Tour de France:Die Erinnerungen werden seltener

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Andreas Klöden hat Jan Ullrichs Hauptrolle übernommen - die Vision eines Toursieges erhält er sich trotz seines Einbruchs im Finale der Königsetappe.

Andreas Burkert

Wenn man Andreas Klöden morgens vor einer schweren Bergetappe anspricht, schaut er sehr finster, er hat dann nicht wirklich gute Laune. Bei Andreas Klöden kann es allerdings vorkommen, dass er auch mittags am Ruhetag, an Nachmittagen oder auch abends nicht sonderlich guter Stimmung ist.

Manchmal hat man in diesen reichlich sperrigen Momenten des Cottbusers den Eindruck, dass der sagenumwobene Druck, der wohl auf Sportlerschultern lastet, ein bisschen viel ist für einen sensiblen und nur rund 62 Kilogramm schweren Radprofi. Dabei hat Andreas Klöden, 31, doch gerade danach gestrebt.

Nach dem Druck. Nach der Kapitänsrolle.

Seit der ersten Pyrenäenetappe der Tour hat Andreas Klöden diese Rolle auch offiziell inne beim T-Mobile Team, das gerade tapfer ein vakantes Erbe aufteilt.

Mehr als ein Podiumsrang scheint zwar seit seinem gestrigen Einbruch im Finale der Königsetappe nicht mehr möglich, "ich habe am letzten Berg Krämpfe gekriegt", sagte er im Ziel.

Dennoch wird Klöden auf dem Weg nach Paris endgültig aus dem Schatten treten von Jan Ullrich, der dem Team wohl bald nicht mehr angehören wird.

An die Stelle des guten Freundes zu treten, in dessen Schweizer Nachbarschaft er vor Jahren gezogen war, um abends mit ihm einen Rotwein trinken zu können, behagt Klöden immer noch nicht recht.

Doch seine Reminiszenzen an Ullrich werden rarer, und so oder so wäre es ja das letzte gemeinsame Jahr der beiden gewesen. Denn bereits im Januar hatte Klöden verkündet, dass er sich nach einem Jahrzehnt im Team ganz sicher verabschieden werde, falls er für 2007 nicht als Kapitän für die Tour nominiert werde.

Nur dieses eine Mal hätte er noch den Job des Chauffeurs übernommen, und das gerne, wie er betont. "Denn ich hätte vor der Saison ja woanders hingehen können. Aber ich wollte den Helfer für Jan machen."

Seltsame Treue zu Ullrich

Vielleicht hat Klöden sogar ziemlich gute Jahre seiner Karriere verschenkt an Ullrich. Denn zu was er imstande ist, wenn er nicht verletzt ist und auf eigene Rechnung fahren darf, bewies der Paris-Nizza-Sieger von 2000 vor zwei Jahren: Platz zwei, obwohl er in den Bergen zunächst hatte warten müssen auf den maladen Kapitän.

Es ist in all den Jahren eine seltsame Treue zu Ullrich gewesen, mit dem er im Winter die Ferien verbrachte, was den Sportlerkörpern und ihrem Image nicht immer gut tat.

Doch trotz Ullrichs Anziehungskraft ging der Familienvater auch eigene Wege. "Ich war nie bei Cecchini - und auch nicht bei Ferrari", kann Klöden auf die Frage entgegnen, ob ihn die Zusammenarbeit mit Ullrichs geheimnisvollem Coach nicht auch interessiert habe.

Er vertraut seit Jahren Thomas Schediwie, 52, der zunächst als neuer Impulsgeber für den Klassikerspezialisten Steffen Wesemann aufgefallen war.

Für Klöden ist der Diplomsportlehrer und Trainingswissenschaftler aus Frankfurt/Oder "mehr als ein Betreuer, er gibt mir auch als Person viel und redet sehr viel mit mir - er ist fast ein kleiner Psychologe für mich und geht mit mir durch dick und dünn".

Ohne Schediwie hätte es Klöden wohl nicht bis ins Vorderfeld dieser Tour gebracht.

Denn nach seinem Trainingssturz Ende März machten sich die Verantwortlichen fast mehr Sorgen um Klöden als um ihr ewiges Sorgenkind Ullrich. Die Schultereckgelenkssprengung erforderte eine Operation, aber nur zwei Wochen später saß Klöden wieder zuhause auf der Rolle und strampelte.

"Auch wenn der Toursieg jetzt wohl eine Vision bleibt", sagte sein Coach Schediwie nach der elften Etappe, "so finde ich es sagenhaft, was er mit den wenigen Rennkilometer leistet, das hätte ich selbst nicht für möglich gehalten."

Erst bei der Bayernrundfahrt Ende Mai gab Klöden ja sein Comeback, und damals schmerzte es noch oft, wenn er in den Anstiegen kraftvoll am Lenker zog. Nach der Tour de Suisse war sich Klöden dann aber sicher, in Frankreich eine ordentliche Rolle abgeben zu können.

Denn wie Ullrich verfügt er über die Gabe, rasant die Form ausbauen zu können, und man wünscht sich jetzt sehr, dass im Gegensatz zu seinem Kumpel nur die Gene dafür verantwortlich sind.

Schediwie, der laut Teamarzt Lothar Heinrich nicht per E-Mail-Kontakt arbeitet - "sondern quasi am Mann" -, möchte unbedingt dafür bürgen.

Er unterscheide sich von den umstrittenen italienischen Gurus, betont der frühere Radsportler, "denn ich bin ein reiner Trainer mit traditionellen Methoden - und kein Mediziner wie andere, darauf lege ich gerade jetzt Wert".

Vermutlich arbeiten sie 2007 wieder gemeinsam an ihrer Vision, denn Klöden wird nun wohl wieder bei T-Mobile unterschreiben. Schediwie nennt Klöden übrigens "keinen einfachen Typ, auch für mich als Trainer, aber er ist ein echter Musterprofi".

Und wer gut arbeitet, darf gerne übellaunig sein.

© SZ vom 14.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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