Und als einen großen Champion. Und zum Abschied hat ihm sein Land so viele Tassen Liebe serviert, wie es aufbringen konnte.

© SZ vom 05.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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