Tour de France:Versprechen auf die Zukunft

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Jan Ullrich will solange zur Tour de France kommen, bis er sie noch einmal gewonnen hat. Dazu gab es auch einige Tipps vom großen Lance.

Von Andreas Burkert

St. Étienne - Jan Ullrich spricht ganz flüssig und vergleichsweise entspannt, was etwas verwundert, denn gerade hätten ihm die wie Kindsköpfe rangelnden Kameramänner fast einen dritten Sturz beschert bei dieser Tour de France.

Will die Tour nochmal gewinnen: Jan Ullrich. (Foto: Foto: Reuters)

Seine geschwollene Unterlippe zittert nervös, so sehr hat er sich verausgabt, doch nun ist er sehr zufrieden mit sich. Weil er ein recht eindrucksvolles Zeitfahren hingelegt hat, und außerdem ist bald alles vorbei.

Richtig im Arsch

Superglücklich sei er über den dritten Podiumsrang, erzählt er in seinem Ullrichdeutsch, "und es ist sicher meine größte Freude, dass ich gesund durchgekommen bin, denn ich hatte hier zwei Riesenstürze, die mich behindert haben". Er muss einmal tief Luft holen und sagt: "Ich bin jetzt erst mal richtig im Arsch."

Was der Sportler Jan Ullrich zu leisten imstande ist, damit er hinterher "richtig im Arsch" ist, hat er am Samstag noch einmal bewiesen mit seinem zweiten Platz bei der Wettfahrt rund um St. Étienne.

23 Sekunden ist er zwar langsamer gewesen als Lance Armstrong, doch der Tyrann der Tour tritt nun ab als Meister einer eigenen Liga. Und Ullrich interessierte sich schon früh nicht mehr für die Zwischenzeiten des unglücklichen Dänen Mickael Rasmussen, mit dem ein Duell um den dritten Platz gar nicht stattfand.

Er hätte gerne gewonnen "gegen den großen Lance", doch auch als Zweiter fühlte er sich mal wieder als Sieger, irgendwie. "Ich hätte die Tour auch aus dem Krankenhaus verfolgen können", sagt er, doch er habe sich durchgekämpft gegen die "Schmerzen, die ich keinem Gegner wünsche".

Tipps von Armstrong

Am Samstag legte er zudem zwischen sich und seinen möglichen Rivalen im nächsten Jahr, den Italiener Ivan Basso, trotz einer gewohnt verhaltenen Startphase mehr als eineinhalb Minuten. Basso, Sieger des diesjährigen Giro-Zeitfahrens, hatte sich den Geschwindigkeitswettbewerb fatal eingeteilt, nach 17 der 55 Kilometer führte er sogar knapp vor Armstrong.

Und so hat Ullrich dieses enorm schwere Zeitfahren, das er zu den besten seiner Karriere zählt, vor allem als Versprechen auf die Zukunft gewertet. Denn wiederkommen wird er, er sagt: "Ich fahre die Tour so lange, bis ich sie noch einmal gewonnen habe."

Damit er sich dereinst nicht die Blöße geben muss, mit ergrautem Schopf den Alterspräsidenten des Pelotons geben zu müssen, hat ihm Lance Armstrong höchstpersönlich einige Ratschläge gegeben.

Eigentlich hält er ja Basso, 28, für "die Zukunft der nächsten Jahre", doch Ullrich, 31, müsse "nur ein bisschen besser vorbereitet kommen, dann gewinnt er, und zwar häufiger".

Armstrong hat vergangene Woche mit seinem Teamchef überlegt, wen sie bei Discovery zum neuen Kapitän küren könnten. "Und da haben wir gedacht: Warum nicht Jan?" Rein theoretisch.

In der Realität sei Ullrich jemand, "den man am Ende immer als einen Fahrer sieht, der die Tour gewinnen kann - doch in den ersten zehn Tagen verliert er sie jedes Mal".

Armstrong mochte das nicht als Kritik verstanden wissen, obwohl es genau das gewesen ist, "aber das würde ich ihm zuerst sagen, wenn er in unserem Team wäre".

Doch weil Jan Ullrich noch bis 2006 bei T-Mobile verpflichtet ist (und Discovery wohl Hincapie oder Popowitsch befördern wird), werden sich abermals seine vertrauten Begleiter des ewigen Kandidaten annehmen.

Wobei die Rahmenbedingungen dieser Zweckgemeinschaft auch künftig der sonst alles andere als rigoros führende Kapitän vorzugeben gedenkt - auch wenn neuerdings Sportchef Mario Kummer und auch Teammanager Olaf Ludwig offenherzig bekennen, sie wüssten nicht genau, was ihr Athlet in der Vorbereitung treibe.

Nicht nur Ullrichs Betreuer Rudy Pevenage empfand dies als Versuch, "mir den Schwarzen Peter zuzuschieben", weil sein Klient womöglich erneut nicht bis in die tiefsten Winkel seines Leistungsreservoirs vorgedrungen sei.

"Aber das nehme ich nicht an", erwidert der Belgier, allein der rechtzeitige Abbau von Muskelmasse sei nicht gelungen, "das war ein Problem".

Im übrigen betont er, die Geschäftspartner könnten sich "jeden Tag informieren, was er trainiert, doch meistens habe ich sie angerufen - und nicht umgekehrt."

"Wir können ihn nur beraten"

Wenn überhaupt jemand für Ullrichs Training verantwortlich sei, "dann ist es Jan". Nicht er und auch nicht der italienische Sportarzt Luigi Cecchini, der die Trainingspläne schreibt. "Wir können ihn nur beraten."

Jan Ullrich will demnach weitermachen wie bisher, so stehe es schließlich auch im Vertrag, wie Mario Kummer einräumt. "Er möchte halt keine Kontrolle haben, und da hat T-Mobile schriftlich zugestimmt - und das bleibt dann eben auch so."

Trotzdem möchte der Teammanager Ludwig "einige Feinheiten verändern", wie er vage andeutet. Die Zusammenarbeit mit Pevenage werde intensiviert, denn dessen Intimfeind Walter Godefroot geht nun in Pension.

Am Samstag thronte Godefroot noch einmal in seinem Campingsitz vor dem Teammobil, während Pevenage unsicher am Rande stand. Deshalb verliert Ullrich in Courchevel nicht zwei Minuten, aber schneller macht ihn das vermutlich auch nicht.

Jan Ullrich darf seine Freiheiten behalten, Olaf Ludwig befürwortet das sogar. "Denn es hat keinen Sinn, ihn in einen Kasten zu setzen und ihm zu sagen: Da darfst du einen Arm rausstrecken, und da nicht. Wir befinden uns im Höchstleistungssport, und da hilft nicht: Früh auf die Waage und abends auch - dieser Weg wird bei ihm nicht zum Erfolg führen."

Diese Einsicht hat beim Magenta-Rennstall bislang noch niemand formuliert. "Und die Wahrheit", sagt lächelnd Mario Kummer, als in St. Etienne bereits die Müllmänner anrücken, "die zeigt das Rennen sowieso."

© SZ vom 25.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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