Tour de France:Demonstrationen des Unantastbaren

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Obwohl die Konkurrenz alles versucht, dominiert Lance Armstrong das Tour-Feld auch in den Pyrenäen nach Belieben. Nur ein Blitzschlag kann den siebten Triumph des Amerikaners noch verhindern.

Von Andreas Burkert

Pla-d'Adet - Alpen, Pyrenäen, egal welchen französischen Berg man Lance Armstrong in den Weg stellt - er ist einfach kein Hindernis für ihn. Würde man den Mount Everest in die Vogesen verlegen, wäre das Bild wahrscheinlich das gleiche wie in diesen Tagen, wie in den vergangenen sieben Jahren: an der Spitze Lance Armstrong, dahinter oft ähnliche, immer gleich chancenlose Konkurrenten.

Am Samstag und Sonntag waren das Ivan Basso und Jan Ullrich, der mit seinem Team vor allem am Samstag alles versuchte. Ullrich machte dabei vier Plätze in der Gesamtwertung gut, aber Armstrong radelt eben in einer eigenen Welt.

Um überhaupt eine Schwäche auszumachen an dieser Maschine aus Fleisch, einer Menge Wasser und Blut, muss man schon sehr nahe an ihn herantreten. Ein paar graue Haare sind dann zu entdecken in seiner brünetten Kurzfrisur, aber deswegen verliert Lance Armstrong keine Rennen.

Und nicht einmal die größte Offensive der vergangenen sieben Toursommer überhaupt hat ihm am Samstag etwas anhaben können. Zermürbt hat die Tempofahrt nach Ax-3 Domaines nur seine Konkurrenten: Ullrich und seine Edelhelfer, ebenso Mickael Rasmussen. Selbst Ivan Basso distanzierte Armstrong kurz vor dem Gipfel spielend. Ein letzter Spurt als Demonstration eines unantastbaren Athleten. Am Abend sagte er gelassen, er habe sich an diesen Tag der Aggression "nie in Gefahr gefühlt". Niemand zweifelte daran.

Kurzer Plausch mit Basso

Jan Ullrich ist am Samstag sicherlich das offensivste Rennen seiner Karriere gefahren, daran hat es nicht gelegen. Offenbar wieder im Vollbesitz seiner Kräfte nach seinen schweren Stürzen in der ersten Tourhälfte, hatte der Kapitän seine Leute in die ersten Linien geschickt, und diese mutige Strategie zeigte Wirkung. Bereits am Fuße des Port de Pailhères (2001 Meter) entsandte er einen magentafarbenen Express in die Wertung der Ehrenklasse.

Der Italiener Giuseppe Guerini und natürlich der rastlose Geist Alexander Winokurow trennten mit ihren Vorstößen Armstrong von seinen Helfern, als hätten sie Reißzwecken ausgelegt. Ullrich folgte Winokurow kraftvoll und wirkte sehr entschlossen, doch auch Basso fuhr problemlos mit. Nur Armstrong blieb zunächst auf Sichtweite zurück. Doch der Abstand beunruhigte ihn offenbar kaum.

Er wartete, ob es einer seiner Helfer zurückschaffte an die Spitze. Als niemand kam, genügten ihm einige energische Kurbelumdrehungen, um an Ullrichs Hinterrad zurückzufinden. Zur Begrüßung plauschte er kurz mit Basso, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet. Der Chef war Herr der Lage, daran bestand jetzt kein Zweifel mehr.

Das spektakuläre Wechselspiel wiederholte sich im letzten Anstieg, auf der Abfahrt vom Pailhères hatten sich ja alle wieder getroffen. Auch der ausgepumpte Animateur Winokurow und Andreas Klöden fuhren noch einmal heran. Noch einmal griff der Kasache an, ehe Klöden und an seinem Hinterrad Ullrich attackierten.

