Tennisprofi Tommy Haas:Nach dem Martyrium

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Seine Karriere hing an dünnen Muskelfasern: Zwei Operationen hatten Tommy Haas zu 467 Tagen Pause gezwungen. Haas hat das Warten gelernt und zeigt es in München.

Tennisprofis sind Sensibelchen, und Tommy Haas ist ein besonders großes. Das Griffband an seinem Schläger muss auf den Millimeter genau sitzen, die Bespannung aufs Gramm genau stimmen.

Tommy Haas ist geduldig geworden. (Foto: Foto: AP)

Sonst verliert er die Konzentration. Vor sechs Wochen in Indian Wells war das so. Haas unterlag in zwei Sätzen dem Franzosen Paul-Henri Matthieu und hinterher haderte er mit sich, den Bedingungen und der ganzen Welt.

Am gestrigen Dienstag hat Tommy Haas sein erstes Match auf europäischem Sand bestritten. Alles passte.

In der ersten Runde der BMW Open setzte er sich in 79 Minuten 7:5 und 6:3 durch, gegen Nicolas Almagro, einen 19-jährigen Spanier, der sich in den vergangenen zwei Jahren in der Weltrangliste 700 Plätze hinaufgearbeitet hat.

"Es ist nicht einfach, gegen jemanden anzutreten, der der nächste große Spieler werden kann", sagte Haas. Von den Problemen, die ihn vor einigen Wochen noch drückten, kein Ton. Das sei schlicht "falsch aufgefasst" worden, sagt Haas. Wie schnell sich die Welt für Tennisprofis doch ändern kann.

In den kommenden Wochen hat sich Haas ein ordentliches Programm vorgenommen. Von München zieht er nach Rom weiter, von dort nach Hamburg, anschließend zum World Team Cup nach Düsseldorf, der als Vorbereitung für die French Open dient.

Pause geplant

Auf Rasen wird er sich in Halle, in s'Hertogenbosch und in Wimbledon versuchen. Anschließend ist eine Pause geplant, nach der er, statt noch einmal auf den europäischen Sand zurückzukehren, sich auf den amerikanischen Hartplätzen für die US Open einspielen wird.

Amerika, das liegt Haas. In Bradenton, im Camp von Nick Bollettieri, wuchs er auf. In Sarasota besitzt er ein Haus. Auf den amerikanischen Hartplätzen springen die Bälle berechenbar ab, dort lassen sich mit mächtigen Hieben schnell Punkte sammeln.

Auf Sand ist Geduld gefragt, auf dem in Hamburg und in München besonders viel. Der Regen und die kühle Luft bremsen die Bälle und lassen schnell Erkältungen aufziehen. Tommy Haas ist da etwas empfindlich.

Schon in Miami quälte er sich in diesem Jahr mit einer Grippe. In Hamburg hat er in den vergangenen Jahren stets mit schniefender Nase gespielt. Kein Wunder, dass er seinen Flug in die alte Heimat recht lange hinauszögerte. Erst am Sonntag kam Haas in München an. Auf das Masters-Turnier in Monte Carlo verzichtete er und mühte sich stattdessen in Houston, seinen Titel zu verteidigen.

Gegen zwölfjährige Mädchen

In Texas hatte vergangenes Jahr seine zweite Karriere begonnen. Zwei Operationen an der rechten Schulter hatten ihn zu 467 Tagen Pause gezwungen. Für Haas ein Martyrium.

Drei Monate schlief er mit angewinkeltem Arm. Weil ihm das Spiel keine Ruhe ließ, kehrte er so schnell es ging zwischen die weißen Linien zurück. Mit links spielte er gegen zwölfjährige Mädchen. Einige Male verlor er. Als er den Schläger wieder in die richtige Hand nehmen konnte, knirschte es in der Schulter. Die Verklebungen lösten sich nur langsam. Einige Male krachte es auch, und es hörte sich so an, als sei wieder etwas gerissen. Dieses Mal endgültig.

Es waren bange Monate, die Karriere hing an dünnen Muskelfasern. Der Erfolg in Houston zeigte: Die Fasern waren doch stark genug. Bis zum Ende des Jahres spielte er sich zurück auf Weltranglistenplatz 17. Eine ähnliche Rückkehr hat es selten gegeben. Die Tennistour kürte Haas für das Comeback des Jahres.

Kein Mr. Germany mehr

In diesem Jahr war für ihn in Houston im Viertelfinale Schluss. Zuvor war er bei den Australian Open in Runde zwei am Slowaken Karol Beck gescheitert und hatte im Davis Cup in Südafrika gegen Wesley Moodie seinen Nimbus als Mr. Germany verloren.

Sein Team ist stabil, nach den schnellen Trainerwechseln zwischen Gavin Hopper, Harold Salomon und Sven Groenefeld hat er wieder David Red Ayme als ständigen Begleiter an seiner Seite. In München betreut ihn Davis-Cup-Chef Patrik Kühnen.

Physiotherapeut Jürgen Dess, um dessen Bezahlung Haas sich mit dem Deutschen Tennis-Bund einst denkwürdige Scharmützel lieferte, knetet die geheilte Schulter regelmäßig. Ein Nachfolger für Ausrüster Nike, der den Vertrag in der langen Pause kündigte, ist gefunden.

Ein Konsolenhersteller hat Haas wieder in die Riege der Profis aufgenommen, denen die Computerspieler nacheifern können. Im Januar hat er seinen Vertrag mit der Managementagentur IMG um fünf Jahre verlängert. In der Vergangenheit wusste er oft nicht so recht, was er wollte.

Inzwischen wirkt Haas ruhiger, klarer. Auch in seinem Spiel. Gegen Almagro wartete er klug, bis sich Chancen boten und zeigte für seine Verhältnisse ungewöhnlich viele gelungene Stopps. Tempowechsel waren früher nicht seine Stärke. Seit dem 3. April ist er 27. "Der Körper fühlt sich ganz gut an", sagt Haas. Doch die Welt kann sich auch schnell wieder ändern.

© SZ vom 27.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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