Tour de France:Die Verwunderung wächst

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T-Mobile räumt ein, dass mehrere seiner Profis mit dem umstrittenen Sportarzt Ferrari zusammenarbeiten.

Andreas Burkert

Irgendwann hat sich Christian Frommert eine Zigarette angesteckt, um ein wenig Luft zu holen sozusagen. Frommert, 39, ist Leiter Sportkommunikation T-Mobile International, und in dieser Funktion hat er am Samstag vor dem magentafarbenen Teammobil ziemlich lange Rede und Antwort zu stehen.

Wie geht es nun weiter mit Jan Ullrich? (Foto: Foto: AFP)

Nicht nur die Medien wollten ja wissen, wie es nun weiter gehe mit Jan Ullrich, der seit Freitag von der Teamleitung wegen Dopingverdachts suspendiert ist wie auch sein Sportchef Rudy Pevenage.

"Ist das denn wirklich wahr?", fragten auch viele betroffene Landsleute, die über den Rhein hinüber gekommen sind nach Straßburg zum Start der 93. Tour. Frommert, ein früherer Wirtschaftsredakteur, redete und redete, und ein Teil des Publikums hat ihm danach applaudiert.

Der Lüge überführt

Das ist die eine Seite der Affäre, welche die Tour schwer erschüttert hat. T-Mobile hat am Freitag konsequent gehandelt und bemüht sich seit einiger Zeit, eine neue Offenheit zu propagieren. Aber was bleibt ihnen auch übrig, wo doch täglich neue Schreckensmeldungen über Ullrich und Pevenage eintreffen.

Zumindest Pevenage ist der Lüge überführt, weil Gesprächsprotokolle und SMS-Nachrichten vorliegen, die seinen Kontakt zum spanischen Skandaldoktor Fuentes belegen. Ullrichs offensichtliche Verstrickung in den Betrug ist nach Ansicht der Madrider Ermittler ebenfalls wasserdicht belegt. Dabei geht es offenbar nicht nur um Blutdoping; in den Dokumenten sollen sich auch Indizien für den Gebrauch von Wachstumshormonen und Testosteron finden.

"Echte Mafia"

Ullrich leugnet weiterhin alles, doch zu einer womöglich entlastenden DNA-Analyse ist er dem Vernehmen nach nicht mehr bereit. Das Urteil scheint damit gesprochen, denn Tourchef Leblanc schloss auch ihn ein in sein Urteil über den enttarnten Dopingring: "Das ist eine echte Mafia, die Rennen aus Geldgier manipuliert."

Dieser Mafia gehörte bekanntermaßen der Sportarzt Michele Ferrari an, der in den 80er und 90er Jahren gewissermaßen das italienische Pendant zu Fuentes darstellte. Dottore Epo bezeichnete den Blutbeschleuniger Erythropoietin einmal als harmlos wie Orangensaft ("alles eine Frage der Dosierung") und ist gerichtlich entlarvt als Dopingarzt zahlreicher Ausdauersportler.

Insofern wundert es schon, dass T-Mobile-Teammanager Olaf Ludwig der SZ bestätigen muss, dass sich einige seiner Fahrer tatsächlich von Ferrari betreuen lassen: "Wir haben mehrere, die bei Luigi Cecchini sind, und auch mehrere, die mit Ferrari arbeiten."

Einen Namen nennt Ludwig nach kurzem Zögern: "Patrik Sinkewitz ist bei Ferrari." Der Sieger der Deutschlandtour 2004 begann seine Karriere in Italien. Ein weiterer Ferrari-Klient ist der australische Zeitfahrweltmeister Michael Rogers.

Ein anderer könnte der Italiener Eddy Mazzoleni sein, auch er fährt für T-Mobile die Tour. Mazzoleni ist übrigens mit der Schwester des ebenfalls suspendierten Ivan Basso liiert.

Mazzolenis Name tauchte schon 1999 auf einer Liste auf, die Ferraris Drogenkunden auflistete (u.a. Olano, Savoldell, Gotti und Simeoni). Filippo Simeoni hatte vor Gericht Ferraris Methoden zu Protokoll gegeben und sich deshalb den Zorn von Lance Armstrong zugezogen.

Der siebenmalige Toursieger musste darauf 2001 einräumen, bereits seit 1996 mit Ferrari zu arbeiten, bezeichnete ihn aber als "Ehrenmann". Ferrari wurde im Oktober 2004 in Bologna wegen Sportbetrugs und Verstößen gegen das Arzneimittelrecht zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt; das Gericht verhängte außerdem ein Jahr Berufsverbot - für seine Arzttätigkeit.

Selbst Armstrongs Team beendete darauf (offiziell) die Zusammenarbeit mit Ferrari, dessen aktuelle Klienten kaum jemand aus dem Peloton benennen kann (oder will).

Der Verwunderung über die Kooperation mit Ferrari und dessen Schüler Cecchini - der nach Ludwigs Angaben also nicht nur Ullrich betreut - kann der Teamchef nur bedingt folgen, er sagt: "Wer will, kann jetzt natürlich hinter jeden ein Fragezeichen machen."

Es falle ihm aber schwer, "erwachsenen Menschen den Umgang mit bestimmten Leuten zu verbieten, ich kann sie nicht einkasernieren". Teamarzt Lothar Heinrich ahnt, in welchem Licht die bisher nicht einmal Kennern der Szene bekannte Trainingsarbeit Ferraris mit T-Mobile-Profis in der aktuellen Szenerie erscheinen dürfte.

"Sicher kann man das System des Radsport hinterfragen", räumt er ein, "aber ich finde die Zusammenarbeit nicht verwerflich und bitte, keinen vorzuverurteilen - sie haben sich bisher nichts zu schulden kommen lassen." Heinrich glaubt, es gebe im Feld viele Ferrari-Fahrer: "Olaf ist nur der Einzige, der ehrlich war."

Ludwig will nun überlegen, was man intern ändern kann. Frommert wurde konkreter: "Wir werden beraten und klare Richtlinien aufschreiben, dass man mit gewissen Leuten vielleicht nicht mehr arbeiten kann - und wer sich daran nicht hält, kann nicht mehr bei uns fahren."

Ludwig betonte derweil, man fordere vor Transfers durchaus Blutwerte der Kandidaten an; dies habe man auch bei Sergej Gontschar (Suspendierung beim Giro 2001) und beim früheren Angestellten Santiago Botero (erhöhte Blutwerte) getan, die trotz einer Vorgeschichte verpflichtet wurden. Bei David Millar (Epo-Geständnis) und Tyler Hamilton (wegen Blutdopings gesperrt) indes habe er abgewunken. "Das war mir zu heiß."

Ludwig leitet das Team im ersten Jahr, der Toursieg ist sein Ziel gewesen. Sollten nicht aber diese Ziele künftig reduziert werden und die Mitarbeit dubioser Lehrmeister untersagt werden, die angeblich nur großartige Trainingspläne entwerfen?

"Der Fall Ullrich muss zumindest Konsequenzen für unsere Arbeit mit dem Team haben", sagt Heinrich, der zur Cecchini-Connection ergänzt: "Der Unterschied ist halt, dass der Fahrer Ullrich heißt - er hat in Vertragsverhandlung andere Möglichkeiten." Künftig müsse man aber "wohl die Einkaufspolitik überdenken und den Anspruch, immer ganz vorne zu sein - vielleicht muss man mehr auf Nachwuchsfahrer setzen, die noch nicht in einem System stecken." Wenn es sie gibt.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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