Tour de France:Start in die Vergangenheit

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"Nur Fragen zum Sport": Beim Tour-Prolog formieren sich Favoriten, Fans und willfährige Reporter zum Bollwerk gegen die Aufklärung

Andreas Burkert

Für Momente schauen dann doch wieder alle nur auf die schöne Strecke, sie führt durch den Hyde Park und vorbei am Buckingham-Palast, die Bilder sind in der Tat ganz wunderbar. Und unten auf der Leinwand am St. James's Park läuft natürlich die Zeit, acht Minuten achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig, das ist Platz eins für Fabian Cancellara, keine Frage. Auch Andreas Klöden, 32, hat die Ankunft des Schweizer Zeitfahrweltmeisters verfolgt, im Begleitfahrzeug seines Arbeitgebers Astana. Doch der Tageszweite vertreibt bald wieder das flüchtige Interesse am Prolog der 94. Tour de France. Denn er hastet davon, er flüchtet. Nur weg.

Die deutschen Medien sind schuld, das hat die Pressesprecherin des Rennstalls schon vorhin geäußert, nein, sie hat es verfügt. Die blasse Schweizerin, die ihre Übellaunigkeit bisher als Betreuerin der Tour de Suisse einem größeren Publikum darbot, hatte sich über die "unfairen'' Berichte über Astana und auch Klöden beschwert. Und nun legte also der Cottbuser mit 13 Sekunden Rückstand auf Cancellara den besten Prolog seiner Tourkarriere hin, womit er all die anderen Favoriten fürs erste distanziert hat, seinen kasachischen Kapitän Winokurow inklusive.

Aber Klöden rennt davon. Wovor wirklich, ist noch nicht ganz klar.

Dies sind die Gegensätze am ersten Wochenende der Tour. Hier die imposante Kulisse der britischen Kapitale und die mehr als eine Million Menschen an der Strecke. Und dort, hinter den Absperrleinen, welche die Mannschaftswagen trennen von den Fragen und dem Publikum: eine angeborene Abwehrhaltung. Dabei hätte der Radsport keinen idealeren Ort finden können zum Aufbruch ins Morgen nach einem Schreckensjahr mit Schmutzaffären und gefallenen Helden. Die Weltbürger Londons hatten ja schon bei der freitäglichen Präsentation am Trafalgar Square fröhlich und wohl auch ein bisschen ahnungslos das Peloton begrüßt.

"Wir hatten schon etwas Angst, dass die Stimmung nicht so aufkommt'', erzählt Linus Gerdemann, 24, als 22. zweitbester Deutscher des Prologs. Doch nun hätten ihm so viele begeisterte Menschen auf den ersten 7900 Metern seines Tourlebens zugesehen, "da sieht man das große Potential des Radsports, obwohl er große Probleme hat'', sagt der Debütant. "Das Spektakel Tour lebt weiter, und ich wünsche mir auch die Glaubwürdigkeit.''

Nicht ganz so gelöst wirkt Erik Zabel, 37, abgesehen vom Wiedersehen mit seinem Beichtbruder Rolf Aldag, dem Sportchef von T-Mobile. Mit welcher Laune er starte, wird er gefragt, und erst kommt da nur ein "pfff''. Dann sagt der Berliner: "Ich hätt' wohl nichts dagegen gehabt, wenn die Tour mal ausgefallen wäre.''

Die Mehrheit indes hat den Abstecher der Tour über den Kanal wohl als befreiende Episode empfunden, und in dieser Atmosphäre funktionierten sogar vertraute Reflexe. Wie bei Astana, deren Flotte in den nächsten drei Wochen das Feld mit seiner Übermacht niederwalzen dürfte. Der luxemburgische Generalmanager des in der Schweiz lizensierten und von kasachischen Staatsfirmen alimentierten Rennstalls, Marc Biver, wiederholt abermals, ,,ohne Grund'' werde das Team Astana verfolgt. Dass er etwa die Zusammenarbeit Alexander Winokurows mit dem sehr wohl verurteilten Sportarzt Michele Ferrari nicht als Angriffspunkt gelten lässt, hat er bereits kundgetan. Den Dopingverdacht findet er dennoch unerträglich, "ich sage ja auch nicht zu Ihnen, dass Ihre Frau fremd geht.'' Das ist mal ein Argument.

