Tour de France 2005:Am Ende der fürstlichen Quälerei

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Lance Armstrong, ein texanisches Vorstadtkind aus zerrütteten Verhältnissen, tritt ab als erfolgreichster Radsportler der Geschichte.

Von Andreas Burkert

Woher hat er das nur? Seinen Ehrgeiz. Diese Perfektion. Und seine unglaubliche Härte gegen sich selbst und alle anderen. Niemand ist so ehrgeizig, perfekt, hart gegen sich und vor allem besessen wie Lance Armstrong, der am Sonntag abtritt als größter Radsportler aller Zeiten, so muss man ihn wohl bezeichnen. Sieben Toursiege wie er, das wird in diesem Jahrhundert niemand mehr schaffen, vielleicht hinterlässt der 33-jährige Texaner einen Rekord für die Ewigkeit. "Meine Krebserkrankung ist das Beste, was mir je passieren konnte", hat Armstrong einmal gesagt auf die Fragen nach Doping und nach dem Geheimnis seiner Überlegenheit, die ihn maschinengleich jeden Widerstand hat brechen lassen seit seiner Siegpremiere 1999. Ist das die ganze Wahrheit seiner unglaublichen Geschichte? "Das ist nicht Hollywood, diese Story ist wahr", sagte Armstrong am 25. Juli 1999 in Paris.

Eine Spurensuche in einem einzigartigen Sportlerleben: Am 18. September 1971 kommt Lance Armstrong zur Welt. So steht es in seinem Pass. Aber eigentlich stimmt das gar nicht, denn er ist ja mindestens dreimal auf die Welt gekommen, findet er. Die Premiere verläuft ohne Komplikationen, wenn man einmal davon absieht, dass Lance neun Pfund wiegt und der Vater bald abwesend ist. Vor dieser Tour hat man von ihm lesen können, einer belgischen Zeitung habe der leibliche Vater gesagt, er hasse seinen Sohn. Womit beide ein Nicht-Verhältnis mit gleichartigen Gefühlen besitzen. Sein Vater, ein Auslieferungsfahrer, habe getrunken und geprügelt, sagt er Sohn. Er nennt ihn in seiner Biografie ("Tour de Lebens", Lübbe) nur den "DNA-Spender".

Erziehung per Holzpaddel

Linda Mooneyham, eine zierliche Frau, bringt ihren Lance bald alleine durch, sie jobbt neben ihrer Schulausbildung halbtags, um ein Ein-Zimmer-Appartement in einem Vorort von Dallas halten zu können. Sein späterer Adoptivvater Terry Armstrong ist jähzornig und erzieht den Jungen bevorzugt mit einem Holzpaddel. Über seine Mutter sagt Lance Armstrong, sie sei eine warmherzige, energische Frau, "sie arbeitete härter als irgend jemand sonst". Der Radprofi Armstrong sagte sehr oft solche Sätze über sich selbst.

Das Vorstadtkind aus zerrütteten Verhältnissen möchte sich im Sport beweisen. Es sucht den Erfolg, es möchte negative Energie abbauen und akzeptiert werden. Football ist sehr anerkannt in Texas. Aber er hat kein Talent. Armstrong entdeckt in der Grundschule bei einem Langstreckenlauf seine Begabung: Ausdauer, Zähigkeit.

Er läuft und schwimmt und siegt mit 13 beim "Iron Kids", einem Triathlon für Junioren. Mit 16 verdient er als Triathlon-Profi sein erstes Geld. Triathleten laufen und schwimmen nicht nur, sie fahren auch noch Rad. "Wenn es eine fürstliche Quälerei war", erinnert er sich, "hatte ich gute Karten."

Erster Tour-Etappensieg 1993

Lance Armstrong entscheidet sich fürs Rad. Mit 19 gewinnt er die US-Meisterschaft, er wird Profi. Sein erstes Rennen ist 1992 der Weltcup in San Sebastian. Er wird Letzter, 27 Minuten hinter dem Sieger. Letzter werden, das kotzt ihn an. 1993 schon schafft er den Durchbruch. Gewinnt eine Touretappe und mit 21 als jüngster Weltmeister überhaupt das WM-Rennen von Oslo. Bei den Amateuren siegt ein junger Rostocker: Jan Ullrich.

Armstrong ist gut in Eintagesrennen, er siegt 1995 beim Weltcup von San Sebastian, holt sich erneut eine Touretappe und 1996 den Triumph beim Flèche Wallonne. Aber 1996 ist kein gutes Jahr, vom Arzt erfährt er am 2. Oktober: Er hat Hodenkrebs. 2.10.96. Armstrong hat diese Zahlen auf seinem Rennrad eingraviert.