Armstrong und Basso hängten sie nicht ab. Der starke Italiener konterte sogar, abermals setzte Ullrich nach. Armstrong? Dehnte sich zwischendurch, sammelte Trinkflaschen, um sich zu schützen gegen die Sommerhitze, die er wohl als größten Feind seiner Erfolge betrachtet. Zwei Kilometer vor dem Ziel forcierte Ullrich wieder furchtlos, doch er vermochte seine Begleiter nicht abzuschütteln. An der 500-Meter-Marke bezahlte er dafür, jemand hatte ihn offenbar vom Stromkreis getrennt, so sah es jedenfalls aus.

"Ich war übersäuert, ich stand erstmal ein bisschen", gestand er später, "der Saft war leer." Für Ullrich endete die Großoffensive mit 20 Sekunden Zeitverlust auf Armstrong, dem Zweiten hinter Tagessieger Georg Totschnig (siehe Bericht unten). Seine Mannschaft habe alles versucht, sagte Ullrich noch, "wir sind wirklich an unsere Grenzen gegangen, doch Lance hat wirklich alles souverän pariert. Da kann man ihm nur gratulieren".

Am Sonntag zeigte sich Armstrongs Team obendrein entschlossen, ein ähnliches Überfallkommando der deutschen Equipe nicht zuzulassen. Früh wurde der Discovery-Fahrer George Hincapie aus New York in der Ausreißergruppe platziert, die zwischenzeitlich mehr als 18 Minuten Vorsprung hatte. T-Mobile hatte da nur Oscar Sevilla zu bieten, der bislang eher enttäuscht hatte.

Am vorletzten Anstieg attackierte dann der Boss persönlich, Armstrong aktivierte seinen berüchtigten Nähmaschinentritt, und diesmal konnten ihm nur Basso und Ullrich folgen. Keine Spur mehr von Klöden, und Alexander Winokurow fiel nur wegen seines glänzenden Trikot des kasachischen Straßenmeisters auf - und weil er den Dänen Rasmussen mit seinen sporadischen Attacken animierte.

Als beim Spitzentrio Ivan Basso noch einmal forcierte, war es auch um Ullrich geschehen. Während Armstrong auch diesmal mühelos folgte, musste der Mann mit der Nummer 11 abreißen lassen. Weil er sich beim Versuch, schnell wieder aufzuschließen, offenbar übernahm, verlor Jan Ullrich am Ende mehr als eineinhalb Minuten auf das Duo, das das Ziel fünf Minuten nach Tagessieger Hincapie erreichte.

Nur der Blitz kann Armstrong stoppen

Der Italiener rückte in der Gesamtwertung auf den zweiten Platz vor, weil Rasmussen mit Verspätung eintraf - wenn auch nur vier Sekunden nach Ullrich. Der beklagte, am Ende ohne Proviant gewesen zu sein - und dürfte Schwierigkeiten haben, in Paris auf das Podium der besten Drei zu steigen.

Die Tour ist entschieden, nur ein Blitzschlag kann Armstrongs siebten Triumph noch verhindern. Die Konkurrenz ist jedenfalls erschöpft und ratlos, "wir müssen seine Dominanz akzeptieren", sagte T-Mobile-Teammanager Walter Godefroot. Seine Männer lobte er für deren Anteil am unterhaltsamen Schauspiel, auch wenn er sich im Finale "einen Wechsel der Taktik gewünscht hätte".

Denn in diesen Sekunden befanden sich Ullrich, Winokurow und Klöden zusammen, doch auf die letzte Kraftanstrengung des Kasachen reagierte das befreundete Tandem vielleicht zu früh. Vor allem: Sie brachten das Gelbe Trikot mit nach vorne. Letztlich war das aber egal: "Lance war im Finale einfach eine Macht", entgegnete Ullrichs Rennchef Mario Kummer. Gegen den Radprofi Lance Armstrong aus Austin, Texas, das ist am Wochenende endgültig allen klar geworden, gibt es keine Taktik.

© SZ vom 18. Juli 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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