Das Grab des Teufelskerls und Fußballgotts ist höchst unscheinbar. Auf dem kleinen Marmorstein im nördlichsten Winkel des Friedhofs Lindenheide in der Kreisstadt Mettmann östlich von Düsseldorf stehen nur fünf Buchstaben: Turek. Keine Zahl, keine Verzierung, nichts, was irgendwie darauf hindeutet, dass unter diesem Stückchen Erde seit 1984 die sterblichen Überreste eines der größten Helden der deutschen Fußballgeschichte liegen. Anton "Toni" Turek ist 1944 mit einem Granatsplitter im Kopf aus dem zweiten Weltkrieg zurückgekommen, doch als Heimkehrer nach Deutschland wurde er erst bejubelt, als er zehn Jahre später mit der deutschen Fußballmannschaft in Bern Weltmeister geworden war.
Krieg, Schutt, Asche und Neuanfang - "Tureks Leben spiegelt die stürmische deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wider", schreibt Werner Raupp in der Biografie "Toni Turek - Fußballgott" (Arete-Verlag, 208 Seiten, 16 Euro). Sie erscheint am Freitag, 18. Januar, anlässlich des 100. Jahrestags von Tureks Geburt.
Turek musste sich im Krieg durch halb Europa kämpfen. Fußball spielte er anschließend in Duisburg, Frankfurt, Ulm, Düsseldorf und Mönchengladbach. Die Spuren seines Lebens findet man im Rheinland: eine Gedenktafel in seiner Geburtsstadt Duisburg, das Toni-Turek-Stadion in Erkrath, die Geschäftsstelle von Fortuna Düsseldorf im Toni-Turek-Haus und eine lebensgroße Bronzefigur neben der Düsseldorfer Arena. Ein Tipp-Kick-Hersteller hat sein Torwartmännchen "Toni" getauft, und am 27. Januar tragen die Fortuna-Fußballer im Bundesliga-Heimspiel gegen Leipzig ein Toni-Turek-Ehrentrikot im Retro-Look. Dies alles sind Würdigungen für ein derart ereignisreiches und symbolträchtiges Leben, dass man sich wundert, warum es nie verfilmt wurde. Der Sänger Heino überraschte irgendwann auch noch mit der Anekdote, er sei Anfang der Fünfziger Jahre als Bub in einer Düsseldorfer Fußballauswahl von Turek trainiert worden.
Bilder eines Fußballmythos: Toni Turek bei einem seiner späten Einsätze für Borussia Mönchengladbach.
Fünf Buchstaben auf einem Grabstein in Mettmann: Hier ruht einer der berühmtesten deutschen Fußballer.
Erst 2009, anlässlich seines 25. Todestags, benannte die Kreisstadt bei Düsseldorf auch eine Straße nach Toni Turek.
Doch das meiste in Tureks Leben hatte durchaus dramatischen Charakter. Im Zweiten Weltkrieg nahm er an Feldzügen in Polen, Frankreich, Russland und auch in Italien teil. Am 5. November 1941 durchschlug in Russland ein Granatsplitter seinen Stahlhelm. Der Splitter wurde nie aus Tureks Kopf entfernt. Nach Kriegsende spielte er weiter Fußball, als sei nichts gewesen. Am 1. Dezember 1946 warteten 3000 Zuschauer in der Duisburger Fugmann-Kampfbahn allerdings vergeblich auf den Torwart ihres TuS Duisburg. Turek sei unauffindbar, wurde über die Lautsprecher verkündet. Während Duisburg mit 0:4 gegen Homberg verlor, feierte Turek parallel seine Premiere für Eintracht Frankfurt im Spitzenspiel der Oberliga Süd gegen den 1. FC Nürnberg. Schon ein Jahr später zog er weiter zur TSG Ulm - und im Sommer 1950 nach Düsseldorf. Die Fortuna besorgte ihm im benachbarten Erkrath eine Wohnung und beim Düsseldorfer Verkehrsbetrieb Rheinbahn einen Job in der Verwaltung. Im April 1954 zierten Turek und Sohn das Titelbild der Mitarbeiterzeitung "Das Rad".
Angesichts seiner Popularität machte sich Toni Turek wenig Sorgen, dass ihm in jenem Sommer ein bedeutsamer Antrag womöglich nicht genehmigt werden könnte. Er lautete: "Antrag auf Sonderurlaub vom 6. 6. bis zum 6. 7. 1954 zwecks Teilnahme an den Fußballweltmeisterschaftskämpfen in der Schweiz." Sein Gehalt von 537,79 Mark für diesen Zeitraum würde er "mit der WM-Vergütung des Deutschen Fußballbundes" zurückerstatten. Turek war 35 Jahre alt, als er mit der deutschen Mannschaft an der WM teilnahm. Im November 1950 hatte er mit schon 31 Jahren im Nationalteam von Sepp Herberger debütiert, dies war nach dem Krieg das erste deutsche Länderspiel gewesen. Deshalb kam Turek letztlich auch nur auf 20 Länderspiele. Doch die hatten es in sich.
Sein vorletztes Länderspiel war das WM-Finale im Berner Wankdorfstadion, in dem Turek vom seitdem legendären Radioreporter Herbert Zimmermann zum "Teufelskerl" und "Fußballgott" ernannt wurde. Als Weltmeister zurück in der Heimat, wurde der Teufelskerl und Fußballgott in einem riesigen offenen Altbierfass durch Düsseldorf gefahren. Die Menschen jubelten ihm zu. Seine Zeit als Torwart näherte sich da bereits dem Ende.
1956 wechselte er zu Borussia Mönchengladbach, spielte dort aber nur noch vier Mal und beendete noch im selben Jahr mit 37 Jahren seine aktive Fußballer-Laufbahn. Als Trainer war er anschließend bei der Ratinger Spielvereinigung, beim SC Unterbach und beim VfR Büttgen tätig. Im Jahr 1973 erkrankte Turek mit schwerwiegenden Folgen an einem Virus, von dem er sich nur langsam erholte. 1983 erlitt er einen Hirnschlag und einen Herzinfarkt. Am 11. Mai 1984 starb Turek mit 65 Jahren in einem Krankenhaus in Neuss.
Zehn Tage später wurde er in Mettmann unter der Anteilnahme von 250 Gästen beerdigt. Toni Tureks letzte Ruhestätte nach einem ereignisreichen Leben ist auf dem Friedhof Lindenheide im Sektor L2 die Grabstelle Nummer U39.