Einziger Lebensinhalt: Rad fahren

Lance Armstrong überlebte. Sein Wille überlebte, sagt er. Er kehrt zurück in sein zweites Leben und ins Feld, 518 Tage nach seinem letzten Rennen. "Er weiß jetzt, dass das Leben aus mehr als nur Rad fahren besteht", sagt selig seine Frau Kristin in Granada, wo im Februar 1998 die Ruta del Sol endet. Von Kristin ist er geschieden - für Lance Armstrong zählt bis zu diesem Sonntag nur eins: Rad fahren.

Vielleicht ist ja Johan Bruyneel an allem schuld. Bruyneel gewann selbst zwei Touretappen, er erlebte Armstrong noch als Gegner. Er hört natürlich davon, dass Armstrong im März 1998 nach der zweiten Etappe von Paris - Nizza aufgibt. Weil es Armstrong nicht schnell genug ging. Bruyneel hört auch davon, dass er eigentlich komplett aufhören wollte. Dass er daheim in Texas abhängt, viel Bier trinkt und Burritos verschlingt im "Chueys". Und er erfährt, dass Armstrong ein drittes Mal geboren worden ist

An einem tristen Apriltag, bei einem kleinen Rennen in Boone, einem Kaff in North Carolina. Armstrong sagt: "Ich wollte mich auf dem Rad verbessern, ich spürte: Das war plötzlich alles, was ich wollte." Er trainiert fortan wie besessen, acht Stunden trotz Regens, so geht die Legende. Und Johan Bruyneel, der neue Sportdirektor bei US Postal, schreibt ihm im Herbst eine Email, nachdem Armstrong die schwere Vuelta als Vierter beendet hat: "Auf dem Siegerpodest der Tour nächstes Jahr werden Sie eine gute Figur machen." Bruyneel siezt Armstrong 1998 noch. Heute sind die Geschäftspartner und Freunde.

Besessenheit, viel Training und Leute wie Bruyneel, sagt Armstrong, das sei sein Geheimnis. Sonst sei da nichts. Wegen seines Kampfes mit dem Krebs, wegen der Einnahme zerstörerischer Medikamente, würde er "niemals auf die Idee kommen", sich zu dopen. Er sei kein Wunderwerk der Pharmaindustrie. Nicht alle glauben ihm, noch heute buhen ihn die Franzosen an der Strecke aus, obwohl ihre Ablehnung abgenommen hat. Armstrong hat sie eben alle fertig gemacht.

Stete Zweifel als Begleiter

1999, als er bei der Tour in Gelb fährt zum ersten von vermutlich sieben Siegen, muss Armstrong allerdings eine positive Probe auf Kortison erklären. Der Weltverband habe ihm den Gebrauch einer Hautcreme erlaubt, verteidigt er sich, und der Weltverband assistiert trotz einiger Ungereimtheiten.

Der Verband hat gerade den Tourskandal 1998 hinter sich. Armstrong begleiten jetzt Zweifel, und sie "ärgern ihn unheimlich", wie sein Freund und Teampartner George Hincapie erzählt. Armstrong sagt: "Kommt doch mal im Januar, Februar und März zu mir, wenn ich stundenlang trainiere und leide." Er muss sich in solchen Momenten beherrschen.

Armstrong bleiben die Verdächtigungen erhalten. Die Fragen werden konkreter. Dopte sein Trainer Chris Carmichael, wie der frühere Nachwuchsfahrer Erich Kaiter vergangenes Jahr behauptete? Lügt seine frühere Physiotherapeutin Emma O'Reilly, der er angeblich Epo-Doping eingestand? Gab es das Telefonat mit dem früheren Toursieger Greg LeMond (USA) wirklich, in welchem Armstrong ebenfalls derlei Andeutungen gemacht haben soll?

Und wieso arbeitet er offenbar weiter mit dem in Italien wegen Dopingtherapien und Sportbetrug verurteilten Arzt Michele Ferrari zusammen? Armstrong hat es 2004 allen schriftlich gegeben, als er das Enthüllungsbuch "L.A. Confidential" juristisch bekämpfte: "Ich weise entschieden zurück, jemals leistungsfördernde Drogen eingenommen zu haben."

Das Holzpaddel. Der Krebs. Die Burritos. Jan Ullrich und Frau Reilly. Nichts von alledem hat ihm etwas anhaben können. Es hat ihn wohl noch etwas härter gemacht.

© SZ vom 23.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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