Thomas Springstein:Zwischen Schwarzmarkt und ewiger Jugend

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Der Druck auf den dopingverdächtigen Leichtathletik-Trainer wächst: Der SC Magdeburg und Nils Schumann wenden sich ab. Auch Grit Breuer ist unter Verdacht geraten: Die Lebensgefährtin von Springstein entzog sich einer Dopingkontrolle, indem sie in den Urlaub fuhr ohne sich abzumelden.

Von Thomas Kistner

Zwölf Jahre ist es her, als schon einmal die Staatsanwaltschaft gegen Thomas Springstein ermittelte. Damals hatte der Sprinttrainer von Katrin Krabbe und Grit Breuer zugegeben, ein Dopingmittel mit dem anabolen Wirkstoff Clenbuterol auf illegalem Weg beschafft zu haben, nämlich "auf dem Schwarzmarkt".

Doch das Arzneimittelgesetz war damals (noch) schwächer, irgendwie schliefen die Ermittlungen in Neubrandenburg wieder ein, obwohl Springsteins Athletinnen ja wegen der Einnahme just dieser Substanz für Jahre gesperrt wurden.

Mit Springsteins windigen, formaljuristisch verbrämten Interpretionen von damals aber - Clenbuterol habe ja nicht ausdrücklich auf der deutschen Dopingliste gestanden (wohl aber stand es auf der internationalen, und durch die chemische Verwandtschaft mit Anabolika war es auch formal geächtet) - darf auch im aktuellen Sündenfall wieder gerechnet werden.

Diesmal ermittelt die Magdeburger Staatsanwaltschaft gegen Springstein, er soll minderjährige Athletinnen Dopingmittel offeriert haben, was von einer Betroffenen bezeugt wird - schon gingen erste Erklärungsmodelle in Umlauf.

Am Dienstag waren bei einer Razzia im Haus des Trainers bei Magdeburg Arzneimittel gefunden worden, die den verbotenen Wirkstoff Testosteron-Undecanoat enthalten. Besagtes Präparat wird beispielsweise in Form des Medikaments Andriol eingesetzt, für Männern mit Testosteron-Mangel.

Und so wurde schon gestern eine Version publik, es müsse sich dabei ja nicht um die Mittel handeln, die den teils minderjährigen Athletinnen verabreicht wurden, "sondern um so genannte Anti-Aging-Produkte, die Springstein für den Eigenbedarf benutzte" (sid).

Eine spannende Lesart, die sich da um das Muskelpaket Springstein aufbauen könnte; eine, die in ähnlichem Kontext schon einmal strapaziert worden ist, vor ziemlich genau zehn Jahren. Damals war der Leverkusener Langstreckenläufer Martin Bremer mit Andriol erwischt worden. Der 24-Jährige gab zur Entlastung einen behandlungsbedürftigen Hormonmangel an.

Auch Grit Breuer macht sich verdächtig

Was immer nun Springstein und die Advokaten, die er angeblich gleich nach seiner Heimkehr gestern aufsuchte, präsentieren werden, erste Schlüsse im direkten Umfeld des ja auch gerichtlich als DDR-Dopingtrainer bezichtigten Lauf-Gurus wurden schon gezogen - und das erstaunlich rasch.

Am Donnerstag wurde der 46-Jährige von seinem Verein SC Magdeburg suspendiert, "auf Grund der durch die Staaatsanwaltschaft gesicherten Indizien von der Betreuung jeglicher SCM-Sportler entbunden", wie das Klubpräsidium mitteilte.

Rechtliche Schritte behält sich der SC Magdeburg vor. Und auch Olympiasieger Nils Schumann stellte bis zur Klärung der Angelegenheit die Zusammenarbeit mit Springstein ein.

Ärger bahnt sich überdies für Springsteins Schützling und Lebensgefährtin Grit Breuer an. Die 400-m-Vize-Europameisterin war Mittwoch nicht zur Doping-Zielkontrolle angetroffen worden, als ein Kontrolleur der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) sie zu Hause suchte.

Nada-Chef Roland Augustin zufolge hatte sich die Magdeburgerin nicht abgemeldet, bevor sie mit Springstein in Urlaub nach Griechenland fuhr. Peter Schmitt, DLV-Medienchef, sah das weniger tragisch: "Sie wird jetzt vom DLV dazu angehört. Breuer droht nur eine Verwarnung, bisher gab es nie ähnliche Probleme bei ihr."

Eine 17-Jährige brachte den Stein ins Rollen

Was stimmen mag, sofern man eine Langzeitsperre wegen Medikamentenmissbrauchs im Sport nicht als im Grundsatz durchaus ähnlich gelagerte Problematik betrachten will.

Wie gestern bereits berichtet, betrezute Springstein in seiner Magdeburger Laufschule neben Breuer und Schumann eine Trainingsgruppe mit vier Athletinnen im Alter zwischen 17 und 18 Jahren.

Ins Rollen brachte die Affäre nun die Jugend-Sprintmeisterin Anne- Kathrin Elbe (17), die bei einem Trainingslager dem Bundestrainer Thomas Kremer eine Arzneipackung übergab.

Die Athletin, größte deutsche Nachwuchs-Hoffnung, ist im August zu Bayer Leverkusen gewechselt, kurz nach einer Anhörung mit Offiziellen des DLV, aus der die Strafanzeige gegen Springstein am 2. August erwuchs.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass Springstein Jugendlichen seiner Trainingsgruppe unerlaubte Substanzen verabreichte, drohen ihm nach dem Arzneimittelgesetz bis zu zehn Jahre Haft - dass das Leichtathletik- Regelwerk dafür eine lebenslange Sperre vorsieht, fiele da kaum noch ins Gewicht.

Nachwuchssprinterin Elbe ist Tochter des früheren Weltklasse-Dreispringers Jörg Elbe. Der Chemnitzer war schon einmal, 1992, an einer spektakuläre deutsch-deutsche Dopingaffäre beteiligt.

Damals hatte Elbe der kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten Doping-Aufklärerin Brigitte Berendonk brieflich den staatlich organisierten Sportbetrug in der DDR gebeichtet, wobei auch der langjährige DLV-Cheftrainer Bernd Schubert auftauchte.

In dem Schreiben hieß es: "17jährig wurde ich von meinem damaligen Trainer Grützner (Schubert war damals noch Cheftrainer unseres SC und mußte das also wissen) nach (...) Kreischa zum ,Erholungslehrgang' geschickt. Zu diesem Lehrgang (...) bekamen wir täglich Kapseln, über deren Inhalt wir nichts erfuhren.

Zu Beginn des Aufenthaltes und am Ende wurden Krafttests durchgeführt sowie Laufbandtests absolviert. Des weiteren wurde täglich 3x Blut gezapft und Urin abgegeben. Ich erkannte damals schon, daß ich ein ,Versuchskaninchen' war - nur nicht wofür. (...)

Mich erschreckt am meisten die Verabreichung des klinisch nicht zugelassenen Präparates STS-646 und des Präparates OT, ohne daß ich - geschweige denn meine Eltern - dazu um Einverständnis gebeten wurden. (...) Fakt ist, daß ich seit Juniorenzeit bis zu meinem eigenmächtigen, geheimen Aussteigen (1988) Dopingmittel erhalten habe."

Auch wenn Kronzeuge Elbe später eine Kehrtwende vollzog, alle Verantwortung auf sich nehmen wollte - sein Brief bleibt Fakt. Und auch, dass sich deutsche Sportgeschichte gern wiederholt.

© Süddeutsche Zeitung vom 01.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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