Nur Fragen zum Sport

Im übrigen ist Marc Biver der Ansicht, "der Herr Frommert'', demnach der Kommunikationschef des T-Mobile-Teams, steuere die deutsche Presse. "Wie auch unsere Nachbarn vom Mineralwasser'', meint Biver und zeigt zu Gerolsteiner. Er sagt: "Das ist der richtige Weg, den Radsport kaputt zu machen.'' Frommert entgegnet dazu, "solche Albernheiten sollte man gar nicht kommentieren - was bei Astana passiert, spricht doch für sich''.

Nur noch Fragen zum Sport, hat Biver dann den Medien noch beschieden. Und auch vor der Leine funktionieren bisweilen die alten Reflexe. "Dafür sind wir doch da'', säuselt ihm einer zu; einer fragt nach Winokurows Knöchel, ist da was? Der Knöchel. Er wird kaum das Problem sein. Eher schon die Dopingfahnder der UCI, sie hatten schon vor der Tour angekündigt, sich vor allem einer Handvoll Sieganwärter widmen zu wollen. Weil deren Blutwerte seltsam seien.

Doch Fahnder und Fragensteller sind ja womöglich doch nur hyperventilierende Quälgeister, zumindest dürfen sie auch in London diesen Eindruck haben. ,,Ihr Deutschen seid doch die einzigen, die das noch interessiert'', sagt etwa ein luxemburgischer Journalist, der an diesem Tag vergebens mit Fränck Schleck (95.) fiebern sollte. Er meint den Puerto-Skandal, und wenn ihm entgegnet wird, das wäre aber schade, wenn man der Einzige wäre - dann kommt Schleck vorbei und wird vom Landsmann angefeuert.

Schlecks Equipe CSC hat später aber doch etwas zu feiern, nämlich Cancellaras zweiten Prolog-Triumph nach 2004. Eine stille Freude demnach auch für den hier eigentlich unerwünschten Bjarne Riis, der entgegen anderslautenden Berichten am St. James's Park weilte. Mit Lebensgefährtin und Sohn schlenderte er nachmittags in den Vip-Bereich, nachdem er den Teambus aufgesucht hatte.

Cancellara, 26, hat später immerhin darauf verzichtet, seinen im drittschnellsten Tempo der Prolog-Historie (53,66 km/h) errungenen Erfolg explizit dem dänischen Teammanager zu widmen. Die heutige Arbeitsweise des gedopten Toursiegers von 1996 sei jedoch ,"wichtig für den Radsport'', sagte der Profi aus Bern und mochte dies auf das Motto "Arbeit auf dem Rad, Arbeit im Team, Arbeit im Kopf'' bezogen wissen. Sein Sieg sei ,,eine Chance für den Radsports'', findet Cancellara, er wolle "ein Beispiel für junge Fahrer sein''.

Einmal hat Fabian Cancellara aber doch die Augen verdreht, als die Rede auf seinen früheren Trainer kam: den zwielichtigen Sportarzt Luigi Cecchini. Mit dem Kompagnon des Dottore Ferrari habe er "ein paar Jahre gearbeitet, das stimmt'', die Liaison wurde aber - zumindest offiziell - im Herbst beendet. Wegen Cecchinis Vergangenheit, zu der auch der Profi Riis gehört. "Das war hart, denn Cecchini ist 30 Jahre oder noch mehr im Radsport, und es ist schwer, jemanden mit so viel Erfahrung zu finden'', sagte Cancellara. Jetzt trägt er das Gelbe Trikot.

© SZ vom 9.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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