Trainer-Veteranen:Ein Halstuch gegen die Januarkälte

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Jupp Heynckes steht kurz davor, Trainer-Dekan der großen Ligen Europas zu werden. Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass auch Alter nicht vor Erfolgen schützt. Heynckes könnte sich auf die Jagd nach dem Rekord von Raymond Goethals machen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Dass der Fußball zu den Opiaten zählt, ist bekannt. Wem das entfallen war, den erinnerte der frühere englische Nationaltrainer Roy Hodgson jetzt daran. "Unglücklicherweise hat mir jemand vor sehr langer Zeit eine Droge namens Fußball in die Venen geschossen, und ich bin danach nie imstande gewesen, sie abzuschütteln. Ich bin immer noch ein Süchtiger", sagte Hodgson. Der Grund für seine Bitte um Vergebung: Er hatte soeben den Job als Trainer beim Premier-League-Klub Crystal Palace angetreten. Mitte September war das, wenige Tage nachdem er eine Torte überreicht bekommen hatte, die aussah wie ein Fackelzug. Er musste 70 Kerzen ausblasen.

Hodgson ist nun, da Jupp Heynckes wohl 72-jährig seine Rückkehr auf die Trainerbank des FC Bayern feiern wird, auch deshalb ein Thema, weil er ein Beispiel dafür ist, was alles schief gehen kann. Hodgson steht mit Crystal Palace auf dem 20. und damit auf dem letzten Tabellenplatz der Premier League - mit null Toren und null Punkten. Und natürlich wird nun auf der Insel immer intensiver über Hodgsons Alter diskutiert, beziehungsweise darüber, ob er imstande ist, mit seinen Untergebenen zu kommunizieren: Männer, die erst jüngst, wenn überhaupt, der Pubertät entwachsen sind. Und denen er manchmal vorkommen muss wie ein Greis.

Derlei ist alles andere als neu. Schon die Baseball-Legende Charles "Casey" Stengel musste in den 60ern solche Debatten ertragen - und wurde dann bei den New York Yankees mit Verweis auf seinen 70. Geburtstag geschasst. Er werde "nie wieder den Fehler begehen, 70 zu werden", gelobte er - und ätzte, dass es lächerlich sei, ihn aus biologischen Gründen für zu alt zu befinden: "Charles de Gaulle ist älter als ich, und er führt ein Land!" Was nicht ganz richtig war, weil der frühere französische Staatschef im selben Jahr wie Stengel geboren worden war: 1890. Stengel hätte auch auf den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer verweisen können, der 1949, bei Amtsantritt, schon 73 Jahre alt war.

Raymond Goethals war 71, als er die Champions League gewann

Adenauer war damals jünger als Fritz Schulz, der bis zum heutigen Tag als der älteste Bundesligatrainer der Geschichte gilt. Schulz war, als er 1978 bei Werder Bremen einsprang, 74. "Es hat ihn schwer getroffen, dass er in den Gazetten als Trainer-Opa tituliert wurde: ,Ich bin zwar Großvater, aber unter einem Opa stelle ich mir einen alten Mann mit einem Stock vor'", schrieb damals die Agentur SID. Am Stock ging er nicht, wohl aber trug er branchenuntypisch Hut, Mantel - sowie "ein Halstuch gegen die Januarkälte".

Einen solchen Aufzug konnte er sich nur leisten, weil er ein Strohmann war. Das Training leitete Rudi Assauer, der im Gegensatz zu Schulz keine Trainerlizenz hatte. Bei Otto Rehhagel, der 2012 bei Hertha BSC mit 73 Jahren und 184 Tagen zum zweitältesten Coach der Bundesligageschichte wurde, war das anders. Allerdings stieg Rehhagel ab. Es tröstete ihn, dass er sich längst mit einem anderen Superlativ schmücken durfte: Er war bei der WM 2010, als 71-jähriger, griechischer Nationalcoach zum ältesten Trainer der WM-Geschichte aufgestiegen. Nur Giovanni Trapattoni war bei einem Fußballgroßereignis älter, als er 73-jährig bei der EM 2012 die Iren betreute. Im Gegensatz zu Rehhagel und "Trap" ist Heynckes übrigens eines der wenigen Beispiele dafür, dass Alter nicht vor Erfolgen schützt. Er war bei seinem Triplesieg mit dem FC Bayern (2013) schon 68 Jahre alt. Und nur am Rande: Sollte Heynckes am 26. Mai 2018 in Kiew wieder die Champions League gewinnen, würde er mit dann 73 Jahren und 17 Tagen Raymond Goethals als ältesten Trainer mit einem Titel in europäischen Vereinswettbewerben ablösen. Der Belgier war 71 Jahre und 231 Tage alt, als er mit Olympique Marseille 1993 die erste Champions League gewann. Kurioserweise musste sich der Franzose Guy Roux Jahre später, 2007, das Recht erstreiten, als 68-Jähriger bei RC Lens Trainer zu werden. Der französische Ligaverband hatte seine Ernennung für ungültig erklärt, da er die damals gültige Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatte. Sie wurde dann, weil altersdiskriminierend, abgeschafft.

Heuert Heynckes nun beim FC Bayern an, wird er sofort der älteste Trainer der großen europäischen Ligen werden. Der älteste italienische Coach ist Luigi Delneri (67/Udinese Calcio), in Frankreich ist Claudio Ranieri (FC Nantes) keine 66 Jahre alt, in England ist Hodgson 70, und in Spanien darf sich Paco Herrera (Sporting Gijón) mit 61 schon als Methusalem fühlen. In Spanien gab es nur einen Trainer, der als 70-Jähriger Erstligatrainer war: Helenio Herrera, der 1981, mit 71 Jahren, beim FC Barcelona durch Udo Lattek ersetzt wurde, den wiederum Heynckes 1979 in Gladbach beerbt hatte. Der älteste Trainer der großen Ligen Europas war die schwedische Legende Nils Liedholm, er war mit 74 Jahren und 236 Tagen noch Trainer bei AS Rom. Das war 1997. Schon damals war der Spruch von Bette Davies, dass das Alter kein Platz für sissies sei, alt. Uralt.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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