Tour de France:Gerdemann in Gelb

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Der 24-jährige Linus Gerdemann aus Münster gewinnt die erste Alpen-Etappe per Alleinfahrt und führt die Gesamtwertung an. Die Verletzten Klöden und Winokurow sind weiterhin dabei.

Linus Gerdemann stand Minuten nach seinem Sieg vor einem Mikrofon und hatte Tränen in den Augen. Er dankte seinen Betreuern, seinen Förderern und seiner Freundin zu Hause, "die auf so viel verzichtet", weil sein Beruf als Radprofi kaum Zeit für Privates lässt. Es klang fast wie bei einer Oscar-Verleihung und für den 24-Jährigen aus Münster hatte der Erfolg auf der siebten Etappe der Tour de France wohl den gleichen Stellwert wie eine Oscar-Verleihung für einen Filmemacher. Denn Gerdemann hatte im Zielort Le Grand-Bornand in den Alpen so viel Vorsprung, dass er anschließend in das gelbe Trikot des Gesamtführenden schlüpfen durfte.

Sein größter Tag als Radprofi: Linus Gerdemann gewinnt die erste Bergetappe der Tour 2007. (Foto: Foto: AFP)

Nach zwei Jahren trägt mit Gerdemann damit erstmals wieder ein deutscher Radprofi das Gelbe Trikot bei der Tour de France. Der 24-jährige Youngster vom T-Mobile-Team wuchs auf der ersten Bergetappe über sich hinaus, holte sich im Alleingang nach 197,5 Kilometern den Etappensieg und damit die Führung im Gesamtklassement vom Schweizer Fabian Cancellara. Vor ihm hatte das Gelbe Trikot als letzter deutscher Profi 2005 Jens Voigt für einen Tag getragen, nachdem er es Lance Armstrong abgenommen hatte. Gerdemann führt jetzt mit 1:24 Minuten vor dem Spanier Inigo Landaluze, Andreas Klöden rangiert mit 3:39 Minuten Rückstand auf dem sechsten Platz.

Tour-Debütant Gerdemann, der als Vertreter des "neuen deutschen Radsports" gehandelt wird, hatte sich aus einer 15-köpfigen Spitzengruppe gelöst und 20 Kilometer vor dem Ziel auch noch den Kasachen Dimitri Fofonow abgeschüttelt. Bei seinem eindrucksvollen Solo den Col de la Colombière hoch wäre er einen Kilometer vor dem Gipfel fast zu Fall gekommen. Ein Motorrad hatte Gerdemann behindert und ihm kurzfristig den Rhythmus geraubt.

Gerdemann gibt sich als Radprofi "der neuen Generation", der nichts mehr mit Doping zu tun haben wolle. Nach seinem Erfolg sagte er: "Wir wollen eine neue Zeit im Radsport einläuten, es ist für alle, die an den Radsport glauben, eine schwere Zeit." Er kündigte allerdings an, als neuer Spitzenreiter trotdzem nicht am Gesamtsieg interessiert zu sein und sich weiterhin für T-Mobile-Kapitän Michael Rogers zu fahren. "Ich werde mich weiterhin Michael Rogers unterordnen. Ich werde alles für ihn geben", sagte Gerdemann.

Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren hatte der Siegeszug Jan Ullrichs am 15. Juli 1997 mit seinem ersten Gelben Trikot in Andorra-Arcalis begonnen. Vor zwei Jahren hatte T-Mobile Gerdemann aus dem laufenden Vertrag bei CSC herausgekauft. Bei Bjarne Riis hatte der in Freiburg lebende Gerdemann auch Kontakt zu dem umstrittenen Mediziner Luigi Cecchini. Im Zuge der "Aufräumarbeiten" bei den Bonnern nach der Ullrich-Entlassung im Vorjahr musste Gerdemann die Zusammenarbeit mit dem Italiener aufgeben.

Die erste und leichteste der drei diesjährigen Alpen-Etappen wurde von Gerdemann und Fabian Wegmann geprägt. Die beiden Vertreter des deutschen Nachwuchses platzierten sich in einer 15-köpfigen Ausreißergruppe, die sich am ersten von vier Anstiegen des Tages gebildet hatte. Durch den Sieg beim ersten Zwischensprint hatte Gerdemann in der virtuellen Wertung um das Gelbe Trikot den Spanier José-Ivan Gutierrez, ebenfalls Mitglied der Ausreißergruppe, hinter sich gelassen.

Ein Strauß, ein Teddy-Löwe und ein gelbes Trikot. Linus Gerdemann kann es kaum fassen. (Foto: Foto: AFP)

Das bedeutete: Gerdemann fuhr schon Stunden lang vor der Ankunft theoretisch in Gelb. Im Ziel durfte er es tatsächlich überstreifen und feierte den größten Tag seiner bisherigen Karriere.

Zeitweise hatten die Ausreißer, zu denen auch die bergerfahrenen Inigo Landaluze (Spanien) und der zweifache Giro-Gewinner Paolo Savoldelli (Italien) gehörten, über acht Minuten Vorsprung. Den letzten Anstieg 32 Kilometer vor dem Ziel, den 1618 Meter hohen Col de la Colombière, nahmen sie mit 5:17 Minuten Vorsprung auf das Hauptfeld in Angriff. An deren Spitze machte vor allem das dänische CSC-Team um Spitzenreiter Cancellara, Carlos Sastre und Frank Schleck Tempo. Der Schweizer fiel aber bald zurück und verabschiedete sich endgültig von seinem Gelben Trikot.

Mit diesen Scharmützeln hatten die durch ihre schweren Stürze angeschlagenen Andreas Klöden und Alexander Winokurow vom Astana-Team wenig zu tun. Sie erreichten zusammen mit dem ersten großen Verfolgerfeld das Ziel. Das Fahren verursacht Schmerzen und der Wiegetritt am Berg ist fast unmöglich: Klöden leidet und schweigt.

Neuanfang beim Team T-Mobile?

Über seine Internetseite hatte der Wahl-Schweizer zusammenfassend dieses kurze Bulletin nach seiner Steißbein-Verletzung gegeben, die er sich am Donnerstag zuzog. Prognosen für die kommenden Tage sind laut Klöden, der nicht direkt mit der Presse kommuniziert, nicht zu stellen. "Es ging besser als am Vortag", sagte Winokurow knapp.

"Von einem solchen Erfolg habe ich nicht zu träumen gewagt. Es ist ein Sieg für das ganze Team. Gerdemann ist einer der am meisten getesteten Fahrer und er gibt uns Hoffnung. Aber erst etwas später werden wir wissen, ob wir wirklich von einem Neuanfang der Tour sprechen können", sagte T-Mobile-Team-Manager Bob Stapleton nach dem Gerdemann-Triumph in den Alpen. Der Amerikaner steht für einen kompromisslosen Anti-Doping-Kampf und den Neubeginn des Bonner Teams.

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