Tim Borowski:Philosoph der Bremer Art

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Nach zehn Jahren beim SV Werder nähert sich der Spielmacher endlich der Höhe seines Könnens. Jörg Marwedel

Es lag eine Menge Argwohn in der Stimme von Tino Polster. "Wollt ihr Tim Borowski zum FC Bayern schreiben?", fragte Werder Bremens Mediendirektor den Journalisten, als er einen Gesprächstermin mit dem Werder-Profi anmeldete. Da wusste Polster noch nicht, dass Bremens derzeit bester Mittelfeldspieler gerade durch das Münchner Fahndungsraster gefallen war. Der junge Mann sei nicht der "Stratege", den man als potenziellen Nachfolger für Michael Ballack suche, teilte Bayern-Manager Uli Hoeneß der SZ mit.

Das war ein überraschendes Urteil, denn man kann Borowski, 25, ohne Übertreibung den Aufsteiger des Jahres in der Bundesliga nennen. Und es werden nicht allzu viele Beobachter Borowskis Selbsteinschätzung widersprechen, derzufolge er "strategische Eigenschaften und den Blick für die Mitspieler und den freien Raum" besitzt.

Die mutmaßliche Entwarnung aus München kommt den Bremern natürlich gelegen. Am heutigen Dienstag steht beim FC Barcelona (20.45 Uhr) im vorletzten Gruppenspiel der Champions League eine gewaltige Herausforderung an. Da ist es schön, wenn der Kopf klar ist und nicht die Beschäftigung mit einem weiteren möglichen Karrieresprung Borowskis "riesige Vorfreude" auf seinen ersten Auftritt im legendären Camp Nou stört.

Zwei Tore gegen Wolfsburg als Empfehlung

Auch deshalb löste Hoeneß fröhliche Erleichterung bei Werder aus. Das seien "halt Fachleute" in München, sagte Geschäftsführer Klaus Allofs und grinste wie ein Zocker, der als Einziger auf den richtigen Sieger gewettet hat.

Borowski selbst hat dieser Tage auch ein paar Ausrufezeichen pro Werder gesetzt. Zuletzt bewies er beim 6:1 gegen den VfL Wolfsburg am Wochenende nicht nur wegen seiner zwei Tore, dass er als kongenialer Partner des Werder-Regisseurs Johan Micoud längst auf einem Niveau mit dem Franzosen spielt und "mit den Gedanken ganz in Bremen" ist. "Macht euch keine Sorgen um mich", hat er noch gesagt, "ich fühle mich hier richtig wohl." Mehr kann ein Profi nicht tun, wenn trotz des unlängst bis 2008 verlängerten Vertrages die Spekulationen um seine Zukunft blühen.

Die Debatte aber, was Borowski wirklich ist oder noch werden könnte, wird vielleicht noch eine Weile anhalten. Er selbst macht seine Sichtweise deutlich, indem er einfach seine Vorbilder nennt. Das sind - "rein fußballerisch natürlich" - Stefan Effenberg und Chelseas Kapitän Frank Lampard. Auch die seien "keine typische Zehn wie Joe Micoud", sondern wie er selbst "eher so ein Mix aus einer Sechs und einer Zehn". Männer also, die das Spiel aus den hinteren Räumen lenken oder gelenkt haben und nicht direkt hinter den Angreifern. Und die Borowski vor allem deshalb imponieren, weil sie Eigenschaften besitzen, die ihm lange Zeit abgesprochen wurden: "Aggressivität und Physis."

Daran hat er gearbeitet, auch deshalb ist er im filigranen Bremer Spiel-Mosaik ähnlich unverzichtbar wie Michael Ballack bei den Bayern. Was Borowski und den Kapitän der Nationalelf außerdem verbindet, ist neben ihrer schnellen Auffassungsgabe und dem technischen Talent diese aufrechte Körpersprache, die oft als Arroganz ausgelegt wird. Was sie trennt, ist außer Ballacks überragendem Kopfballspiel und dessen mächtigem Plus an Erfahrung eine völlig unterschiedliche Sozialisation in den vergangenen Jahren.

"Ich habe die Werder-Philosophie drin", sagt Tim Borowski, "diese gewisse ruhige, zurückhaltende, selbstbewusste Art." Als 16-Jähriger kam er aus dem mecklenburgischen Städtchen Neubrandenburg ins Werder-Internat. Nächstes Jahr feiert er seinen zehnten Jahrestag in der Hansestadt, das prägt. Thomas Schaaf, den damaligen Amateurcoach, kennt er dann genauso lange. Von ihm, sagt Tim Borowski, habe er den Umgang mit Kritik und auch die nötige Selbstkritik gelernt.

Keine Angst vor Ronaldinho, Eto'o und Deco

In vielen Gesprächen habe ihm der Trainer damals geholfen, wenn es nicht recht voranging und Borowski nach kräftigen Verrissen versuchte, "im nächsten Spiel alles picobello hinzubekommen und statt dessen viel falsch machte". Ausgerechnet der ruhige Schaaf hat Borowski auch das Phlegma ausgetrieben, das den Profi stets dann befiel, wenn er soeben den nächsten Entwicklungsschub hinter sich hatte.

"Das Meiste", hat Tim Borowski erkannt, "spielt sich im Kopf ab." Seitdem kämpfe er bewusst "gegen die eigenen Schwächen an" und versuche, "noch aggressiver zu werden". Inzwischen hat der Nationalspieler die Konstanz erreicht, die aus einem guten Spieler einen sehr guten macht.

Sie hat ihm auch jenes Selbstbewusstsein eingeflößt, das er trotz Barcelonas jüngster 3:0-Gala bei Real Madrid auch vor dem Duell im Camp Nou zur Schau trägt. "Ronaldinho, Eto'o oder Deco, das sind alles starke Kicker", sagt Tim Borowski, "aber wir brauchen uns nicht zu verstecken."

© SZ vom 22.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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