Thüringens Fußballklubs:Runter in den Marianengraben

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(Foto: Karina Hessland/imago)

Erfurt ist pleite, Drittligist Jena nicht konkurrenzfähig, Nordhausen konnte mit den eigenen Visionen nicht mithalten: Ein Streifzug entlang am Abgrund.

Von Christoph Ruf

Bevor das Coronavirus europaweit den Ligabetrieb zum Erliegen brachte, erlebten die Fans von Rot-Weiß Erfurt ihren ganz speziellen fußballerischen Shutdown. Das Regionalliga-Spiel am 8. Dezember vergangenen Jahres gegen Viktoria Berlin war auf absehbare Zeit das letzte im Steigerwaldstadion, das Stadt, Land und EU für über 40 Millionen Euro renoviert hatten. RWE konnte schon damals die Gehälter nicht mehr bezahlen und musste sich im Februar endgültig aus dem Spielbetrieb abmelden. Jahrelang hatte der Klub über seine Verhältnisse gelebt. Überhaupt hat er seit Jahrzehnten ein seltsames Talent, Blender und Hasardeure anzuziehen. Insider berichten von Funktionären, die sich fürstlich bedienten und von Trainern, die zweitklassig verdienten und in der vierten Liga fünftklassig arbeiteten.

Doch der Rückzug der ersten Mannschaft hielt die Fans nicht davon ab, ihre Vereinsfarben weiter zu unterstützen. 1500 von ihnen kamen Anfang Februar ins Stadion, obwohl das für den Tag eigentlich angesetzte erste Rückrundenspiel gegen Energie Cottbus längst abgesagt war. Und bis das Virus auch dort den Spielbetrieb zum Erlahmen brachte, unterstützen die Anhänger die Erfurter U19 gegen Vereine wie den Berliner SC. "Von klein auf wissen, was zählt", stand auf einem Transparent. Es sollte die 18-Jährigen im RWE-Dress auf den Verein einschwören. Und den Glauben wachhalten, dass es den Klub in ein paar Wochen auch noch geben wird. Nach Lage der Dinge muss der Verein, der mit 380 Spielen Rekordhalter der dritten Liga ist, allerdings schon froh sein, wenn er in der nächsten Saison überhaupt in der fünftklassigen Oberliga antreten kann. Immerhin wurde die Lizenz für diese beantragt. Sollten die Finanzen selbst dafür nicht reichen, gibt es Planspiele, den Verein unter dem Namen SC Rot-Weiß Erfurt neu zu gründen. Es wäre ein Neustart im Marianengraben des Thüringer Ligasystems, der zweiten Kreisklasse.

Das Schicksal von RWE könnte eines unter vielen sein; in der ganzen Republik gibt es Vereine, die außer ihrer Tradition nicht mehr viel zu bieten haben. Doch das Schicksal der Erfurter steht zugleich exemplarisch für die Situation mehrerer namhafter Vereine im Thüringer Fußball. Die Ursachen unterscheiden sich, die Erkenntnis nicht: Die Klubs befinden sich im Niedergang. Sieht man vom tapferen ZFC Meuselwitz im Landkreis Altenburger Land ab, der sich trotz überschaubarer überregionaler Strahlkraft seit 2009 in der Regionalliga hält, geht es allerorten bergab.

Niederschmetternd ist auch die Situation in Jena. Dort sprechen sie von "Vieselbach", wenn die Landeshauptstadt Erfurt gemeint ist - und reduzieren sie damit auf einen ihrer Stadtteile. Doch zurzeit ist den Anhängern des FC Carl Zeiss Jena kaum nach Spott zumute. Nicht nur sportlich läuft es desaströs beim Tabellenletzten der dritten Liga. Unter normalen Umständen würde der FCC längst ausschließlich für die Regionalliga planen - doch in Zeiten, in denen kein Verein irgendetwas planen kann, ist plötzlich auch ein Klassenerhalt am grünen Tisch wieder denkbar. Vorausgesetzt, DFB und DFL setzen die Auf- und Abstiegsregelung aus.

