Trainer der Hinrunde:Urs-Vertrauen

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Still, aber gar nicht heimlich, hat Urs Fischer den Aufsteiger Union Berlin in die sichere Zone der Bundesliga-Tabelle geführt. (Foto: Jan Hübner / Imago)

Haute Couture fürs Proletariat: Trainer Fischer hat Aufsteiger Union Berlin mit stabilem Fußball in der Liga etabliert.

Von Javier Cáceres

Mit gewisser Regelmäßigkeit schauen auch Schweizer in Köpenick vorbei, es ist Ausdruck des Anteils, den sie am Wirken ihres Landsmanns Urs Fischer in Berlin nehmen. Und zu den Fragen, die diese Schweizer umtreiben, gehört zum Beispiel diese: Wie die Berliner darauf reagieren, dass Fischer schon mal sehr gerade-, sehr frei heraus sein und reden könne. Dem Zürcher Tages-Anzeiger sagte Fischer selbst einmal, er wisse, dass seine Direktheit in der Heimat "nicht immer nur gut ankam". In Berlin ist das anders. Entweder, weil die Berliner Fischers Direktheit noch nicht in Reinform serviert bekommen, in dieser Beziehung ging es bisher ja nur nach oben. Oder aber diese Direktheit ist dergestalt, dass sie in Berlin, der Kapitale der Schroffheit ("Du kannst mir ma anne Pupe schmatzen!"), nicht weiter auffällt. In jedem Fall kommt Fischer in Berlin im Allgemeinen und in Köpenick im Besonderen verdammt gut an.

Wie auch sonst? In seinem ersten Amtsjahr führte Fischer den 1. FC Union erstmals in die erste Fußball-Bundesliga. Und in dieser ersten Saison in der gesamtdeutschen Erstklassigkeit (Union war vor 1990 jahrelang DDR-Oberligist) haben die Köpenicker schon 20 Punkte gesammelt. Unter anderem holten sie drei Zähler gegen den vergleichsweise etablierten Ortsrivalen Hertha BSC, was wiederum keine unerhebliche Rolle dabei spielte, dass wenig später Coach Ante Covic im Berliner Westend von seinem Amt entbunden und durch Jürgen Klinsmann ersetzt wurde. Erreicht ist für die Unioner "schlussendlich" noch nichts, wie Fischer sagen würde, er strapaziert das Wort gerne. Der Relegationsplatz ist fünf, der direkte Abstiegsplatz nur sechs Punkte entfernt, der Klassenerhalt mithin nicht gesichert. Aber: Von den Teams in der unteren Hälfte der Tabelle ist Union bisher das stabilste.

Das liegt auch daran, dass sich die Neulinge unter Fischer eine Art angeeignet haben, Fußball zu spielen, die im Stadion An der Alten Försterei zu einem bemerkenswert großen Vertrauen in ihren "Urs" und in den Klassenerhalt geführt hat. Sie haben Urs-Vertrauen, sozusagen.

Wie dieser Fußball ist? Er hat etwas Mysteriöses. Bei Union erkennt man viele kleine Fischers wieder: Fischer ist eine Klublegende beim FC Zürich, weil er ein rauflustiger Verteidiger war, der Pflugscharen unter den Sohlen trug. Der Typ Spieler also, mit dem sich Unioner gerne identifizieren. Wer jedoch daraus und aus dem ersten, oberflächlichen Blick auf die langen Bälle ableitet, dass Unions Fußball genauso prêt-à-porter ist wie die Funktionskleidung, die Fischer trägt, der irrt. Von wegen von der Stange!

Wer Union öfter beobachtet, erkennt, wie detailverliebt Fischer und sein Trainerteam Unions Fußball maßschneidern, auf den jeweiligen Gegner ausrichten, wie sie Haute-Couture fürs Proletariat herstellen, quasi. Wer genau hinsieht, wird auch verstehen, dass Fischers Titel mit dem FC Basel genauso wenig Zufall waren wie die Tatsache, dass Union nach der Startblamage gegen Leipzig (0:4 am 1. Spieltag) kontinuierlich besser wurde. An Unions Fußball wird gearbeitet, mit feinerer Nadel, als man meint.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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