Tour de France:Bund der Verfolger

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Jan Ullrich und Alexander Winokurow sind Freunde und auf dem Rad eine Kombine gegen Lance Armstrong.

Andreas Burkert

(SZ vom 17.7.2003) - Wie die Konkurrenz untergebracht sei, wollte Rudy Pevenage wissen, als er gerade im "Chateau de Lignan" ein Bier bestellt hatte und endlich ein frischer Luftzug ging über der mit feinem Kiesel ausgelegten Terrasse. Nicht so gut wie er, sagte man ihm. Pevenage ließ sich nichts anmerken in diesem Moment, aber der Sportchef des Team Bianchi fühlte sich doch ganz wohl in der abgelegenen Schlossanlage nahe Béziers.

Konkurrenz, das heißt für Pevenage vor allem Team Telekom, fast zehn Jahre hat er dort gearbeitet, nun befindet sich der belgische Betreuer von Jan Ullrich mit den alten Weggefährten im Wettbewerb um die Spitzenposition im deutschen Radsport. Doch die Übergänge sind fließend, was sich am besten am Verhältnis der beiden Kapitäne ablesen lässt, Ullrich und Alexander Winokurow. Sie mögen einander. Vergangenes Jahr hat der Deutsche seinen kasachischen Freund in dessen Heimat besucht, sie wollten dort gemeinsam Wildschweine jagen. Die Wildschweine wollten das aber nicht, sie versteckten sich.

Allianz mit dem Kumpel

Jetzt haben es beide auf Lance Armstrong abgesehen, der viermalige Tour-Sieger hat die unausgesprochenen Allianz bereits auf der Etappe nach Gap gegen sich gehabt, als sich Ullrich nicht wie vom Amerikaner angemahnt in die Verfolgung des Ausreißers Winokurow einspannen ließ. Über Winokurows Sieg habe er sich "innerlich sehr gefreut", berichtete Jan Ullrich am gestrigen Ruhetag, den er mit einer zweieinhalbstündigen Radtour durch die verlassenen Landstraßen im Languedoc und viel Schlaf verbrachte.

Doch die Zuneigung habe Grenzen, ergänzte der derzeitige Gesamtsechste, eine fester Pakt könne eher nicht entstehen, "wenn es hart auf hart kommt und die Tour entschieden wird, kämpft jeder gegen jeden". Doch auch ohne ein Bündnis der Freundschaft habe "Armstrong genug zu tun, denn die Alpen sind vorbei, und er hat nicht den Vorsprung, den er sich erhofft hatte". Der Spanier Iban Mayo, mit Abstand Tagesbester in Alpe d'Huez, und all die anderen würden dem Texaner mit ihren Attacken ausreichend zusetzen. Ullrich glaubt: "Da wird sich Lance noch festhalten müssen."

Nur 21 Sekunden Vorsprung hat Armstrong zur Halbzeit der Tour auf Winokurow, der gestern großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit seinem Kumpel signalisierte. "Warum keine Allianz?", fragte der 29-Jährige, "und wenn Jan attackiert, werde ich Armstrong die Arbeit machen lassen." Auch Telekom-Manager Walter Godefroot wertete Ullrichs Zurückhaltung von Gap als stilles Einverständnis zur Zusammenarbeit, "Jan findet Wino immer noch sympathisch, deshalb hat er Armstrong nicht unterstützt". An Telekom wird es nicht liegen.

Bei Ullrich ist alles möglich

Ob ein solches Bündnis überhaupt vonnöten ist, wird sich am morgigen Freitag erweisen, beim Zeitfahren über 47 Kilometer von Gaillac nach Cap' Découverte. Armstrong und Ullrich werden dort ihr wahres Leistungsvermögen offenbaren müssen und die restlichen Podiumskandidaten wie Mayo, der Amerikaner Tyler Hamilton und eben Winokurow die Fähigkeit, ihre Nachteile in dieser Disziplin zu kaschieren. Rudy Pevenage sagt: "Wenn Jan einen guten Tag hat, ist alles möglich." Wenn nicht, das ist hier die allgemeine Erwartung, fährt Armstrong tags darauf mit komfortablen Vorsprung auf alle Rivalen in die Pyrenäen.

Ullrich selbst ist zurückhaltend, obwohl er die Folgen seines fiebrigen Infekt überwunden habe. Er wolle am Freitag "zu Mayo und den anderen spanischen Bergspezialisten gut Zeit schinden für die Pyrenäen", sagte er. Winokurow wiederum erhofft sich nicht mehr als eineinhalb Minuten Rückstand auf die Favoriten Armstrong und Ullrich. Er vertraut sich: "Ich habe Fortschritte gemacht, ich fahre jetzt einen neuen Stil, mit mehr Kraft." Godefroot mag noch nicht recht daran glauben, "Alex ist kein Spezialist", meint er, "zweieinhalb Minuten sind eher realistisch".

Dass Armstrong immer noch das Sagen hat, davon sind Telekom und Bianchi trotz verhaltenen Optimismus überzeugt. "Ich denke nicht, dass er schwächer ist als in den letzten Jahren", findet Walter Godefroot, der dem Postal-Kapitän allerdings eine veränderte Strategie bescheinigt: "Er kalkuliert jetzt mehr als ein Merckx oder ein Hinault, er fährt eher wie Anquetil - berechnend." Auch sein Landsmann Pevenage ist dieser Ansicht, er sagt: "Ich glaube schon, dass er immer noch so stark ist." Morgen wissen es alle ganz genau.

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