Nordhausen hat als Viertligist über die Jahre einen zweistelligen Millionenfehlbetrag angehäuft

Zwei FCC-Spieler stehen derzeit unter häuslicher Quarantäne, der Trainingsbetrieb ist ausgesetzt. Doch Fans, Mitglieder sowie die Eltern einiger Jugendspieler diskutieren in diesen Tagen erregter als nach den 2:6- oder 1:5-Niederlagen dieser Saison. Kenny Verhoene, der mit dem ehemaligen Bundesligaprofi René Klingbeil das Team trainiert, soll sich als Jugendtrainer im Ton vergriffen und mit massiven Einschüchterungen gearbeitet haben. Dass nicht er gehen musste, sondern ein Mitarbeiter, der sich auf die Seite der Eltern gestellt hatte, ist für viele Fans der letzte Beweis, dass der belgische Investor Roland Duchâtelet ein Günstlingssystem installiert hat, das "Fehlentscheidungen, Arroganz und Misswirtschaft" zur Folge habe, wie es in einer Erklärung heißt, die die Ultras und fast alle Fanklubs unterschrieben haben. Sie seien "nicht mehr willens, einen Tiefschlag nach dem anderen zu ertragen und dabei mit ansehen zu müssen, wie nicht nur ein schwer erkämpfter Aufstieg verspielt wird, sondern auch die generelle Zukunft unseres Fußballclubs am seidenen Faden hängt".

Schon die Entlassung der beiden Vorgänger von Verhoene und Klingbeil, Rico Schmitt (Anfang Februar) und Lukas Kwasniok (Oktober 2019), war mit viel Tamtam vonstatten gegangenen. Da war zum einen die "Tennisball-Affäre", die zur Freistellung von Schmitt führte. Wutentbrannt über das Aufwärmprogramm zweier Profis, bei dem der eine dem anderen einen Tennisball so unglücklich an den Kopf geschossen hatte, dass dieser beim Spiel in Braunschweig nicht auflaufen konnte, soll Schmitt einen Spieler so vehement angeschrien habe, dass der in Tränen ausbrach.

Und Kwasniok? Mit seiner mitreißenden Ansprache hatte der Jahrgangsbeste des Fußballlehrer-Jahrgangs 2018 im Sommer den Klassenerhalt geschafft. Danach leitete er einen radikalen Umbruch ein, viele gestandene Drittligaspieler gingen, viele Talente kamen. Der Erfolg blieb aus. Kwasniok, der gerade mit Saarbrücken ins Halbfinale im DFB-Pokal eingezogen ist, hat mittlerweile zugegeben, dass die Kaderzusammenstellung misslungen sei.

Doch nicht nur Erfurt und Jena stehen vor einer ungewissen Zukunft. Die BSG Wismut Gera, zu DDR-Zeiten eine Größe, ist Vierter in der Verbandsliga, aus der Oberliga hatte sie sich im Sommer aus finanziellen Gründen abgemeldet. Noch größer war die Fallhöhe in Nordhausen.

Dort herrschte Präsident Nico Kleofas lange Jahre unumschränkt. Im Winter musste er dann kleinlaut zugeben, dass der Plan, mit überbezahlten Ex-Profis durchzustarten, zur Insolvenz führen musste. Als "Thüringens Nummer eins" wollte er den Profifußball aufmischen. Er holte Spieler wie den ehemaligen Darmstädter Marco Sailer, der direkt aus der ersten in die vierte Liga kam. Er vertraute auf die Beratertätigkeit von Maurizio Gaudino und den klangvollen Namen von Luca Scholl, dem Sohn des großen Mehmet. Noch im vergangenen Sommer kam Jan Löhmannsröben und ging ein paar Monate später. "Mir wurde das Blaue vom Himmel versprochen", schimpfte der frühere Lauterer in der Bild. "Dass ein Klub finanzielle Probleme bekommt, kann passieren. Aber wie man damit umgeht - das ist wichtig."

Ein zweistelliger Millionenfehlbetrag wurde über die Jahre angehäuft; und dass der für die Regionalligen zuständige DFB in dieser Spielklasse kein Lizenzierungsverfahren durchführt, hat es den Glücksrittern einfacher gemacht, die Öffentlichkeit über Jahre zu täuschen. Nun ist die Spielbetriebsgesellschaft pleite. 14 Spieler, die lange auf ihr Gehalt gewartet hatten, haben den Verein im Winter verlassen, die ersten Partien des Jahres 2020 bestritt der Klub mit einer Rumpfelf. Dass er sich nicht wie Erfurt komplett aus dem Spielbetrieb zurückziehen musste, wurde im Harz gefeiert. Im Thüringer Fußball ist derzeit halt schon eine Bankrotterklärung eine Erfolgsmeldung.

© SZ vom 20.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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