Tour de France:Fifty-fifty

Lesezeit: 3 min

Gerolsteiner steht vor dem Ausstieg aus der Krisenbranche Radsport. Auch andere Sponsoren denken über einen Rückzug nach.

Andreas Burkert

Den Start der 94.Tour hat Jörg Croseck ausgelassen, ihm war die Angelegenheit einfach zu riskant. Wegen des Bombenterrors in den Tagen vor dem Prolog stornierte die Geschäftsführung der Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG die Dienstreise nach Britannien und versäumte somit denkwürdige Impressionen für die Firmengeschichte vor den Prachtbauten Londons. Eine rationale Entscheidung für oder gegen die Leidenschaft Radsport steht dem Firmenvorstand Croseck bald erneut bevor, denn nach der Tour will das Unternehmen über den Fortbestand ihres Engagements entscheiden. Unternehmenssprecher Stefan Goebel deutet auch hier eine eher defensive Haltung an, wenn er zur Tendenz sagt: "Fifty-fifty".

Medienkontakte zählen: Erik Zabel beim Interview. Vielleicht wird es sein Team Milram nicht mehr lange geben. (Foto: Foto: dpa)

Bis 2008 ist der Vertrag mit Teammanager Hans-Michael Holczer gültig, ein Jahrzehnt ist die Firma dann in der Krisenbranche des Sports engagiert. Angefangen hat alles ehedem beim kleinen Vorgängerteam Bayer Worringen. Inzwischen zählt Holczers Sportgruppe zur Elitekategorie, doch nicht nur dessen Freude am Radsport ist sichtbar geschrumpft seit der Offenlegung eines Dopingsumpfes durch Spaniens Justiz. Der Marketingmann Goebel analysiert nüchtern: "Wir sind ein integres Team, aber der Radsport wackelt - und damit unsere Kommunikations-Plattform."

Croseck und Goebel verstehen sich als Wirtschaftsmanager, sie reden im üblichen Fachsprech und sagen "Benchmark" anstatt Zielvorgabe; mit Absatzzahlen können sie auch nach zwei Gläsern Champagner kundig jonglieren. Dieser Ansatz unterscheidet sie von jenen Sponsoren, die etwa Tourchef Christian Prudhomme gerne auf seiner Seite sähe im Antidoping-Kampf. Doch Croseck sagt dazu: "Wir sind sicher nicht dazu da, den Radsport zu retten. Das muss er selbst tun." Er unterscheidet da ganz genau. "Zwischen Mäzenatentum und Sponsoring."

Und das, was Sponsoren derzeit erhalten für ihre vielen Fördermillionen, sind ja nicht nur die üppigen Übertragungszeiten von den Frankreichfahrten. Es geht derzeit ja mehr um das Image eines Sammelbeckens von Betrügern, das irgendwann zwangsläufig abfärben wird. Gerolsteiner führt dazu seit einigen Wochen regelmäßige Befragungen durch, "und das Thema Doping hat sich bisher nicht auf die Marke niedergeschlagen", berichtet Goebel. So ganz traut er dem Trend aber nicht, denn Goebel erzählt auch von einer Rückholaktion des Unternehmens, damals habe man 500.000 Flaschen einsammeln müssen. 500.000 Flaschen, "das ist eine überschaubare Menge", findet Goebel. Das Zerstörungspotenzial des Radsports dagegen, das will er wohl sagen - es ist für Sponsoren nicht mehr kalkulierbar.

Mit dieser Haltung liegt der Geldgeber aus der Eifel im Trend, denn die namensgebenden Teamsponsoren wenden sich nach und nach ab. Die französische Bank Crédit Agricole zieht sich 2008 nach ebenfalls einem Jahrzehnt zurück, die Telefonkredit-Gruppe Cofidis hat Ähnliches angedeutet, Discovery Channel steigt nach dieser Saison aus.

Die bunte Welt der Trikots: Die Sponsoren wollen gut zu erkennen sein. (Foto: Foto: AFP)

Etwas für den Sport bewirken

Als Exot wirkt da fast T-Mobile, das trotz der Massenbeichten seiner alten Helden soeben bis 2010 verlängerte. Trotz der Krisenstimmung wolle man sich ganz bewusst nicht zurückziehen, sagt Telekom-Kommunikationschef Christian Frommert. "Denn wir haben dem Radsport in 16 Jahren viel zu verdanken, auch wenn wir die großen Erfolg jetzt ganz anders bewerten müssen, weil sie mit unerlaubten Mitteln erzielt wurden." Deshalb wolle man "nicht nur die guten Zeiten mitmachen". Sondern auch dann, wenn es weh tut.

Frommert glaubt, das T-Mobile Team könne mit "unserer neuen Gradlinigkeit und auch mit unserer Kraft etwas für den Radsport bewirken". Zwar sei der Ausstieg auch bei der Bonner Equipe "jederzeit eine Option", doch selbst ein neuerliches Beben müsse nicht zum Abschied führen: "Wenn die gut gebauten Häuser auf der Plattform stehen bleiben, wäre selbst eine solche Reinigung eine gute Sache."

Team Gerolsteiner dagegen fährt bei dieser Tour nicht nur um Etappensiege. Sondern um seinen Fortbestand. Nur die Tour zählt, "und nicht noch die Deutschland-Tour hinterher", sagt Stefan Goebel ganz offen. "Denn in Frankreich entsteht die Begeisterung, da sitzen die Leute vor dem Fernseher." Oder eben nicht mehr. Sein Kollege Croseck ergänzt nüchtern: "Am Ende des Tages geht es um Zahlen, das ist es, worauf ich vertraue - auf die neutrale Marktforschung." Der Radsport hat dieses Vertrauen längst verspielt.

Gut möglich also, dass Magenta bald wieder als einzige deutsche Farbe auf den Landstraßen leuchtet. Auch der Bremer Sponsor Nordmilch überdenkt ja längst sein namensspendendes Engagement für die italienische Milram-Equipe, wegen der Dopingaffären um Teammanager Gianluigi Stanga und das positiv getestete Sprintass Alessandro Petacchi. Dass neue Unternehmen einsteigen, kann sich Frommert nicht vorstellen, und er versteht das. Er ist zwar einer der wenigen Romantiker, die irgendwo in der Zukunft ein Comeback dieser grundsätzlich schönen Sports sehen. "Und wenn Gerolsteiner eine Aktie wäre, würde ich sagen: Kaufen!", betont Frommert. Aber er sagt auch: "Man muss schon extrem vergnügungssüchtig sein, um jetzt in den Radsport reinzugehen - das kannst du derzeit eigentlich niemandem raten."

Ende August wird in Gerolstein die Zukunft entschieden. Jörg Croseck lässt sich keine Tendenz entlocken, er nennt Sponsoring allerdings "eine temporäre Lebensgemeinschaft". Und 70 Prozent Bekanntheitsgrad unter den Bundesbürgern, viel mehr gehe doch nicht für sein Lieblingswasser. Dann müsste Gerolsteiner aussteigen, entgegnet man ihm. Croseck nickt. Zaghaft.

© SZ vom 12.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: